20.Kapitel

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Aric hatte bereits zwei Pferde satteln lassen und so konnten sie ohne Verzögerung aufbrechen. Schweigend ritten sie in die Dämmerung hinaus. In Annas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sahir war hier? Warum war er wohl gekommen?

Es war müßig sich darüber den Kopf zu zerbrechen und Anna schob das ungute Gefühl, das sie schon beim Essen gehabt hatte, energisch beiseite. Sie hatte sich nie von ihm verabschiedet. Er war bestimmt wütend. Mit einem Seufzer versuchte sie sich zu entspannen und lauschte dem Wind, der ihr durchs Haar fuhr. Er brachte Geschichten mit. Sie wollte die Bilder bereits von sich schieben als ein bekanntes Gesicht in ihrem Geist aufblitzte.Sie hatte es schon einmal gesehen. Erst voller Wut, dann schmerzverzerrt:

Es war das Gesicht des jungen Mannes, den der Priester getötet hatte. Eingefallen und blutleer. Etwas tropfte an seinem Arm entlang auf die Erde. Erschrocken erkannte Anna, dass es Blut war. Es rann aus der tiefen Brustwunde. Da wurde ihr klar, dass der Mann nicht tot sein konnte. Tote bluten nicht, dachte sie sich. Plötzlich riss der Mann die Augen auf und starrte sie direkt an. Seine Verzweiflung bohrte sich in ihr Herz.

Unwillkürlich trieb sie ihr Pferd an, das sofort in einen leichten Galopp fiel.

„Anna!", rief Aric ihr nach und schloss wenig später wieder zu ihr auf.

„Was soll das?", schalt er sie verärgert.

Sie warf ihm einen verzweifelten Blick zu. Obwohl die Dunkelheit schon hereinbrach, sah Aric deutlich, wie ihre Augen glänzten und ihre Pupillen sich vor Angst geweitet hatten. Verwirrt nahm er ihre Zügel und ließ die Pferde zurück in einen gemächlichen Schritt fallen.

Anna blinzelte und schob sich mit der Rechten eine Strähne aus dem Gesicht.

„Tut mir Leid, Meister Aric", sagte sie gefasst und gebrauchte die höfliche Anrede für ihren Mentor. „Ich war etwas übermütig."

Aric musterte sie eindringlich. Sie schaute starr nach vorne und ignorierte seinen scharfen Blick. Er hakte nicht mehr nach, obwohl er wusste, dass sie nicht ehrlich zu ihm gewesen war. Es verwirrte ihn, was ihr plötzlich solche Angst eingejagt haben konnte. Er wusste, dass sie die Dunkelheit nicht schreckte, doch die Furcht in ihren Augen war deutlich erkennbar gewesen. Aric fragte sich, wann sie ihm wohl ehrlich vertrauen würde. Er seufzte leise.

„Ich möchte, dass das nie wieder vorkommt. Ich muss mich darauf verlassen können, dass du dich an meine Anweisungen hältst, wenn ich dich in Zukunft weiterhin mitnehmen will", sagte er ernst.

„Ja, Meister", erwiderte sie und senkte beschämt den Blick.

Damit schien Aric sich fürs erste zufrieden zu geben. Er gab wieder ein zügigeres Tempo vor und so trabten sie auf die dunklen Umrisse des Dorfes zu.


„Wir gehen ins Gasthaus. Behalte deine Kapuze auf, damit du mit deinem roten Haar keine Aufmerksamkeit auf dich lenkst. Verhalte dich ansonsten unauffällig und überlasse mir das Reden."

Anna nickte und zog ihre Kapuze weit in die Stirn. Dann betraten sie das Gasthaus.

Sahir saß wie jeden Abend an seinem Tisch in der Nähe der Theke und trank seinen Wein. Der Tag war lang und unspektakulär gewesen. Er hatte sich mit einigen Bauern im Dorf unterhalten, doch es gab keine besonderen Neuigkeiten.

Die Tür ging auf und zwei Männer betraten das Gasthaus. Er konnte sie nicht erkennen, da sie in weite Mäntel gehüllt waren. Einer war sehr groß und schlank, der andere, wahrscheinlich noch ein Junge, war klein und zierlich. Sahir beobachtete neugierig, wie der Große einige Worte mit dem Wirt wechselte und dann zielstrebig auf den Tisch im hinteren Eck der Gaststube zusteuerte. Sofort brachte die Wirtin zwei Krüge mit heißem Met an den Tisch. Der Große nickte ihr zu und nahm die Kapuze ab.

Das Erbe der schwarzen KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt