Zustimmung

342 28 0
                                    

Als Jin Ling sein Bewusstsein wiedererlangte, war er um den breiten Stamm eines alten Baumes gefesselt und konnte sich kein Stück bewegen. Mittlerweile standen Sterne am Himmel und sein Atem blies Dunstwolken in die frostige Nacht. In unmittelbarer Nähe spürte er die warme Aura eines Feuers, das knisterte und rotorangenes Licht verstreute. Er befand sich inmitten eines Waldes, doch er war sich nicht sicher ob es sich noch um der Wald in der Nähe des Lotus Piers handelte. Die Umgebung sah ein wenig anders aus.
Betrunkenes Gelächter klang zu ihm hinüber. Seine Entführer saßen um das Feuer herum und tranken Wein. Xue Yang befand sich zwischen Su She und Jin ZiXun und lachte am lautesten. Jin Ling verstand nicht genau, über was sie redeten, es ging um irgendwelche martialischen Dinge. Scheinbar rekapitulierten sie gemeinsam einen blutigen Kampf. Jin Ling fragte sich was so lustig daran war. Die meisten größeren Kämpfe waren blutig und forderten viele Opfer. Es widerte ihn an Menschen darüber lachen zu hören. Die drei schienen aus demselben Holz geschnitzt zu sein und gut miteinander auszukommen.
Jin Ling presste seinen Oberkörper gegen die Seile und versuchte sie zu lockern, ohne dabei ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er saß nicht weit genug entfernt, um tun zu können, was er wollte. Die Seile waren dick und bewegten sich keinen Zentimeter. Verbissen und erfüllt von einem unsagbar schlechten Gewissen, versuchte er es weiter.
Plötzlich spürte er etwas Kaltes an seinen Händen. Er drehte den Kopf, doch der Baumstamm war zu breit, um etwas erkennen zu können. Er fühlte einen leisen Atem an seinen Fingern und schließlich weiche Schnurrhaare.
„Fee...!", rief er leise. Er wusste, dass sein Hund ihn nicht ohne Grund zurückgelassen hatte. Sie verfolgte einen Plan. Womöglich wäre sie von den dreien gefangen genommen worden, hätte sie nicht die Flucht ergriffen, doch so war sie nun in der Lage ihm zu helfen. Ihre scharfen Zähne machten sich lautlos an den Seilen zu schaffen. Es dauerte eine Weile, doch sie schaffte es das Seil vollständig zu zerbeißen. Jin Ling atmete erleichtert auf, doch gerade in diesem Augenblick kam Jin ZiXun auf ihn. Jin Ling hielt das Seil mit beiden Händen fest, damit es nicht lose zur Erde fiel. Jin ZiXun beugte sich zu ihm hinunter. Sein Atem roch nach Alkohol.
„Was ist denn nun mit Jiang Wanyin?", lallte er. „Wieso lässt er sich nicht blicken? Es kommt mir fast so vor, als hätte er den Schwanz eingezogen vor uns!"
„Onkel hat keine Angst vor Euch! Ihr könnt ihm ohnehin nicht das Wasser reichen!", knurrte Jin Ling. Die Binde um seinen Mund hatte sich mittlerweile gelöst.
Jin ZiXun schnaubte verächtlich. „Dass ich nicht lache! Dein Onkel hat den goldenen Kern eines anderen! Er hat seine Ehre als Kultivist längst verloren!"
„Mein Onkel ist ein besserer Kultivist als ihr alle zusammen!"
Jin ZiXun lachte. „Besser als wir? Ohne den goldenen Kern von Wei WuXian wäre er ein Niemand! Selbst als er seinen eigenen golden Kern noch besaß war er nur ein Mittelklasse Kultivist und solche gibt es wie Sand am Meer!"
„Ihr meint, so einer wie Ihr es seid?!" Jin Ling starrte ihn erbost an. „Wozu müsst ihr meinen Onkel beleidigen? Reicht es nicht seinen Freund mit einem tödlichen Fluch zu belegen?!"
Jin ZiXun sah Jin Ling verwundert an und rief den anderen zu. „Habt ihr gehört? Jiang Wanyin und HanGuang Jun sind jetzt Freunde! Wollte dein Onkel ihm nicht eigentlich das Herz rausschneiden?"
Jin Ling bemerkte, dass er wohl ein wenig zu viel gesagt hatte. „Das geht Euch gar nichts an!"
„Du kannst nicht einfach etwas andeuten und dann nicht weiterreden, Jin Rulan! Wir sind neugierig. Was sollte Jiang Wanyin, der sich von der restlichen Welt abschottet, dazu verleiten Freundschaft mit jemandem zu schließen, den er auf den Tod nicht ausstehen kann?"
„Ich sagte bereits: Es geht Euch nichts an!"
„Vielleicht gehört er ja auch zu den Ärmelabschneidern!", rief Xue Yang und brach in schallendes Gelächter aus. Dabei fiel ihm jedoch nicht auf, dass sich ein wolfartiger Hund heranschlich. Um es sich beim Trinken gemütlich zu machen, hatte er seinen Hüftgürtel gelöst und nicht bemerkt, dass er mittlerweile zu Boden gefallen war. Jin Ling sah Fees Umrisse näherkommen, ein Hoffnungsschimmer erleuchtete sein Gesicht.
In einem Moment der Unachtsamkeit hatte Fee Xue Yangs Schwert geschnappt und nun lief sie damit davon.
„Hey!" Xue Yang sprang auf. „Bleib hier, du blöder Mistköter!" Er rannte los und die beiden anderen torkelten hinterher, doch Fee war schneller.
Endlich konnte sich Jin Ling vom Baum losmachen und aufrichten. Vom steifen Herumsitzen taten ihm sämtliche Gliedmaßen weh. Er betastete seine leeren Taschen. Natürlich hatten sie ihm seine Waffen abgenommen, doch er fand sie in unmittelbarer Nähe bei Xue Yangs, Jin ZiXuns und Su Shes Sachen.
„Das ist noch mal gut gegangen...", seufzte er und wischte sich erleichtert über die verschwitzte Stirn. Das Gespräch mit Jin ZiXun war einigermaßen unangenehm gewesen. Nur das Auftauchen von Fee hatte ihn vor weiteren unangebrachten Fragen retten können.
Er sah in die Ferne, wo die drei Männer mit seinem Hund verschwunden waren. „Pass auf dich auf, Fee. Wir sehen uns in ein paar Tagen."

Jin Ling lief noch eine Weile, den Rest der Nacht verbrachte er in der Kuhle eines von Unwettern zerstörten Baumstammes. Mit viel Mühe und wenig Schlaf fand er sich schließlich wieder in den Straßen von Yiling wieder. Als er das Gasthaus erreichte, zögerte er lange einzutreten.
Er fühlte sich schrecklich. Er hatte sein Versprechen nicht halten können und fürchtete nichts mehr als das, was er nun im Innern antreffen würde. Lan WangJi war mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben. Er dachte mit Grauen an die vielen Phasen des Leides, die er mit HanGuang Jun, der ihm einst so fremd erschienen war, zugebracht hatte, wie er ihm Medizin gegeben und seine Wunden desinfiziert hatte. Wenn nicht ein Wunder geschehen war, musste all das umsonst gewesen sein...
Das Schlimmste befürchtend, ging er nun hinein. Mit tief gesenktem Kopf wanderte er an den Menschen in der Gaststätte vorbei, die Treppen hinauf, bis er vor der Tür ihres Zimmers stand.
Jahre schienen vergangen zu sein seit er diese Tür hinter sich geschlossen hatte, doch in Wirklichkeit lag nur etwas mehr als eine Nacht zwischen seinem Aufbruch und seiner Ankunft.
Ruhe lag in dem Gästezimmer, das gestern noch voll von HanGuang Juns schmerzvollen Schreien gewesen war. Ein kühler Windhauch berührte Jin Lings glühende Wangen, er kam vom geöffneten Fenster, zu dem helles Licht aufs Bett fiel. Ein Mann lag darin, leichenblass, doch Jin Ling stand noch zur Hälfte hinter dem Raumtrenner und konnte nur seine nackten Füße sehen. Gerade wollte er nähertreten, da wehten die transparenten Stoffbahnen eines Morgengewandes an ihm vorbei. Das Licht fiel hell auf die Umrisse einer schlanken Gestalt, die zum Fenster lief, um es zu schließen.
Jin Ling hielt den Atem an, so graziös, so beispiellos elegant erschienen die Bewegungen dieser Silhouette. Er folgte den Linien des langen Halses, des feinen Kinns und den fließenden glatten Haaren fasziniert, und als sich die Person umdrehte, fiel sein Blick in das reine, weiße Gesicht von Lan WangJi.
Jin Ling hielt den Atem an, als ihre Augen sich trafen und er sah seinen Gegenüber kurz innehalten.
„Ha-HanGuang Jun!" Jin Lings Augen füllten sich mit Tränen, noch nie war er so glücklich darüber gewesen das zweithöchste Mitglied des Gusu Lan Clan zu erblicken. In der Vergangenheit hatte die Vorstellung ihn zu sehen eher Magenkrämpfe in ihm ausgelöst.
„Jin Rulan.", Lan WangJi verbeugte sich, doch Jin Ling kam auf ihn zu gerannt und umarmte ihn stürmisch. Ein wenig überrumpelt ließ Lan WangJi es zu. „Ihr lebt...! Oh, gottseidank! Ich hatte ein so schlechtes Gewissen...! I-Ich wollte Euch doch retten, aber ich habe es vermasselt...!"
Lan WangJis Gesicht milderte sich. „Was ist geschehen nachdem du aufgebrochen bist?"
Jin Ling betrachtete ihn überrascht. „Ihr erinnert Euch? Wart Ihr nicht völlig weggetreten vom Fieber?"
Lan WangJi nickte leise. „An ein paar Dinge erinnere ich mich..."
„Ihr wart ganz schön seltsam, habt meinen Onkel sogar für Wei WuXian gehalten!", lachte Jin Ling. Obwohl er diese Bemerkung nur beiläufig fallen ließ, legte sich eine eigentümliche Röte auf Lan WangJis Gesicht. „Jedenfalls wollte ich Wei WuXian und den Gusu Lan Clan zu Hilfe rufen, aber Xue Yang hat den Talisman zerstört! Er, ZiXun und Su She, die Verräter, haben mich gefangen genommen und gefesselt! Zum Glück konnte ich mich auf Fee verlassen... sie hat mich aus dem ganzen Schlamassel befreit! Es tut mir so leid, HanGuang Jun... Ich habe auf ganzer Linie versagt!"
Jin Ling senkte den Kopf, doch Lan WangJi legte eine Hand auf seine Schulter.
„Sagt mir nur eins HanGuang Jun... Wie kommt es, dass es Euch nun wieder gut geht? Ihr seht aus wie neu geboren! Wie seid Ihr geheilt worden?"
Lan WangJis Blick fiel erst zu Boden, dann kletterte er vorsichtig zu den Seiten des Bettes wieder hinauf. Nun erst bemerkte Jin Ling, dass der Mann, der im Bett lag, sein Onkel war. Er schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund und eilte zu ihm.
„Onkel...!", rief er. „Was ist mit ihm...?! Er sieht so bleich aus...! Ist er tot?!"
Lan WangJi schüttelte leise den Kopf. „Nur geschwächt..."
Jin Ling betrachtete seinen Onkel. Sein Gesicht hatte beinahe die gleiche Farbe wie die weiße Bettwäsche. Seine Haare waren offen und verschwitzt, seine Lippen hatten ihre Röte verloren. Mittlerweile trug er ebenfalls ein Schlafgewand, seine eigentliche Uniform lag feinsäuberlich gefaltet auf einem Stuhl.
„Ich verstehe das nicht...! Wart Ihr nicht derjenige, der krank war? Wieso geht es Onkel jetzt so schlecht!? Er wird sich doch nicht bei Euch angesteckt haben, oder?!"
