Kapitel 15

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Gerade eben wurde das letzte Möbelstück abgeholt und ich ging durch die leeren Zimmer. Dabei waren sie das nicht ganz, denn überall standen noch meine persönlichen Sachen, wie Handtücher, Bücher, Kosmetika, Besteck und Geschirr, Essensvorräte, Küchenutensilien und meine ganze Kleidung herum. Zum Glück war ich nicht alleine beim Einpacken, denn Tine wollte vorbeikommen und mir helfen. Ein paar Dinge hatte ich schon verstaut, aber der Großteil lag immer noch herum und ich hätte es alleine nie so schnell geschafft, wie mit einer anderen Person.

Kurze Zeit später klingelte es auch schon und ich rannte zu meiner Wohnungstür, die ich aufriss. Aber es stand mir nicht Tine gegenüber, sondern meine Nachbarin Frau Lieblich, deren Charakter nicht besser zu ihrem Nachnamen hätte passen können.

Sie war ein gutes Stück kleiner als ich und ein wenig kräftiger. Ihre kurzen Haare wirkten zusammen mit der Dauerwelle, wie eine kleine, schneeweiße Wolke auf ihrem Kopf. Dazu trug sie ein indigofarbenes Kleid, darüber eine weiße Schürze und schwarze Damenschuhe, die nur Rentner zu tragen schienen.

"Hallo Elea, ich habe gehört, dass du uns verlässt", begrüßte sie mich und sah mich mit einem traurigen Schimmer in ihren herzlichen Augen an.

"Ja, das tut mir leid, aber ich ziehe zu meiner Freundin", lächelte ich sie bemitleidend an.

Während der Zeit, in der ich in dieser Wohnung gewohnt hatte, war sie die nette Oma von nebenan. Sie lud die Nachbarn regelmäßig zum Nachmittagskaffee ein, verschenkte selbst gemachte Plätzchen an Weihnachten und im Sommer bekamen die Kinder aus den anderen Wohnungen, wenn sie sie besuchen kamen, ein Eis. Man konnte sie einfach nur lieben.

"Wer ist denn die Glückliche?", fragte sie mich mit einem freundlichen Lächeln und sah mich abwartend an.

Bevor ich ihr antworten konnte, kam Tine schon aus dem Treppenhaus. Sie trug eine Jeans, über die sie ein dunkelgraues Shirt gezogen hatte, über dem sie wiederum ihre schwarze Steppjacke trug, deren Reißverschluss offen war. Sie sah mich fragend mit einer angehobenen Augenbraue an.

"Hallo? Sie sind?", fragte meine Freundin Frau Lieblich, die sich zu ihr umdrehte.

Meine Nachbarin sah verwirrt aus, doch als Tine sich zu mir stellte und meine Hand nahm, begann sie zu lächeln.

"Das ist sie, meine Freundin Tine", stellte ich sie vor.

"Es freut mich, Sie endlich kennenzulernen Tine. Ich bin die Nachbarin von Elea."

"Es freut mich auch", lächelte Tine höflich.

Wir redeten noch eine kurze Weile und gaben ihr Tines Haustelefonnummer, damit sie uns erreichen konnte, bevor wir uns voneinander verabschiedeten, damit wir meine Sachen einpacken konnten.

"Werdet ihr trotzdem mal zum Kaffeetrinken vorbeikommen?", fragte sie nach.

"Natürlich werden wir Sie besuchen kommen", versprach ich ihr und kurz darauf war die Tür schon hinter uns zugefallen.

"Du hast mir gar nichts von deiner freundlichen Nachbarin erzählt", grinste sie.

"Jetzt ist es ja auch kaum noch wichtig, aber sie ist wirklich sehr nett und jeder in diesem Haus liebt sie", erklärte ich ihr, während wir in mein Schlafzimmer gingen.

Gemeinsam stellten wir ein paar Umzugskartons auf und räumten meine Anziehsachen ein. Alles ging recht zügig, bis ich plötzlich mein Abschlusskleid in den Händen hielt.

"Weißt du noch?", fragte ich an Tine gerichtet, die von meinen Shirts aufsah.

"Und wie."

Sie schien an dasselbe wie ich zu denken. Unser erstes Mal in ihrem Hotelzimmer in Berlin, unser Tanz an meinem Abschlussabend und der Sex bei unserem ersten Date vor einigen Wochen.

Ingo love |girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt