Entscheidungen

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Nachdem Lan WangJi seine Morgenrituale hinter sich gebracht hatte, machte er sich auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer. Während er angestrengt versuchte zu studieren, schweiften seine Gedanken immer wieder weit ab, obwohl ihn nichts als der ruhige Herbstnachmittag umgab. Ein Duft von Laub und Wald lag in der Luft, der seicht durch die Fenster zu ihm hineinschwebte. Er spürte ein Kitzeln an seinem Rocksaum und wandte überrascht den Kopf, um das flauschige, weiße Köpfchen eines Kaninchens zu erkennen. Sofort füllte sich sein Herz mit Wärme, er nahm das Kaninchen und setzte es auf seinen Schoß.
„Wei Ying... Er hat dich wieder freigelassen, um mich von der Arbeit abzulenken...", raunte er, doch seine Stimme klang sanft, als er seine Finger durch das weiche Fell gleiten ließ. Dieses Kaninchen war Lan WangJis Liebling. Er mochte sie zwar alle, doch es schien aufmerksamer und klüger als die anderen. Wenn man es ließ, folgte es ihm überall hin und so hatte er es, im Gedanken an Wei WuXian, „Hue"(=Feuer) genannt. Er seufzte und beschloss Hue bei sich zu behalten und eine Pause einzulegen. Es verblieb nur noch wenig Zeit bis die Mittagsglocke läutete. Nach dem Essen würde er vielleicht wieder besser arbeiten können.
Der Grund für seine Konzentrationslosigkeit ließ sich einfach zusammenfassen. Hinter ihm lag eine dieser Nächte...
Er zog die Schublade seines Schreibtisches auf, um eine in Seide eigewickelte Mappe hervorzuholen. Er tauchte den Pinsel in Tusche und begann zu schreiben.
//Seit Wei WuXian mit mir das Schlafzimmer teilt, fällt es mir schwer ihn abzuweisen. Ich muss nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen mich selbst ankämpfen...
Als er mich damals mit dem pornografischen Buch konfrontiert hat wollte ich ihn, genau wie diese schmutzigen Seiten, in der Luft zerfetzen. Ich betrachtete es als Feind. Ich dachte: Wenn er so etwas gut findet würde er wohl kaum meine Vorlieben teilen...
Nun habe ich bereits so viel Schande über mich gebracht... Onkel würde mich zu Tode peitschen, wäre er noch am Leben. Ich gedenke ihm in Trauer, doch auch mit Hoffnung. Nicht alle seine Ideale waren richtig. Er hat in Wei Ying stets einen Aussätzigen gesehen, nie wollte er seine wahre Persönlichkeit erkennen...
Mit Wei Ying zu schlafen ist nicht falsch. Die ersten Male ertrug ich es, dann erduldete ich es und nun genieße ich es. Ich genieße es so sehr, dass es nicht gesund für mein Leben ist. Es stört meinen Alltag, meine Fähigkeiten. Es ist als würde ein Teil von mir sich verändern. Ich sehe in den Spiegel und ertappe mich bei Bewegungen, die eigentlich seine sind... doch das Merkwürdigste daran ist, dass es mich irgendwie glücklich macht...//
Er machte eine Pause und betrachtete das Kaninchen, das in seinem Schoß schlief. Er streichelte gedankenverloren durch das zarte Fell.
„Es ist nicht falsch...oder?", murmelte er. Hue atmete nur leise vor sich hin.
Er blätterte ein paar Seiten zurück, zu einem Eintrag, den er mittlerweile mit zwei Klammern zusammengeheftet hatte, denn er beschämte ihn so sehr, dass er es kaum ertrug ihn ein weiteres Mal zu lesen.
Seine Augen wanderten vorsichtig zu den Klammern. Er bemerkte, dass eine davon leicht verbogen war, als habe man versucht sie in Eile dort zu befestigen. Normalerweise bewegte er sich ruhig und besonnen. Er fragte sich, ob sein Zustand im Moment des Schreibens dazu beigetragen hatte die Klammern so zu verbiegen.
Mit zitternden Fingern löste er sie und wagte zu lesen, was sein berauschtes Ich vor drei Monaten geschrieben hatte. In dieser einen, besonderen Nacht, als „erdulden" zu „genießen" geworden war...
// So schläfst du neben mir, Wei Ying, nackt und schön, deine Haut schimmernd wie goldene Seide, und ich betrachte dich, mit all diesen Gedanken, die noch in mir wüten. Wie kannst du einschlafen und mich so zurücklassen? Wie soll ich je wieder vernünftig sein? Du herrschst wie ein König über mich. Wei Ying, ich habe nie geliebt, bevor wir uns kannten. Ich wusste nichts von Leidenschaft. Jetzt bin ich entfacht. Wie kann etwas, das ich einst für schmutzig hielt, doch so rein und vollkommen sein, dass in mir Träume zum Leben erwachen, die niemals wahr werden können? Genau in diesem Moment will ich dich nie wieder loslassen. Es ist wie du sagtest: Ich bin dein Mann und du meiner. Nichts außer dieser Tatsache sollte jetzt noch eine Rolle spielen. Wei Ying, genauso muss es bleiben. Ich werde dich bitten dein Leben mit mir zu verbringen, am liebsten würde ich es sofort tun, doch du schläfst und vielleicht ist es besser so, denn ich bin gerade nicht der, der ich sein sollte, nicht HanGuang Jun, nicht einmal Lan WangJi. In einer Fantasie, die dem wirklichen Leben fern liegt, werde ich bei Jiang Cheng um deine Hand anhalten. Er wird lächelnd zustimmen. Als wäre es nichts Besonderes werden sich unsere Clans versammeln und uns gratulieren. Wei Ying, wollte ich je etwas anderes? Wenn ich nun einschlafe, dann im Gedanken an diese unsinnigen, wundervollen Träume von einer Unendlichkeit mit dir. Ich will glauben, dass es eines Tages so sein wird, nur für diesen Augenblick..."
Von seinen eigenen Worten errötet, heftete Lan WangJi die Seiten schnell wieder zusammen. Er wollte das Buch gerade wieder in der Schublade verschwinden lassen – denn es hatte zum Mittagessen geläutet – da fiel sein Blick auf einige verschmierte Stellen.
Wassertropfen?
Seine Fingerspitzen wanderten forschend über das Pergament. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie sie dorthin gekommen waren. Er trank nicht, wenn er an seinem Schreibtisch saß und selbst wenn hätte er nie etwas verschüttet...
Ein kalter Schauer überkam ihn. Er dachte an die verbogene Klammer.
Auf einmal wurde ihm etwas bewusst. Ruckartig fuhr er von seinem Sitz auf, das Kaninchen wachte auf und versteckte sich unterm Tisch. Es fühlte die Änderung seines Gemütszustandes.
Erinnerungen von unterschiedlichen Momenten der letzten sechs Monate schossen wie Pfeile durch seinen Kopf.
//„Ist es nicht etwas ganz Anderes, das du willst?" hörte er Wei WuXian sagen, daraus war ihr erster Kuss entstanden.
Vor etwa vier Monaten hatte Lan WangJi Wei WuXian dabei ertappt frische Orchideen auf seinem Schreibtisch aufzustellen und sich über diese Aufmerksamkeit gewundert...
„Die alten waren verblüht und du hast sicher gerade keine Zeit...", war seine Antwort gewesen.
„Hey Lan Zhan...", Wei WuXians Stimme hatte verführerisch geklungen in dieser einen, schwülen Spätsommernacht. „Lass es uns heute umgekehrt machen... das würde dir doch gefallen, oder?"//
Lan WangJi lief rot an vor Zorn. Er klappte die Mappe zu und lief damit zu einem Schrank, der sich in der hintersten Ecke des Zimmers befand. Nachdem er sie weggeschlossen hatte, belegte er die Tür mit einem Zauber. Er konnte nicht sicher sein, dass die Barriere nicht von Wei WuXian gebrochen wurde, denn er lernte die Formeln des Lan Clans schnell, doch für diesen Moment verschaffte es ihm Linderung.
So aufgebracht dachte er nicht mehr ans Mittagessen. Während sich alle Mitglieder des Gusu Lan Clans gemächlich auf den Weg zum Saal der Speisen machten, hastete er in großen Schritten über den Hof, seine weiten Ärmel wehten so rasch an den Schülern vorüber, dass sie nicht sicher waren ihn wirklich gesehen zu haben.
„Der junge Herr HanGuang Jun bewegt sich schneller als ein Blitz", staunten sie, „Ob ich am Ende meiner Ausbildung auch solche Fähigkeiten haben werde?"
„Ich fürchte wir werden nie an ihn heranreichen!"
Ihre Stimmen zerstreuten sich im Innern des Gebäudes, aus dem gerade Wei WuXian heraustrat. Im Gegensatz zu denen der Schüler, waren seine Augen schnell genug, um Lan WangJis Weg zu verfolgen.
„Lan Zhan!"
Er befand sich zu weit weg, als dass man ihn hätte hören können. Immer noch bester Laune, wollte er Lan WangJi zum Mittagessen rufen, mit ihm einen Tisch teilen, ein paar geheimnisvolle Anspielungen fallen lassen, doch alles andere für sich behalten. Lan WangJi würde ihn von oben bis unten mustern, ohne ein Kompliment über die Lippen zu bringen, und versuchen seinen weißen Hanfu in irgendeinen Zusammenhang zu bringen.
„Lan Zhan!" Er rannte ihm hinterher.
Normalerweise drehte sich Lan WangJi nicht gleich um, doch dieses Mal wandte er sich sofort in seine Richtung, als habe er ohnehin zu ihm gewollt. Bevor Wei WuXian es überhaupt begreifen konnte, zog Lan WangJi BiChen. Da er sich verteidigen musste und keine andere Wahl hatte, griff er zu Suibian. Die gläserne Klinge von BiChen klirrte laut gegen Suibians Schneide, sodass man darauf aufmerksam geworden wäre, hätten nicht alle Clanmitglieder bereits Platz im Speisesaal genommen. Nur der kühler werdende Wind belauschte ihre Auseinandersetzung. Trockenes Laub wirbelte durch den Hof.
Lan WangJis schwarzes Haar schlug große Wellen, seine Augenbrauen waren tief in die Stirn gezogen, seine Augen funkelten vor Wut.
„Lan Zhan! Beruhige dich! Was ist denn los? Können wir nicht darüber red-!"
Lan WangJi trat einen Schritt auf ihn zu und griff weiter an. Wei WuXian, der mittlerweile Verbesserungen im Schwertkampf erzielt hatte, doch seinen goldenen Kern nicht mehr besaß, tat sich schwer mitzuhalten. Lan WangJi war einer der besten Schwertkämpfer des Landes – er selbst geradeso auf gutem Amateurlevel. Er konnte seiner Kraft nicht lange standhalten.
Suibian fiel schallend zu Boden, während sich die Klinge von BiChen an seinen Hals presste. Jedes andere Schwert hätte sich kalt angefühlt. BiChens scharfe Klinge schnitt bereits bei leichter Berührung so tief, dass Blut strömte. Doch BiChen, als Lan WangJis spirituelle Waffe, im Geiste mit ihm verbunden, ließ eine ernsthafte Verwundung Wei WuXians nicht zu.
Er legte einen Finger auf die Schneide und führte das Schwert behutsam einige Zentimeter von seinem Gesicht weg.
„Du hast darin gelesen!", keuchte Lan WangJi. Er hatte sich nicht so enorm verausgabt, dass die Bewegung allein ihn außer Atem brachte. Seine Wut machte ihn so kurzatmig. „Wie kannst du es wagen-!"
Wei WuXians Freude und Sorglosigkeit wich aus seinem Gesicht. Er hatte befürchtet eines Tages aufzufliegen, doch nicht ausgerechnet jetzt. Er sah sein Vorhaben in weite Ferne schwinden. So wie er Lan WangJi kannte, empfand er Wei WuXians Tat als großen Vertrauensbruch.
„Lan Zhan... Lass' mich erklären", begann er vorsichtig, doch Lan WangJi schüttelte den Kopf.
„Die ganze Zeit habe ich mich gewundert, was mit dir nicht stimmt! Ich dachte du hättest dich verändert! Stattdessen hast du es nur schamlos ausgenutzt meine Gedanken zu kennen!"
„Zhan Zhan-Gege", sagte Wei WuXian, diese Anrede gebrauchte er eigentlich nur in romantischen Momenten, wenn er mit Lan WangJi spielen und flirten wollte. Er wusste, dass Lan WangJi es mochte, wenn er sich so redete, auch das hatte ihm das Tagebuch verraten. In dieser Situation erhoffte er sich davon ihn zu erweichen.
„Hör mir doch zu, ich wollte erst nicht darin lesen! Es ist mir zufällig in die Hände gefallen und dann konnte ich nicht aufhören! Ich hätte es nicht tun sollen, aber du musst mich verstehen! Du bist manchmal schwierig zu begreifen für mich... und es hat unserer Beziehung nicht geschadet, oder? Ganz im Gegenteil."
Er lächelte fröhlich, doch Lan WangJis Hand, die BiChen hielt, zitterte.
„So einfach tust du es ab?" Er klang verletzt. „Es hat einen Grund, dass ich dir meine Gedanken nicht mitteilen wollte! Siehst du, was du damit machst? Du trittst sie mit Füßen! Für dich ist es nichts...! In diesem Buch steht mein... mein ganzes Leben."
Als die Tränen in Lan WangJis Augen ihren Weg über seine Wangen fanden, setzte Wei WuXians Herz für eine Sekunde aus. Auf einmal spürte er die wahre Tragkraft seines Vergehens. Er hatte etwas Schreckliches getan, etwas das ihm vielleicht niemals vergeben werden würde. Auf einmal bekam er große Angst Lan WangJi zu verlieren, doch in seiner plötzlichen Verzweiflung fand er nicht die richtigen Worte.
„Was hätte ich tun sollen, Lan Zhan!? Weißt du wie es ist jemanden zu lieben, der immer genau das Gegenteil von dem tut und sagt, was er will? Es ist wie durstig in einer Wüste ausgesetzt zu sein, während man immer nur kleine Tropfen Wasser bekommt! Wer soll das denn aushalten!?"
„Wenn ich so unerträglich für dich bin", brachte Lan WangJi verbittert hervor. „dann geh!"
Er ließ nun das Schwert sinken. Sie standen sich eine Weile wortlos gegenüber, während sich Wei WuXians Augen mit Tränen füllten.
„Zhan-Zhan...", flüsterte er hilflos. Er fühlte das Ende. Sein Betteln bei Lan XiChen war ganz umsonst gewesen, denn er und Lan WangJi würden sich trennen, bevor es überhaupt soweit kommen konnte. Der Schmerz in ihm wurde stärker, als Lan WangJi sich umdrehen und ihn zurücklassen wollte. Er packte sein Handgelenk, damit sich Lan WangJis schönes Gesicht noch einmal zu ihm umdrehte, doch er riss sich los. Sein Blick sprach von tiefer Verwundung.
„Du solltest Gusu verlassen."
Die Worte streiften Wei WuXians glühendes Gesicht schärfer als der kalte Wind. Als würde man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, fiel er auf die Knie. Sein weißes Kleid bekam Flecken, der Wind löste Strähnen aus seinem geflochtenen Zopf.
Dunkelheit breitete sich in ihm aus. Er stellte sich ein Leben ohne ihn vor. Lan WangJi verkörperte so viele Menschen in einer Person: Seinen besten Freund, seinen Seelenverwandten, seinen Partner – wie Lan WangJi es einst genannt hatte – doch allem voran: seinen Liebsten.
Er sah sich durch Wälder und Städte streifen, auf Xiao Pingguo reitend Geister kultivieren. Menschen kamen und gingen, sein einziger Begleiter eine Flasche Reiswein. So war es immer gewesen und so hatte es ihm stets gefallen. Wieso nur kam ihm sein altes Leben auf einmal so schrecklich vor? Gerade als er sich die Frage stellte, kannte er die Antwort. Er hatte nicht gewusst, wie es ist mit einem Menschen zusammenzuleben, den man liebte. Erst in den vergangenen sechs Monaten war ihm der wahre Sinn seines Lebens eingeleuchtet. Durfte er sich unter diesen Umständen kampflos ergeben?
Als er beschloss Lan WangJi einzuholen, hatte er sich bereits einige Meter von ihm entfernt. Genau wie damals im Pavillon der Schriften zögerte er nicht. Er schlang die Arme von hinten um Lan WangJis Taille und drückte ihn fest an sich.
„Lan Zhan!", rief er verzweifelt, seine Tränen vermischten sich mit Lan WangJis Haaren, die an seiner Wange kleben blieben. „Ich habe Lan XiChen um Erlaubnis zur Heirat gebeten!"
Lan WangJi blieb sofort stehen. Er versuchte Wei WuXian von sich loszumachen, doch seine Hände waren so fest um ihn geschlungen, dass er sich nur innerhalb der Umarmung zu ihm umdrehen konnte.
„Zur Heirat?!"
Wei WuXian erkannte deutlich, wie Lan WangJi diese Aussage zuerst fehldeutete und über mögliche Heirats-Partnerinnen für Wei WuXian nachdachte. Der Gusu Lan Clan beherbergte keine Frauen, es sei denn weit entfernt in anderen Bergdörfern, wo Wei WuXian jedoch nie gewesen sein konnte – oder doch? Hatte er dort etwa ein Mädchen kennengelernt und es verschwiegen?
Wei WuXian schüttelte den Kopf, er lachte und weinte zugleich. „Doch kein Mädchen, Zhan-Zhan, Dummerchen... Wegen dir."
Lan WangJis Augen weiteten sich, er stieß Wei WuXian von sich weg, der einige Meter zurück stolperte. „Das hast du nicht getan...!"
Wei WuXian lächelte traurig.
„Ich weiß, was du jetzt sagen wirst... du denkst, dass ich es nur gemacht habe, weil es in deinem Tagebuch stand. Aber Lan Zhan, würdest du mir glauben, wenn ich dir sage ich hatte den Gedanken schon vorher?"
Lan WangJi war sprachlos, BiChen fiel ihm aus der Hand. „W-Was... hat er gesagt?!"
Da beugte sich jemand hinunter, um das Schwert vom Boden aufzuheben. Die weiten Bahnen eines hellblauen Gewandes berührten den Boden und schließlich trafen Lan WangJis Augen in Lan XiChens.
„Ich habe ihm meine Erlaubnis gegeben.", sagte Lan XiChen mit einfühlsamer Stimme. Er legte das Schwert in Lan WangJis Hände zurück.
„Bruder..." Lan WangJis sah ihn hilfesuchend an, unfähig zu entscheiden, was er tun sollte.
„WangJi", sagte er leise, doch Wei WuXian konnte ihn immer noch hören. „Das Leben verlangt manchmal schwierige Entscheidungen von uns. Nicht immer entscheiden wir richtig... Manchmal stehen wir uns selbst im Weg... und manchmal bereuen wir unser Verhalten danach. Ich selbst habe einige falsche Entscheidungen getroffen und mich dafür verflucht... Wäre ich menschlicher gewesen, hätte ich Onkels Verhalten dir gegenüber in Frage gestellt. So viele Male hat er dich ungerecht bestraft... Hätte ich auf mein Herz gehört und das Gespräch mit ihm gesucht... vielleicht wäre er ins Grübeln gekommen. Vielleicht hätte er seine Methoden überdacht... doch ich leistete Blind Folge und muss mit meiner Schuld weiterleben..."