Als Jin Ling den Kopf hob streckte HanGuang Jun ihm einen beschriebenen Notizzettel entgegen. Verwundert nahm er ihn.
„Lies.", sagte Lan WangJi ruhig. Jin Ling starrte ihn verwirrt an. Er konnte sich nicht erklären wieso ihm Lan WangJi nun ein solches Gekritzel unter die Nase hielt. Während Jin Ling las, holte Lan WangJi ein Tuch aus der Schublade und begann Jiang Chengs feuchte Stirn abzutupfen.
Jin Ling fühlte sich von ihm abgelenkt. Einerseits verstörte ihn der Text über die Transplantation des goldenen Kerns, andererseits lag etwas Ungewohntes in Lan WangJis Gesten. Er war seinem Onkel gegenüber nie derart sanft und fürsorglich gewesen.
Auf einmal, Jin Ling hatte den Text nicht einmal bis zum Ende gelesen, fiel der Groschen. Jin Lings Augen füllten sich mit Tränen, er ließ den Zettel sinken. Ohne ein Wort zu sagen begann er zu weinen. Der Schmerz in ihm war zu groß.
Lan WangJi saß auf dem Bett und lauschte seinem verzweifelten Schluchzen mit halb geschlossenen Augen. Auch er schien in tiefe Gedanken versunken.
Eine ganze Weile später brachte Jin Ling die ersten Worte heraus. „So ist Onkel also, wenn er jemanden liebt..."
Lan WangJi schwieg, sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
„Ich habe mich stets gefragt, ob er auch eine andere Seite hat...", sagte Jin Ling. „Ich hoffe Ihr wisst zu schätzen, was für eine große Sache das für ihn ist, HanGuang Jun..."
Lan WangJis drehte den Kopf in Jiang Chengs Richtung. „Ich war so wütend... weil er mein Kaninchen getötet hat..." Seine Stirn begann eigentümlich zu zucken und sich zu kräuseln. Auf einmal verbarg er die Augen hinter seiner Hand und schluchzte.
„HanGuang Jun!" Jin Ling sprang auf und setzte sich neben ihm.
„Was habe ich ihm nur angetan, Jin Rulan...!" Lan WangJi bebte.
Noch nie in seinem Leben hatte Jin Ling HanGuang Jun weinen sehen, die Vorstellung war bis zum jetzigen Zeitpunkt so abwegig gewesen, dass er nie geglaubt hatte, dass Lan WangJi überhaupt zu so etwas fähig war. Doch nun fiel das starre, regungslose Wesen, das Jin Ling bisher für HanGuang Jun gehalten hatte, einfach von ihm ab, und für den Jungen, der vor ihm saß, der gar nicht so viel älter war als er, hatte Jin Ling ein ganz anderes Verständnis.
„HanGuang Jun, Ihr habt ihn zu nichts gezwungen...! Er tat es aus freien Stücken, weil Ihr ihm am Herzen liegt...!", sagte Jin Ling. „Er ist stark, er wird die Konsequenzen mit Würde tragen...!"
„Ein Leben ohne spirituelle Kräfte ist für ihn gleichbedeutend mit dem Tod... Wei Ying wusste das...", sagte Lan WangJi mit gesenktem Kopf.
„Mein Onkel hatte damals, als seine Eltern gestorben sind und der Lotus Pier zerstört wurde, keinen Lebenswillen mehr... doch nun... hat er Euch.", sagte Jin Ling. „Ich weiß nicht viel vom Leben, aber ich weiß, wie es ist verliebt zu sein. Manchmal ist es das beste Gefühl der Welt und manchmal die schlimmste Höllenqual... Ganz egal, ob Ihr Wei WuXian heiratet oder nicht – so lange Ihr existiert und mein Onkel Euch lieben kann... wird er sich lebendig fühlen, auch ohne seinen goldenen Kern."
Lan WangJis Gesichtsausdruck veränderte sich eigentümlich. Auf einmal schien er Jin Ling mit akribischer Genauigkeit zu mustern.
„Wenn du willst nehme ich dich in den Gusu Lan Clan auf.", sagte er dann, aus heiterem Himmel, doch Jin Ling hob abwehrend die Hände.
„G-Gusu Lan Clan?! Dort gibt es von morgens bis abends nur Grünzeug zu essen und Regeln auswendig zu lernen! Nein, danke! Aber ich nehme das als Kompliment auf, HanGuang Jun, anscheinend haltet Ihr mich für geeignet."
„Sehr geeignet.", erwiderte Lan WangJi, seine Ernsthaftigkeit brachte Jin Ling zum Lachen.
Sie saßen noch eine Weile an Jiang Chengs Bett und redeten leise, um ihn nicht aufzuwecken. Dann wollte Lan WangJi auf den Markt gehen, doch sein Gewand war schmutzig und er hatte nichts, womit er nach draußen gehen konnte. Jin Ling bot sich an die Einkäufe zu erledigen. Lan WangJi gab ihm etwas Geld, um Essen einzukaufen. Die drei hatten in den letzten Tagen so gut wie keine Nahrung zu sich genommen und besonders Jiang Cheng brauchte eine Stärkung.
Lan WangJi ging hinunter zum Gastwirt, um nach etwas zu fragen, mit dem er sein Gewand sauber machen konnte. Als der Mann ihn sah, weiteten sich seine Augen. Sie wanderten an Lan WangJis betörender Gestalt auf und ab. In seinem weißen Schlafgewand schien er sich jedoch ein wenig zu schämen. Die Köpfe drehten sich nach ihm und er glaubte es läge an seiner unangemessenen Garderobe. Verhalten flüsterte er dem Gastwirt zu:
„Habt Ihr vielleicht etwas, womit ich meine Kleider reinigen kann?"
„Meine Güte, junger Mann! Ihr strahlt ja wie die Sonne am Himmel!", rief er. „Ich dachte schon Euer Zustand hätte sich verschlimmert! Gestern kamen beunruhigende Geräusche aus Eurem Zimmer, aber nun bin ich erleichtert! Es scheint Euch wieder gut zu gehen. Mal sehen, wie ich Euch helfen kann." Er holte einen hölzernen Eimer und eine Bürste hervor und stellte sie auf die Theke.
„Vielen Dank", sagte Lan WangJi höflich. „Dass es mir wieder gut geht habe ich der Unterstützung meines Freundes zu verdanken."
„Der ruppige Bursche mit den breiten Schultern? Dann hat die Medizin also geholfen, das freut mich!", sagte der Wirt. „Dennoch bin ich gezwungen Euch an die Kosten zu erinnern. Ich habe bisher nur eine mickrige Anzahlung für das Zimmer bekommen und Ihr seid mittlerweile schon ein paar Tage hier...!"
Lan WangJi holte etwas aus seinem Ärmel hervor und legte es auf die Theke. Es war ein Beutel gefüllt mit Gold. Der Gastwirt nahm ihn, zog die Schleife auf und starrte Lan WangJi ungläubig an.
„J-Junger Herr...! Wer... seid Ihr?!"
„Nehmt alles.", sagte Lan WangJi und verschwand zur Treppe. Die Leute an den Tischen begannen zu tuscheln.
„Es ist HanGuang Jun vom Gusu Lan Clan...!"
Lan WangJi war bereits wieder im Zimmer und hörte ihre Stimmen nicht mehr. Die Sonne schien warm zum Fenster hinein. Er füllte den Eimer mit heißem Wasser und tauchte das violette Gewand hinein. Er schrubbte und rubbelte aus Leibeskräften, bis seine Hände rau und gerötet waren, doch der Stoff war voll mit eingetrocknetem Blut, unmöglich es zu entfernen. Er seufzte und beschloss es einweichen zu lassen.
Gerade war Jiang Cheng zu sich gekommen und so ging er zum Bett, um ihm ein Glas Wasser einzugießen. Jiang Chengs halbgeöffnete Augen folgten ihm. Vorsichtig führte er die Schüssel zu Jiang Chengs Lippen und er trank sie ganz aus.
„Deine Hände...!" Jiang Chengs Blick fiel auf Lan WangJis wunde Haut.
„Der Schmutz in meinen Kleidern ist hartnäckiger als erwartet...", sagte Lan WangJi und verbarg seine geschundenen Hände im Schoß. „Jin Rulan ist zurück... Ich werde ihn fragen, ob er mir etwas zum Anziehen besorgen kann."
„Jin Ling?" Jiang Cheng wollte sich aufsetzten, sofort wirkte sein Gesicht unruhig. Lan WangJi legte die Hand auf seine Brust und drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück ins Kissen.
„Du darfst dich nicht aufregen."
„Hat er gesagt was passiert ist? Warum er uns im Stich gelassen hat? Ich hoffe das kleine Gör hat eine gute Erklärung...!"
„Xue Yang ist ihm begegnet... sie waren zu dritt. Er hätte es nicht schaffen können.", sagte Lan WangJi. „Sei nicht böse auf ihn."
Jiang Cheng, eben noch am Rande eines Wutanfalls, verfiel dem gemächlichen Ton von Lan WangJis Stimme. Er wirkte anmutig wie die Oberfläche eines Bergsees am frühen Morgen. Sein Haar schien wie ein leiser Strom in seine weiten Ärmel überzufließen. Lan WangJi bemerkte sein plötzliches Schweigen.
„Was ist?"
Jiang Cheng schüttelte leise den Kopf. „Ich... habe nur einen Momentlang dem Schicksal gedankt..."
Lan WangJi spürte Jiang Cheng nach seinen verwundeten Händen greifen. Er führte sie zu seinen Lippe und pustete kühle Luft über seine Fingerknochen.
Lan WangJi wandte verlegen den Kopf in eine andere Richtung. „Jiang Wanyin...", begann er. „Erinnerst du dich noch, warum ich eigentlich zu dir gekommen bin?"
Jiang Cheng hielt inne, ließ Lan WangJis Hände sinken und schwieg für einen Moment.
„Es wird Zeit für mich zu gehen.", sagte Lan WangJi, in seiner Stimme zitterte ein seltsamer Schmerz. „Ich kann dir niemals genug danken, für das, was du für mich getan hast. Aber ich... muss zurück zu Wei Ying."
Jiang Cheng nickte leise. „Hast du die Geschenke?" Lan WangJi sah ihn für einen Augenblick verwirrt an. „Na die Geschenke für deinen Bräutigam! Wie soll ich dir sonst meine Erlaubnis geben?"
Ein Anflug von Glück erfüllte Lan WangJis Brust. Auf wackligen Beinen eilte er zu den Gegenständen, die er zuvor aus dem Gewand geholt hatte. Er brachte sie zu Jiang Cheng. Plötzlich schien er eigentümlich nervös. Er reichte Jiang Cheng mit beiden Händen einen Brief.
„Wenn du ihn... lieber nicht lesen möchtest dann-"
„Unsinn, ich lese ihn! Für wen hältst du mich, HanGuang Jun? Ich kann doch nicht einfach meine Unterschrift unter etwas setzen, von dem ich nicht weiß, was drinsteht." Jiang Cheng öffnete den Brief.
„Jiang Wanyin", begann er. „In diesem Brief möchte ich förmlich um die Hand Eures Bruders, Wei WuXian anhalten und Eure Zustimmung zu unserer Hochzeit erbitten.
Ich kenne Wei WuXian schon seit langer Zeit, doch viele Schicksalsschläge führten dazu, dass wir erst in diesem Jahr zueinander fanden. Seitdem lebt er bei mir im Gusu Lan Clan, wo wir ihn künftig als festes Mitglied aufnehmen wollen. Mein Bruder, Zewu Jun, hat bereits sein Einverständnis gegeben.
Wei WuXian wird es bei uns guthaben. Ich verspreche mich stets um seine Bedürfnisse zu kümmern und ihm jeden Wunsch erfüllen.
Beigefügt findet Ihr ein kostbares Geschenk, dass ich selbst angefertigt habe. Es soll der erste Schritt von vielen sein und unser Hochzeitsritual einleiten.
Ich danke Euch aus vollem Herzen,
HanGuang Jun"
Lan WangJi war errötet, er hatte nicht damit gerechnet, dass Jiang Cheng den Brief laut vorlesen würde. „Es ist... ein wenig steif formuliert..."
Jiang Cheng betrachtete den Brief und faltete ihn kopfschüttelnd zusammen. „Du hast die Worte gewählt, die du für richtig hieltst... und die finde ich... Ich finde sie..."
Er biss sich auf die Lippen. Er wusste, dass es besser war nicht ins Details zu gehen, nicht weiter so offensichtlich von Lan WangJi zu schwärmen, während es um einen anderen ging.
„Das Geschenk?"
Lan WangJi reichte ihm nun einen länglichen, in dünnes Pergament gewickelten Gegenstand. Jiang Cheng bemerkte ein eigentümliches Kribbeln in seinen Fingerspitzen als er ihn berührte. Er streifte das Papier ab und hielt er eine elfenbeinweiße Flöte in Händen. Feine Silberlinien schlängelten sich ihren schlanken, glatten Körper entlang. Er fühlte, dass eine mächtige spirituelle Energie sie durchfloss. Sie musste mindestens so stark sein wie Chenqing, doch dieses Kribbeln, nun so stark, dass es ihm die Arme hochkletterte, war von einer solch durchdringenden Wärme, dass er die Hingabe und Liebe, mit der sie gefertigt worden war, in allen Gliedern spürte.
„Was sagst du?", fragte Lan WangJi gespannt. Jiang Cheng war der erste, dem er die Flöte jemals zeigte. Selbst vor Lan XiChen hatte er sie geheim gehalten.
„Du bist ein Genie...", murmelte Jiang Cheng. Er hatte das Bedürfnis diese Flöte noch länger in Händen zu halten, mit ihr zu spielen und das Gefühl in seinen Fingern noch zu verstärken, doch Lan WangJi nahm sie ihm aus der Hand und ließ sie wieder im Permanent verschwinden.
Danach saßen sie lange Zeit schweigend nebeneinander. Das Lächeln verschwand aus Jiang Chengs Gesicht. Lan WangJi wartete ungeduldig. Der Brief lag auf dem Nachttisch und schien nach Aufmerksamkeit zu lechzen.
Dann endlich geschah etwas. Aus einem Impuls heraus zog Jiang Cheng die Nachttischschublade auf, holte Feder und Tusche hervor und setzte seinen Namen ans Ende des Briefes. Lan WangJi nahm ihn mit zitternden Händen entgegen.
„D...Danke.", sagte er mit brüchiger Stimme. Nun also hatte er sie endlich: Jiang Chengs Einverständniserklärung. Er konnte es kaum glauben, sein Herz schien sich zu überschlagen und doch war dort etwas Zweites in seiner Brust, das schmerzte und sich zwischen seine Glücksgefühle drängte, wie eine Schlange in ein Vogelnest.
„Es war ein langer Weg, nicht wahr?", sagte Jiang Cheng, etwas in diesen Worten klang so endgültig, dass Lan WangJi glaubte den Boden unter den Füßen zu verlieren. „Dann werde ich... dich wohl irgendwie vergessen müssen."
Da ergriff Lan WangJi seinen Arm. „Begleite mich nach Gusu.", sagte er plötzlich. „Versöhne dich mit Wei Ying...!"
Jiang Cheng verzog das Gesicht. „Mich mit Wei WuXian versöhnen!? Eher wird Jin Ling Clanführer des Lanling Jin Clans! Warum sollte ich so etwas tun...?!"
Lan WangJis Finger krallten sich in den Stoff von Jiang Chengs Ärmel. Seine Augen flimmerten. „Weil ich es nicht ertragen könnte, wenn ihr euch weiterhin hasst...!"
Jiang Cheng betrachtete Lan WangJis verzweifelten Ausdruck. „Jiang... Jiang Cheng.", sagte er. „Wie kann das, was du für mich getan hast, keine Spuren auf meiner Seele hinterlassen...?"
Jiang Cheng schluckte, sein Herz raste. „W-Was meinst du damit...?"
Lan WangJi sah ihn verzweifelt an. „Am Angang hielt ich dich für Wei Ying... Ich war überglücklich ihn wiederzusehen... ihn im Angesicht des Todes bei mir zu haben...! Doch als du den Schnitt gemacht hast... als der goldene Kern sich absenkte..."
Jiang Chengs Augen weiteten sich. „D-Du wusstest es...!", rief er. „Du wusstest, dass ich es bin und... trotzdem hat es funktioniert...?!" Jiang Cheng erinnerte sich jedoch noch an etwas anderes. Seine Kehle wurde trocken und rau. „D...der Kuss...!"
„Jiang Cheng...", begann Lan Wangji. „Wenn der goldene Kern so eng an die Gefühle der Menschen geknüpft ist... und ich nun einen Teil von Wei WuXians Gefühlen in mir trage...warum fühle ich plötzlich diese Liebe...? Bedeutet es nicht..., dass sie eigentlich Wei WuXians Liebe ist...?"
„Das würde bedeuten... D-Das würde bedeuten...!"
Er hat uns beide geliebt.
Da schlug die Tür auf und beladen mit Körben voll Obst, Gemüse und anderen Zutaten, kam Jing Ling zur Tür hinein. Er hatte gute Laute, das Wetter war sonnig und endlich schien die Lage sich etwas beruhigt zu haben.
„Ich bin wieder da!", rief er, ohne zu ahnen in welche Situation er gerade hineinplatzte. „War viel los auf dem Markt, kaum kommt die Sonne raus, stürzen sich die Leute auf Obst und Gemüse! Aber ich habe alles bekommen! Daraus wird sich eine gute Suppe machen lassen!"
Lan WangJi und Jiang Cheng wirkten seltsam ertappt, als er zu ihnen stieß. „Alles in Ordnung? Störe ich irgendwie...?"
Jiang Cheng schnaufte. „Kaum bist du wieder hier stellst du alles auf den Kopf! Was hast du nur wieder angestellt?! Xue Yang hat dich gefangen genommen?! Was wollte er von dir?"
„Er hat den Talisman zerstört! Es gefiel ihm gar nicht, dass ich nach Gusu wollte. Jin GuangYao will HanGuang Jun beiseiteschaffen. Er hat alles akribisch geplant. Xue Yang stand von Anfang an auf dem Markt, damit er auf ihn reinfällt!"
Jiang Cheng tauschte erschrockene Blicke mit Lan WangJi. „Wenn das wahr ist... muss ich dich begleiten." Jin Ling beobachtete, wie Jiang Cheng Lan WangJis Hände nahm. „Ich kann nicht zulassen, dass er dir erneut etwas antut! Ich bringe dich bis vor die Haustüre, wenn's sein muss! Und danach knöpfen wir uns diesen Mistkerl vor! Wer glaubt er eigentlich, wer er ist?! Wenn Zewu Jun davon wüsste...!"
„XiChen wird uns nicht glauben...", erwiderte Lan WangJi. „Er vertraut Jin GuangYao, ganz egal wie zwielichtig die Situation ist... Es wird schwer ihn zu überzeugen."
„Wartet mal... bedeutet das wir ziehen schon wieder weiter?! Aber doch hoffentlich nicht, bevor wir etwas gegessen haben...?!", rief Jin Ling verzweifelt. Er sah sich schon wieder tagelang Hungern.
„Wir gehen nicht, bevor sich dein Onkel erholt hat." Lan WangJi war einen strengen Blick zu Jiang Cheng.
„Aber...Jin GuangYao... wie dürfen keine Zeit ver-!"
„Shh..." Lan WangJi legte den Zeigefinger auf seine Lippen und brachte ihn damit zum Verstummen. „Du musst jetzt ruhen... Jin Rulan... wir machen die Suppe."
Jin Ling nickte und Lan WangJi erhob sich vom Bett. Jiang Cheng sah ihm sehnsuchtsvoll nach.

The SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt