Die Verhandlungen verliefen sehr einseitig. Leyla stellte Bedingungen und machte unmissverständlich klar, dass der Kapitän sie zu akzeptieren hatte oder den Hafen wieder verlassen musste. So fügte dieser sich widerwillig und die Stadtwache nahm ihn und die Mannschaft in Gewahrsam. Im Rumpf des Schiffes befanden sich fünf mannshohe Kisten und in ihnen fanden die Soldaten je 15 Seelen, Männer, Frauen und Kinder, zusammengepfercht und in sehr schlechter Verfassung. Die schmutzigen Körper und die Ausscheidungen von der wochenlangen Seefahrt stanken zum Himmel und als Amon, der in seinem Leben auf der Straße bereits viel erlebt und hingenommen hatte, das Schiff betrat wurde ihm so übel, dass er sich übergeben musste. Einigermaßen gefasst inspizierte er danach das Schiff und gab Befehl es zu reinigen und die Kisten zu verbrennen.
Die Sklaven wurden vorerst im Lazarett untergebracht und Emma und Li zogen durch die Stadt und suchten nach Freiwilligen, die halfen, die Menschen zu waschen, zu pflegen und wieder soweit aufzupäppeln, dass sie außer Lebensgefahr waren. Amon bewunderte seine Schwester für ihre Hingabe und ihre Unerschrockenheit, wenn es darum ging, Kranke zu pflegen. Sie arbeitete mit Sahir Hand in Hand und organisierte die ganze Mannschaft Freiwilliger ohne Probleme. Bald war das Chaos, das bei der Ankunft der Sklaven im Lazarett entstanden war, wieder überschaubar und Amon erkannte diejenigen, die durch die Seereise zwar geschwächt aber nicht krank geworden waren. Emma hatte sie im äußeren Bereich der Halle einquartiert und sie mit Suppe und Wasser versorgt. Dort saßen sie nun und warfen scheue Blicke auf ihre Umgebung, während sie zaghaft die angebotene Suppe schlürften.
Amon ging zu ihnen. Während Leyla sich mit dem Kapitän und der Mannschaft auseinandersetzte, war es seine Aufgabe mehr über die Sklaven herauszufinden.
Einer der Männer fiel ihm auf. Seine Schale stand leer zu seinen Füßen und er saß aufrecht und unbeweglich auf seinem Lager. Amon schätzte ihn auf Mitte fünfzig und trotz Schmutz und eingefallenen Wangen strahlte er Würde und Autorität aus. Als Amon näher kam, fixierte ihn der Mann mit den Augen und Amon fragte sich, ob er überhaupt blinzelte, so eindringlich war sein Blick. Er trat auf ihn zu und nickte ihm respektvoll zu.
„Mein Name ist Amon und ich bin einer der Führer der Rebellion Zenons. Könnt ihr mich verstehen?", sagte er höflich und zu seiner Erleichterung nickte der Mann und erwiderte seinen Gruß.
„Mein Name ist Lot Machun. Ich stamme von den Melau-Inseln und spreche Eure Sprache", erklärte er ernst. Amon war überrascht. Er hatte nicht gewusst, dass König Maar dort Sklavenhandel trieb.
„Sind alle Menschen, die auf dem Schiff gefangen waren, von dort?", fragte er und der Mann nickte.
Amon ließ den Blick über die Neuankömmlinge schweifen und sah, dass in seiner nächsten Umgebung alle Augen auf ihn gerichtet waren und die Menschen gebannt ihrem Gespräch folgten. Er richtete das Wort wieder an den Mann vor sich.
„Gibt es unter ihnen einen, der für euch alle stellvertretend sprechen kann?", fragte er und der Mann nickte erneut.
„Ich werde für sie sprechen", sagte er schlicht und als Amon sich umsah, erkannte er Zustimmung und Erleichterung in den Gesichtern der Umsitzenden. Er lächelte, nahm sich einen Becher heißen Tee aus der Kanne, die einige Meter entfernt auf einem Fass stand, schenkte auch Lot Machun eine Tasse ein und setzte sich damit zu ihm auf den Boden. Dankbar nahm Lot das Getränk entgegen und musterte Amon erwartungsvoll.
„Ihr befindet euch in der Stadt Zenon im Herrschaftsgebiet von König Maar. Der Herzog Zenons ist ein treuer Gefolgsmann Maars und die Bewohner dieser Stadt haben sich vor wenigen Wochen gegen ihn erhoben. Er wurde gestürzt und die Stadt liegt momentan in den Händen der Rebellen, angeführt von mir und Leyla, der Tochter des ehemaligen Herzogs", erklärte Amon nun in knappen Worten die Situation. „Dass der König Sklavenhandel betreibt ist kein Geheimnis, doch über das Ausmaß und die Herkunft ist bisher kaum etwas bekannt. Tatsache ist aber, dass viele Sklaven von Übersee hier im Hafen von Zenon an Land gebracht werden. Deshalb hat wahrscheinlich auch euer Schiff versucht hier anzulegen. Die Bürger Zenons dulden den Sklavenhandel nicht mehr, weshalb ihr euch hier als freie Menschen und als unsere Gäste betrachten dürft."
Amon hatte deutlich und gut vernehmbar gesprochen und er konnte förmlich spüren wie die Anspannung in seiner Umgebung nachließ, als die Menschen seine Worte hörten. Lot Machun ihm gegenüber erlaubte sich einen Seufzer der Erleichterung und lächelte Amon dankbar an. Doch Amon war mit seiner Botschaft noch nicht am Ende. Er hob die Hand um Lot Machun zu verstehen zu geben, dass das noch nicht alles war. Der Mann setzte wieder eine ernste Miene auf und machte sich für die nächsten Worte bereit.
„Zenons Rebellion wird von König Maar nicht geduldet. Wenige Tage nach dem Sturz des Herzogs näherten sich seine Truppen der Stadt. Wir waren vorgewarnt worden, dass das passieren könnte und waren dadurch einigermaßen gut vorbereitet, sodass wir einer Belagerung für mehrere Wochen standhalten können. Es ist möglicherweise nur eine Frage der Zeit bis die Lage eskaliert, denn der momentane Stillstand wird nicht ewig andauern. Ihr seht also, wir können euch Pflege und Nahrung bis zu einem gewissen Grad anbieten und tun das auch mit Freuden aber für eure Sicherheit können wir in dieser Situation nicht garantieren. Solange ihr euch hier aufhaltet, steht und fällt sie mit der Sicherheit der Stadt selbst", erklärte Amon ernst und ließ seinem Gegenüber einen Moment Zeit diese Nachricht zu verarbeiten.
„Wir werden für euch tun, was in unserer Macht steht und ihr seid willkommen Wünsche und Vorschläge zur Handhabung eures Problems und der Verbesserung eurer Lage hier vorzubringen. Bitte wendet euch mit allen Fragen und Belangen an mich."
Lot Machun schwieg lange und Amon wartete geduldig. Als er schließlich sprach, kam die einzige Frage, die für diese Menschen wirklich von Belang zu sein schien und Amon fand sein Gefühl bestätigt, das er im Laufe des Gesprächs gewonnen hatte, dass dieser Mann wusste, was er tat, bedacht sprach und bestimmt nicht zum ersten Mal in einer prekären Lage Verhandlungen führte.
„Wie sieht es mit der Rückkehr in unsere Heimat aus?", fragte er ernst aber nicht aufdringlich.
Amon hatte die Frage erwartet und gab die Antwort, die er mit Leyla abgesprochen hatte:
„Ihr seid auf einem Schiff gekommen, das euch selbstverständlich auch zur Rückkehr zur Verfügung gestellt werden kann, sofern sich in eurer Gruppe erfahrene Seeleute befinden, die es sicher in den Heimathafen navigieren können. Ist dies nicht der Fall, ist eure Heimkehr abhängig von der Schuld und Gefügigkeit der Mannschaft, die das Schiff bis hierher gebracht hat. Wir haben sie vorerst in Gewahrsam genommen um sie zu ihren Motiven, Absichten und Auftraggebern zu befragen", erläuterte er geduldig und Lot Machun nickte verstehend.
„Ich werde unsere Möglichkeiten mit den anderen besprechen und unsere Entscheidungen mitteilen, sobald wir eine Einigung erzielen konnten", erwiderte er förmlich und Amon nickte.
Da alles gesagt war, erhob er sich und entfernte sich mit einem Gruß in die Runde der Umsitzenden in Richtung Hallenausgang. Solche Gespräche forderten seine ganze Konzentration und alles, was Sahir ihm in der kurzen Zeit beizubringen versucht hatte. Amon wusste, dass Lot Machun ihm in Diplomatie weit überlegen war und hoffte, dass er das richtige Maß an Höflichkeit und Ernst an den Tag gelegt hatte. Er ging hinaus und machte sich nachdenklich auf den Weg zur Burg, wo Leyla die Mannschaft hatte einsperren lassen um sie zu befragen. Leyla hatte in Verhandlungsdingen viel mehr Erfahrung und er brauchte ihren Rat.
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Das Erbe der schwarzen Königin
FantasyFeuer wird Erde verbrennen, Wind wird ihre Asche aufs Meer hinaus tragen, Wasser schenkt ihr neues Leben. Nichts ist ewig, doch es währt für immer... Anna lebt auf der Straße. Zusammen mit ihrem besten Freund Amon lässt sie sich treiben. Ihre einzig...