„...XiChen!"
Lan WangJis Hand legte sich um den Arm seinen Bruders. Für einen Momentlang hielt er ihn fest, um ihm zu trösten, doch auch, um ihm zu danken. Ein Lächeln legte sich auf Lan XiChens Lippe und er nickte ihm ermutigend zu.
Daraufhin ließen sie sich los und Lan WangJi trat vorsichtig, ein wenig schwankend, auf Wei WuXian zu. Wei WuXian schluchzte leise. Es war dunkler geworden, Regentropfen fielen auf den grauen Steinweg.
Als sie sich gegenüberstanden, lag kein Zorn mehr auf Lan WangJis Gesicht.
„Wei Ying!" Nun war es Lan WangJi, der die Arme unverhofft um Wei WuXian schlang, der ihn gleich darauf so fest umarmte, dass es schmerzte. „Es tut mir leid...", flüsterte er in Wei WuXians Nacken. „Ich hätte dich fast verloren..."
„Lan Zhan... ich bin so bescheuert...!"
Lan WangJi legte eine Hand um Wei WuXians Wange und betrachtete ihn sanftmütig, seine schwarzen Augen erfüllt von Liebe. „Deshalb bist du heute in weißer Kleidung erschienen..."
Wei WuXian nickte.
„Ich wollte dir beweisen, dass ich es ernst meine, Zhan-Zhan...!"
„Wei Ying...", sagte Lan WangJi. „Ich will versuchen in Zukunft mehr aus mir herauszukommen, wenn du mir dabei hilfst..."
„Lan Zhan..."
„Ist es nicht wichtig sich gut zu verständigen... in... einer Ehe?"
Er blickte Wei WuXian vorsichtig prüfend an, doch bevor etwas Anderes geschehen konnte, zog Wei WuXian ihn an sich, um ihn leidenschaftlich zu küssen.
„Uhm-!" Im erste ersten Moment versteifte er, waren sie doch an einem öffentlichen Ort.
Lan XiChen, der noch immer bei ihnen stand, drehte den Kopf zur Seite, doch es war eher eine taktvolle Geste dem Liebespaar gegenüber, als eine des Abscheus. Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen. Wenn er es nun vor sich selbst zugab, freute er sich für seinen Bruder.
Anschließend kamen die beiden zu ihm, jeder auf seine Art verlegen. Dem war eine kleine Streiterei vorausgegangen, ob es sich gehörte, dass Wei WuXian Lan WangJis Hand nahm. „Wenn wir heiraten, werden ohnehin alle Bescheid wissen, Lan Zhan, stell dich nicht so an!"
„Wir... äh... wir...", Lan WangJi schien keinen vernünftigen Satz zusammenzubringen, also mischte sich Wei WuXian ein.
„Zewu Jun! Wir gehen uns trockene Kleider anziehen." Lan XiChen nickte lächelnd.
„Dann sehen wir uns beim Essen." Er verbeugte sich. „WangJi, Wei WuXian."
Noch während der Verbeugung begann Wei WuXian zu grinsen. „Zewu Jun!", sagte er. „Wäre es nicht angemessen – da Ihr bald mein Schwager seid – die Formalitäten beiseite zu lagen? Nennt mich doch ‚Wei Ying' und ich nenne Euch Lan XiChen – oder gar Lan Huan?"
Lan WangJi stieß ihn ermahnend in die Seite und zischte: „So nenne nicht mal ich ihn!"
Lan XiChen lachte und sagte: „Lan XiChen sollte in Ordnung sein." Er schickte die beiden höflich davon.

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