Bedeutsame Worte

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„Wei WuXian!" Er fuhr herum, begegnete dem Saum eines hellblauen Seidengewandes und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, so voller Hoffnung endlich den zu erblicken, den sein Herz so sehr zu sehen wünschte. Er war im Begriff ihm in die Arme zu laufen, da erkannte er das Gesicht des Schülers, den er auf dem Hof getroffen hatte. Enttäuschung und Ernüchterung traten für einige Sekunden anstelle seiner heiß aufschäumenden Gefühle. „Wir haben HanGuang Jun getroffen. Er ist im Pavillon der Schriften." Wei WuXians Herz machte einen Sprung. „Danke, dann werde ich dort hingehen.", sagte er, so gefasst es sein Zustand nur zu ließ. Der Junge bot an ihn zu begleiten, doch er schüttelte geistesabwesend den Kopf.Wieder durchschritt er den Garten, doch dieses Mal nicht leichtfüßig, wie bei seiner Ankunft. Der Pavillon der Schriften näherte sich unaufhaltsam und die Sonne trieb winzig kleine Schweißperlen auf seine Stirn. Sein schwarzes Gewand erschien ihm eng und mit jedem Schritt unbequemer. Bevor er eintrat lugte er vorsichtig durch eines der Fenster. Die Bibliothek schien verlassen und er fragte sich im ersten Moment, ob ihm der Schüler einen Streich gespielt hatte. Von Lan WangJi war weit und breit nichts zu sehen. Er ging hinein und sah sich um. Die Sonne warf seinen Schatten voraus, in einen Bereich, den er von weitem noch nicht wahrnahm. Die Person jedoch, die sich dorthin zurückgezogen hatte, um ungestört zu lesen, erkannte seine Umrisse. Ein leises Rascheln klang durch die Stille, nur vom entfernten Singen der Vögel unterbrochen. Ein Rascheln von Seide und Spitze, das entstand, wenn jemand sich spontan aufrichtete, und plötzlich traf Wei WuXian in ein dunkelbraunes Paar Mandelaugen. Sie standen sich gegenüber, beide hielten den Atem an.„W-Wei Ying!" Lan WangJi war sichtlich aus der Fassung geraten. Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht mit Wei WuXian. Seine sonst so tief in die Stirn gezogenen Brauen sprangen auf und ab, die Pergamentrolle in seiner Hand löste sich und rollte zu Boden, direkt vor Wei WuXians Füße. Ganz langsam beugte er sich hinunter, um sie aufzuheben, während er Lan WangJis Augen auf seinem Zopf spürte. Als er sich erhob, kletterte sein Blick wie zufällig zu den wallenden Bahnen seines weißen Rockes hinauf.„Lan Zhan" Er reichte ihm die Schriftrolle und verbeugte sich tief. „Es ist lange her." In Lan WangJis Gesichtsausdruck stand Panik. Er nahm das Pergament nicht zurück. Stattdessen drehte er sich ruckartig von ihm weg, sodass Wei WuXian nur noch seinen Rücken sah. „Willst du nicht mit mir sprechen, nachdem wir uns ewig nicht gesehen haben?"Lan WangJi schwieg, doch seine geballten Fäuste zitterten. Wei WuXian wusste nun genau was sein Verhalten bedeutete. Minutenlang brannten sich seine Augen in sein schwarzes Seidenhaar, von dem ihm jede Strähne kostbar erschien. Plötzlich fürchtete er, er könne jeden Moment aus dem Raum fliehen. Ungehalten schlang Wei WuXian seine Arme von hinten um seine Taille. In dieser Geste lag so viel Inbrunst, dass ein Ruck durch Lan WangJis Körper ging, doch er blieb steif. „Du hättest nicht kommen sollen", sagte Lan WangJis tiefe Stimme. „Es ist besser, wenn du sofort wieder gehst!" Das war genau das Gegenteil von dem, was Wei WuXian hören wollte.„Ganz bestimmt nicht! Ich bin den ganzen weiten Weg gekommen-!" „Lass mich los!"Da drehte sich Lan WangJi um und stieß Wei WuXian von sich. „Wieso reagierst du so?", rief Wei WuXian wütend. „Wir sind Freunde! Ich dachte du freust dich, wenn ich dich besuchen komme! Stattdessen sagst du mir ich soll wieder gehen? Was stimmt nicht mit dir, Lan Zhan?!"Lan WangJi trat einen Schritt auf ihn zu, kalter Zorn flackerte in seinen Augen. „Ich meine es ernst, Wei Ying! Verschwinde, oder ich werde gegen dich kämpfen!"Anstatt zurückzuweichen, machte nun auch Wei WuXian einen Schritt auf ihn zu, sodass sich ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt befanden.„Wieso drohst du mich zu bekämpfen? Ist es nicht etwas ganz Anderes, das du willst?" Bei diesen Worten entgleiste Lan WangJis Gesicht. Dies zu sehen erfüllte Wei WuXian mit Genugtuung. Es gab ihm ausreichend Selbstbewusstsein etwas Waghalsiges zu tun. Unverhofft packte er Lan WangJis Kopf und zog ihn an sich heran. Eine merkwürdige Angst spiegelte sich in seinen Augen, doch genau das brachte Wei WuXian dazu die Lippen in seine zu schlagen, wie ein Löwe die Zähne ins Fleisch seiner Beute. Er küsste ihn mit unbändiger Leidenschaft, während Lan WangJi das Blut in den Adern gefror. Wie gelähmt erduldete er den Kuss, dann kämpfte er sich los.„Was machst du da?!" Seine Fäuste ballten sich in Wei WuXians Kragen und versuchten ihn abzuwehren, doch er hielt mit ganzer Kraft dagegen. Wieder pressten sich seine Lippen auf Lan WangJis. Dieses Mal schaffte es seine Zunge sich Einlass zu verschaffen. Als das geschah, spürte er ein leises Zurückweichen der Macht, die sich gegen ihn aufgebäumt hatte. Die Kraft in Lan WangJis Fäusten schwand... „Hör auf!", rief er, doch seine Stimme verlor ihre Nachdrücklichkeit und als Wei WuXian ihn ein drittes Mal küsste, ihre Zungen nun eng umschlungen, empfand er endlich eine zaghafte Erwiderung. Lan WangJis Gesichtszüge entspannten sich. Sein verkrampfter Körper wurde weich, wie der einer Katze. Seine weit aufgerissen Lider sanken schwer hinunter, bis seine Augen gänzlich geschlossen waren. Da wusste Wei WuXian, dass er Lan WangJi erobert hatte.Das Verebben seiner Aggression offenbarte seine wahren Gefühle. Behutsam, fast scheu, begann er sich an Wei WuXian fest zu klammern und gegen seine Lippen zu atmen. In diesem Moment, da Lan WangJi ihm gehörte, wagte Wei WuXian eine alles entscheidende Frage zu stellen.„Was bin ich für dich... Lan Zhan?", flüsterte er. Er antwortete nicht, doch während sich seine Fingerspitzen in Wei WuXians Schultern drückten, funkelten seine dunklen Augen, als würde er einen Helden ansehen, den man sonst nur aus Märchenbüchern kannte. „Sag es mir..." Wei WuXians Handfläche legte sich sanft um Lan WangJis glühende Wange.„W-Wei Ying...", brachte er hervor, dann schlangen sich seine Arme um Wei WuXians Nacken und er küsste ihn. Während des Kusses brachen Tränen aus seinen Augen. „Mein... mein Partner." „Dein Partner?" Ein Grinsen bildete sich auf Wei WuXians vollen Lippen, er wollte noch mehr hören. „Küsst man seinen Partner auf diese Weise, Lan Zhan?" Lan WangJi warf ihm einen leicht erbosten Blick zu. Wie konnte Wei WuXian es wagen in einem so verletzlichen Moment mit ihm zu spielen? Er drehte den Kopf weg, doch Wei WuXian nahm sein Kinn und wandte es wieder in seine Richtung. „Du musst es aussprechen, ich will es von dir hören... Ich weiß es doch schon, Lan Zhan... nur ein Mal! Ich bin nicht der Typ, der zwischen den Zeilen lesen kann... Bitte, ich flehe dich an...!"Lan WangJi zögerte für eine ganze Weile und verharrte in Schweigen. „Du wirst weiterziehen... dein Leben leben... die Zeit an uns vorberennen... während wir ... unabhängig voneinander älter werden." Wei WuXian fühlte einen kurzen Anflug von Frustration. „Wieso musst du nur immer so ausschweifend werden? Was hat all das nun mit diesen einfachen Worten zu tun, die ich von dir hören will?" Er wollte sich bereits von ihm lösen, da hielt Lan WangJi ihn fest, Sorgenfalten lagen auf seiner Stirn.„Wenn ich dir jetzt sage, was ich fühle... welche Konsequenz wird es haben?", seufzte er. „Es macht keinen Unterschied...! Wir werden erneut getrennte Wege gehen..." „Wie kannst du sagen, dass es keinen Unterschied macht...!", hauchte Wei WuXian gegen seine Lippen. „Hättest du mir früher gesagt, dass du mich willst wäre ich nie fort gegangen... Ich wäre an deiner Seite geblieben, ganz egal was dein Clan von mir verlangt...! Ich hätte all eure Regeln befolgt...! Wieso warst du all die Zeit nicht ehrlich zu mir, Lan Zhan?! Sag es mir wenigstens jetzt...!" „Wärst du wirklich geblieben...?", flüsterte Lan WangJi, er klang ungewöhnlich zärtlich. „Würdest du bleiben...? Wenigstens ein paar Tage, wenn ich... zugebe, dass ich... ich dich liebe..." Wei WuXians Herz schien zu zerreißen. Da war es, er hatte es gesagt! Sein Körper schien wie eine Bleifigur einzuschmelzen, alles in ihm den Halt zu verlieren. Er legte seine Hände eng um Lan WangJis Gesicht. „Sag es noch mal...! Ich schwöre ich bleibe für immer hier, wenn du das tust!"„Ich liebe dich...", raunte Lan WangJi erhitzt und wiederholte es gleich noch ein weiteres Mal. „Ich liebe dich, Wei Ying..." Wei WuXian erschauderte. Er fühlte die Wärme seines Gegenübers, seine weichen, sinnlichen Lippen. Ein Moment vollkommener Vereinigung. Auf einmal löste sich ihre Umwelt in Luft auf, sie schienen sich nicht länger im Pavillon der Schriften zu befinden, sondern in einem fernen, überirdischen Universum, zu dem keiner außer ihnen Zutritt hatte. Lan WangJis Duft umhüllte ihn wie ein zarter Seidenschleier und so fühlte sich auch seine Haut an, sodass er mehr davon spüren wollte. Er konnte nicht genau sagen, wie es geschah, doch während sie sich unaufhörlich küssten und berührten schienen sich ihre Gewänder wie automatisch von ihnen zu lösen. Je tiefer sie ineinander versanken, desto mehr öffneten sich die Schleifen ihrer Haarbänder, sodass er irgendwann gänzlich von Lan WangJis offenen Strähnen umfangen war. Das hellblaue Seidenband des Gusu Lan Clans fiel zu Boden und auch Wei WuXians lederner Gürtel fand seine Weg hinunter, wo die metallische Schnalle mit einem leisen Klirren aufprallte.

The SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt