27. Kapitel

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Ein dumpfer Schlag, ein Keuchen, dann Stille. Sahir war wach und kroch leise zu Lucius.

„Lucius, wach auf."

„Was?", fragte dieser und saß sofort kerzengerade auf dem schmutzigen Steinboden.

„Schscht", Sahir hob den Finger an die Lippen. „Hör doch."

In die Stille mischten sich nun Rascheln und Scharren, leises Getuschel, dann Schritte. Mehrere Schatten huschten an ihrer Zelle vorbei den Gang hinunter.

„Öffnet sie alle." Zischte jemand im scharfen Befehlston.

Lautes Schlagen von Metall, das auf Metall trifft, klirrte in Sahirs Ohren. Es erfüllte den ganzen Kerker nur für wenige Sekunden. Während noch das Echo nachhallte, sprangen quietschend die Türen der Zellen auf. Auch die von Lucius und Sahir. Jemand trat durch die Dunkelheit und zog sie auf die Beine.

„Los jetzt, schnell raus hier!"

Sahir war wie benommen, doch Lucius hakte ihn unter und zog ihn hinaus und den Gang hinunter. Er spürte, wie Wärme ihn durchfloss, ganz langsam und stetig und nach kurzer Zeit fühlte er sich frischer und wacher. Er ließ Lucius los und spurtete neben ihm her.

„Danke", hauchte er in dessen Richtung. Lucius hatte etwas von seiner Kraft durch ihn geschickt.

Eine Menschentraube stoppte jäh ihre Flucht.

„Was ist los?", fragte Sahir.

„Der Ausgang ist schmal, das braucht eben etwas Zeit", erwiderte eine helle Stimme neben ihm gehetzt. Ein Kind?

Während sie sich langsam vorwärts schoben, kam Sahirs Geist endlich wieder in der Gegenwart an.

„Ein Wunder", sagte er ungläubig in Lucius' Richtung.

„Ja, ein Wunder", wiederholte dieser und sein breites Grinsen schwang in seinen Worten deutlich mit.

Dann standen sie plötzlich vor einer schmalen runden Öffnung im Boden. Eine kleine Hand kam daraus hervor und Lucius ergriff sie ohne zu zögern. Wenige Augenblicke später war er verschwunden und die Hand griff nach Sahir. Er stieg hinab in das Loch. Die Umrisse eines sehr kleinen Gesichtes tauchten vor ihm auf.

„Du musst kriechen. Auf dem Bauch. Immer geradeaus, bis du Licht siehst. Vorsicht Kopf. Schnell!!", piepste das Gesicht und schob ihn unerwartet kräftig in den schmalen Tunnel.

Es schien Sahir wie eine Ewigkeit. Seine Kehle brannte vom Staub, den Lucius vor ihm aufwirbelte und seine Knochen schmerzten von der ungewöhnlichen Belastung. Als er endlich Licht vor sich sah, kam das so plötzlich, dass er kaum reagieren konnte, ehe ihn auch schon kräftige Hände aus dem Tunnel zogen und auf die Beine stellten. Er schwankte kurz, dann sah er sich um. Er stand in einer großen, von vielen Fackeln erhellten Höhle, nein, keine Höhle. Ein Zimmer. Zumindest waren die Wände sorgfältig beschlagen und an manchen Stellen sogar gemauert. Eine der Wände, die, vor der er stand, war eingestürzt und große Felstrümmer häuften sich zu einem steilen Hügel bis hinauf zur Decke. Dort oben zwischen Trümmern und Decke standen zwei kräftige Männer und zogen einen Menschen nach dem anderen aus einer schmalen Öffnung zwischen den Steinen. Jetzt sah Sahir auch, dass der Tunnel, durch den er gekrochen war, keineswegs auf natürliche Weise entstanden war. Von außen war erkennbar, dass er durch die Trümmer hindurch gegraben worden war und dann von starken Balken gestützt. Rechts von Sahir in einer Ecke stapelten sich sorgfältig die geborgenen Trümmer.

„Faszinierend nicht war?", sagte da eine ihm wohl bekannte Stimme neben ihm. Sahir wandte sich um.

Amon hatte sich verändert. Er trug nicht mehr die schmutzigen Fetzen, die Sahir kannte, sondern eine Weste aus weichem Leder, genau wie seine Hose und ein feuerrotes Wollhemd. Seine Haare waren so hoffnungslos verknotet, wie eh und je, aber mit einem Band am Hinterkopf zusammengebunden. Was aber tatsächlich anders war, war nicht so einfach offensichtlich. Sahir grübelte einen Moment, dann wurde ihm klar, dass es Amons sicheres Auftreten war. Die Art, wie er sich verhielt in dem kontrollierten Chaos um sie herum. Der Stolz in seinen Augen zusammen mit der wachsamen Anspannung, die seinen Körper straffte.

„Faszinierend", erwiderte Sahir, obwohl er nicht dasselbe damit meinte wie Amon. Er wollte gerade zu einer Frage ansetzten, da rief eine helle Frauenstimme:

„Das war der letzte!"

Sahir wartete gespannt, was nun passieren würde. Eine junge Frau war aus dem Tunnel gekrochen, ihr folgte ein kleiner Junge mit blondem Lockenkopf, der strahlend in den Raum blickte und dann jubelnd den Hügel hinabstieg.

Sahirs Blick glitt von ihm wieder zurück zu der Frau. Sie hatte seltsam goldene Haut und ihr braunes Haar war zu einem festen Knoten am Hinterkopf gebunden. Nur einzelne Strähnen klebten in ihrem erregten Gesicht. Im Gegensatz zu demJungen lächelte sie nicht. Sie blickte direkt in Sahirs Richtung. Als neben ihm Amon zu sprechen begann, begriff Sahir, dass der fragende Blick nicht ihm gegolten hatte.

„Gut, räumt hinter euch auf und zwar gründlich. Lass mich wissen, wenn ihr soweit seid."

Die Frau nickte und kroch ohne eine weitere Bemerkung zurück in den Tunnel.

Sahir wandte sich zu Amon, doch der stand nicht mehr neben ihm. Er hörte ihn aber Augenblicke später aus einer anderen Ecke Anweisungen rufen.

„Schafft sie raus, alle und seht zu, dass wir dieses Tor wieder schließen. Na los, wir brauchen hier Platz. Mendl, Tiko, los jetzt!"

„Faszinierend", brummte Sahir noch einmal fassungslos und ließ sich dann zusammen mit allen anderen aus der Höhle hinausschieben in einen kühlen feuchten Gang. Lucius tauchte wieder neben ihm auf. Sie sahen sich an. Worte waren im Moment überflüssig.

Das Erbe der schwarzen KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt