49. Kapitel

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Gorjak und Lucius erreichten Abeno knapp zwei Tage nach dem König. Als sie Aric im Feldlager nicht hatten finden können, hatten sie sich umgehört. Vorsichtig hatten sie sich den Feuern genähert und den Gesprächen der Soldaten gelauscht. Dabei hatten sie zwei Dinge in Erfahrung gebracht: Der König war nach Abeno aufgebrochen und er hatte einen Gefangenen mitgenommen.

Die ersten zwei Tage mussten sie sich zu Fuß durchschlagen, aber dann hatten sie Glück und konnten in einem kleinen Städtchen auf dem Weg zwei Pferde ersteigern. Sie legten kaum eine Rast ein und ritten bis spät in die Nacht, nur um am Morgen früh wieder aufzubrechen. Nun lag Abeno in all der Pracht einer Hauptstadt vor ihnen und hinter der Mauer sah man schon von Weitem die Türme des Palastes.

„Wie geht es jetzt weiter?", fragte Lucius, während sie auf das Tor zuritten.

„Zuerst einmal werden wir die Pferde los", erklärte Gorjak. „Dann suchen wir einen Freund auf, der uns hoffentlich weiterhelfen kann."

„Einen Freund?", fragt Lucius neugierig.

„Die Krieger haben einen festen Posten in Abeno. Hier werden viele Entscheidungen getroffen. Das Zentrum des politischen Lebens befindet sich hier. Glaubt ihr denn, da würden wir nicht mitmischen?", erwiderte Gorjak und zwinkerte ihm zu.

„Natürlich nicht", sagte Lucius lächelnd und folgte ihm durch das große Stadttor.

Die Straßen waren bunt und belebt. Überall waren Menschen unterwegs. Kutschen und Karren fuhren über die breiten Straßen und vor den Läden boten Kaufleute und Handwerker ihre Waren feil. Ein Hufschmied gab ihnen Auskunft, wo sie ihre Pferde verkaufen konnten und schon wenig später folgte Lucius Gorjak durch die belebten Gassen zu Fuß in Richtung Stadtzentrum. Vor einem unscheinbaren kleinen Gasthaus machten sie Halt.
„Hungrig?", fragte Gorjak und schob die Tür auf.

Die Schankstube war größer, als sie von außen den Anschein hatte. Sie war pragmatisch mit schweren Holztischen und Bänken eingerichtet und rechts von der Tür zog sich eine breite Theke an der Wand entlang. Nur wenige Gäste saßen an den Tischen nahe der Tür. Es war noch nicht Mittag und wahrscheinlich würde sich bis in einer Stunde der Raum noch füllen. Sie suchten sich einen Tisch weiter hinten aus und bestellten Mittagessen und Wein. Die Kellnerin verschwand in der Küche und ein untersetzter breitschultriger Wirt trat hinter der Bar hervor und brachte ihnen eine Karaffe Wein und zwei Becher. Er schenkte ihnen ein und zu Lucius Überraschung zückte er dann einen dritten Becher aus seiner Schürze und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Gorjak hob den Becher und prostete dem Wirt zu.

„Auf deine Gesundheit, alter Freund!"

„Möge sie lange währen!", erwiderte der Wirt grinsend und stieß mit Gorjak an.

„Wer ist der Hübsche?", fragte er dann mit einem Nicken in Lucius' Richtung.

„Ein Verbündeter und Freund", stellte Gorjak ihn vor und der Wirt nickte.

„Nun denn, was führt dich hierher? Du bist bestimmt nicht ohne Grund in der Stadt, hab ich Recht?", kam der Wirt sofort zur Sache und Gorjak erklärte ihm, weshalb sie gekommen waren. Lucius musterte ihn unauffällig. Der Mann entsprach in keinster Weise dem Bild eines Kriegers. Er war breit und untersetzt und er schob einen gesunden Bauch vor sich her. Er trug einen Vollbart und langes Haar, das er am Hinterkopf zu einem Zopf gebunden hatte. Haar und Bart waren von tiefem Schwarz und von silbernen Strähnen durchzogen. Lucius musste zugeben, dass er trotzdem oder vielleicht gerade deshalb eine einschüchternde Wirkung hatte.

„Würde mich wundern, wenn sie ihn kleinkriegen. Guter Mann, Aric, er hat vom Besten gelernt", sagte der Wirt gerade und Lucius konzentrierte sich wieder auf das Gespräch.

„Hab von 'nem Gefangenen gehört, ja. Die Männer des Königs haben ihn ins Schloss gebracht. Seither ist er nicht mehr aufgetaucht. Wenn sie ihn ins städtische Gefängnis gebracht hätten, wüsste ich das. Ich werde mich nochmal umhören, Mann! Ruht euch solang 'ne Runde aus, ihr seht aus, als hättet ihr das nötig. Ich lasse euch ein Zimmer herrichten."
Damit erhob er sich, klopfte Gorjak auf die Schulter, nickte Lucius zu und wandte sich seinen anderen Gästen zu. Die Kellnerin brachte ihnen Essen und Lucius ließ es sich schmecken, während er den Wirt bei seinem Gespräch beobachtete. Es dauerte nur kurze Zeit und die Gesellschaft löste sich auf. Einer nach dem anderen verließen die anderen Gäste die Schenke und als hinter dem letzten die Tür zufiel, kehrte der Wirt zufrieden nickend hinter seinen Tresen zurück und polierte Gläser. Lucius sah ihn verdutzt an.

„In einem Gasthaus wandern die meisten Informationen über den Tisch, aber es braucht auch welche, die die Gespräche in die richtige Richtung lenken. Er kann ja nicht an allen Tischen gleichzeitig sitzen", erklärte Gorjak, der seinem Blick gefolgt war, neben ihm.

„Das waren keine Gäste?", fragteLucius überrascht.

„Nein, das waren die fröhlichen Zecher in seinem Dienst, die die Informationen für ihn sammeln", sagte Gorjak grinsend. „Und ich denke sie werden jetzt das Bier und die Gesellschaft in anderen Gasthäusern genießen und uns am Ende hoffentlich sagen können, was wir wissen wollen."

Lucius starrte den Wirt offen an und der grinste nur geschmeichelt.

„Nicht schlecht", sagte er beeindruckt, als er seine erste Überraschung überwunden hatte.

Als Gorjak ihn später weckte, war es später Nachmittag.

„Es gibt Neuigkeiten", sagte er und Lucius setzte sich rasch auf. „Es gibt einen Arzt in der Stadt, der häufig ins Schloss oder ins Gefängnis gerufen wird. Es heißt, er flickt die Gefangenen zusammen, die bei Befragungen zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden", erklärte Gorjak ihm, was er erfahren hatte.

„Befragungen?", fragte Lucius skeptisch.

„Folter", verbesserte Gorjak nüchtern. „Er wurde gestern ins Schloss gerufen und ist bisher nicht zurückgekehrt. Sie sind vor zwei Tagen mit Aric hier angekommen, das ist also wahrscheinlich kein Zufall."

„Und wie sieht unser Plan aus?", fragte Lucius gespannt.

„Wir warten. Wenn der Arzt zurückkommt, knöpfen wir ihn uns vor."

Das Erbe der schwarzen KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt