Dear Diary - The End

148 8 4
                                    

Liebes Tagebuch,

lange, sehr lange hab ich den roten Einband nicht mehr in der Hand gehalten. Aber ich erinnere mich noch genau an die Zeit, als ich es jeden Tag getan hatte, als meine Hände noch so glatt und weich waren und noch nicht gezittert haben. Als ich lächelnd da saß, den Stift in der Hand und geschrieben habe. Meine Erlebnisse in Worten festgehalten habe, damit ich sie nicht vergesse. Ich war so jung und so verliebt.

Park Jimin.
Ihn habe ich mein Lebtag nicht vergessen. Und bis jetzt, nach all diesen Jahren und Jahrzehnten, schmerzt sein Verlust mich immer noch. Noch immer liebe ich ihn tief versteckt in meinem alten, schwachen Herzen. Ich musste es vor Taehyung verstecken, vor mir selbst. Ich habe ihn auch geliebt. Genug, dass ich ihn geheiratet habe und mit ihm alt geworden bin. Meine wunderbaren Zwillinge, das einzige wirkliche, pure Glück in meinem Leben ohne Jimin. Er hat sie mir geschenkt und ich erwischte mich nachts dabei, wie ich mir wünschte, sie wären nicht von ihm. Dass mein Junge dieselben molligen Wangen und mein Mädchen dieselben schwarzen Haare wie Jimin gehabt hätte.
Aber ich habe geschwiegen. Tief in mir hatte ich es versteckt.

Aber vergessen habe ich ihn nicht. Ich sehe ihn immer noch vor mir. Seine Augen, sein Grinsen, die Strähnen seiner Haare. Ja, Park Jimin, du warst meine große Liebe. Bis zum Schluss.
Ich bin alt. Meine Knochen tun mir weh und meine Hand zittert so sehr, dass ich befürchte, meine Handschrift könne später keiner mehr lesen. Vielleicht ist das besser so.

Meine Kinder sitzen im Garten. Meine Enkelkinder sind auch da und die kleine Caroline liegt in ihrem Bettchen. Sie ist noch so winzig und so zart.
Ich vermisse Taehyung. Ich wünsche mir, dass er auch hier wäre und unsere Familie so vereint sieht. Und ich vermisse Stefan, Ethan, Namjoon und Jin. Meine Eltern, meine Oma; ich habe sie so lange, so lange nicht mehr gesehen. Sie warten alle auf mich.
Ich glaube, ich bin bereit.

Meine Gedanken wandern zu Jimin. An das Versprechen, was ich ihm gegeben habe. Ich habe mein Versprechen erfüllt. Ich habe ein eigenes Tanzstudio in Korea aufgemacht; ich habe Koreanisch gelernt. Taehyung wurde zu meinem besten Freund, nachdem ich auch noch Ethan an den Krebs verlieren musste. Sammy war so stark. So stark. Und sie ist es immer noch. Mit Jungkook lebt sie ganz alleine in Seoul und die beiden holen das Beste aus ihrem Alter heraus.
Taehyung hat mich geliebt, schon immer und spät, erst spät, habe ich ihn auch geliebt. Aber es war genug. Er war ein wundervoller Ehemann und ein noch bessere Vater und Großvater.
Jimin, ich habe alles getan, was Du von mir verlangt hast. Ich habe mein Versprechen gehalten. Aber jetzt bin ich müde. Sehr müde.

Ich bin bereit. Ich bin bereit, Dich wiederzusehen.
Deine Amara

***

Die Sonne scheint hell und warm auf mich hinter. Geblendet kneife ich die Augen zusammen. Irgendwo zwitschern Vögel. Ein warmer Wind geht und die Luft riecht nach Gras und Sommer. Ich schaue mich um. Ich stehe auf einen Hügel.
Kurz erschrecke ich, als ich das Grab hinter mir sehe. Doch dann betrachtete ich es näher. Es steht ganz alleine da und die Erde ist noch so frisch, als wäre derjenige gerade erst beerdigt. Ich lese den Grabstein.

Verwirrt runzele ich die Stirn, dann fällt mein Blick auf die Schuhe. Es ist merkwürdig. Sie stehen einfach nur da und glänzen blitzblank in der Sonne. Obwohl, sie sind nicht ganz sauber. Ein rosa Fleck, nicht zu übersehen. Vermutlich von Eis. Erdbeereis.
Aus einem unerklärlichen Impuls hinaus knie ich mich hin und greife nach den Schuhen. Erst jetzt spüre ich die Energie in meinem Körper, fühle meine langen, gesunden Haare auf meinen Schultern liege und sehe meine glatte, weiche Haut.
Ich bin jung. 18 Jahre alt vermutlich.
Beglückt steige ich in die Schuhe und richtete mich auf. Ich wackele mit den Zehen. Es fühlt sich gut an.

Auf einmal höre ich eine Stimme.
"Amara."
Jemand ruft mich. Aber ich weiß nicht, wer.
Ich drehe mich um. Dort steht eine Gestalt. Die Sonne blendet mich und ich kann nur die groben Konturen erkennen. Es ist ein junger Mann.
Vorsichtig geh ich auf ihn zu. Ich kenne ihn. Ich kenne seine Statur, die Form seines Körpers.
"Amara!"
Nun erkenne ich auch seine Stimme.

Ein altes, sehr, sehr altes Gefühl wallt in mir auf. Mit ihm kommt die Erkenntnis. Plötzlich scheine ich aus innen heraus zu strahlen und ich beginne zu lächeln.
"Jimin.", flüstere ich.

Er setzt sich in Bewegung. Langsam kommt er auf mich zu.
Ein Kribbeln baut sich in meinen Bauch auf und sucht sich einen Weg hinaus. Ich breite die Arme aus und lache.
Dann beginne ich zu laufen. Zu rennen.
Auch er läuft. Er kommt mir entgegen und ich höre seine Lachen.

Ich laufe immer schneller, so schnell, wie mich meine Beine tragen können.
Bis ich bei ihm bin.

Converse High [p.jm]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt