Kapitel 34

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Ich stolperte unter dem goldenen Schein der Abendsonne durch die Straßen und die Passanten, die mir entgegenkamen, sahen mich verwirrt an. Meine Augen brannten und das Verlangen danach, mich nach all dieser Zeit selbst zu verletzen, wurde immer stärker. Obwohl ich es seit Monaten nicht mehr getan hatte, war es immer das Erste, an das ich dachte, wenn ich seelischen Schmerz empfand.

Ich irrte durch die Stadt und hatte kein Ziel, doch nach einer längeren Zeit stand ich plötzlich vor unserer Haustür. Ich wollte nicht nach Hause und einfach nur alleine sein, doch dann fiel mir Tine ein, die ich einfach stehengelassen hatte. Wahrscheinlich suchte sie mich schon und hatte besorgt meine Freundinnen angeschrieben und angerufen. Ich konnte sie nicht einfach, ohne irgendetwas zu sagen, alleine lassen. Mit meinem letzten bisschen Mut sperrte ich mit zitternden Händen zuerst die Haus- und dann die Wohnungstür auf, wobei ich für beides mehrere Anläufe brauchte. Ich verfluchte innerlich die kleinen Schlösser und Schlüssel, während ich äußerlich im Stillen weinte.

Sobald ich mich am Schloss zu schaffen gemacht hatte, hörte ich drinnen Schritte und schon stand Tine vor mir, deren Augen rot angelaufen waren. Sie wollte mich umarmen, doch ich stieß sie von mir, nur, um durch den zutiefst verletzten Ausdruck in ihren Augen zu realisieren, was ich gerade getan hatte.

"Elea." Ihre Stimme war rau, dünn und um einiges höher als normalerweise - beinahe ein Krächzen.

"Tine, stimmt das mit der Arbeit?" Das war das, was mir zusammen mit vielen anderen Dingen wie ein Schwarm Mücken in meinem Kopf herumgeschwirrt war.

Sie presste die Lippen aufeinander, nickte und schluchzte dann laut.

"Warum hast du mir nichts gesagt? Du hast versprochen, dass du mir erzählst, wenn etwas passiert", weinte ich und wischte mir schnell eine Träne von der Wange, was aber nichts brachte.

"Ich ... ich weiß es nicht. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Deswegen habe ich auch nichts von der Konferenz -"

Ich unterbrach sie: "Ihr hattet eine Konferenz wegen uns?!"

Sie nickte stumm und sah mich schuldig an, während sie krampfhaft versuchte, nicht mehr zu weinen. Sie hatte die Arme verschränkt und ihre Hände krallten sich in ihre Oberarme, während sie auf den Boden starrte. Sie war zwar die Ältere von uns, aber das hieß nicht, dass sie auch die Stärkere sein musste.

Dann schüttelte ich meinen Kopf ungläubig. "Ich kann das alles nicht."

Tine sah augenblicklich zu mir auf und Tränen rannen ihr über das Gesicht. Ich wusste nicht, ob sie wusste, was ich damit meinte.

"Was kannst du nicht?", bestätigte sie meine Vermutung.

"Das hier mit uns." Bei diesen Worten zerriss mein Herz und in Tines Augen konnte ich auch ihres brechen sehen.

Stumme Tränen flossen über meine Wangen und tropften auf mein hellgraues Shirt, das am Hals schon ganz nass und dunkelgrau war. Dann öffnete ich die Wohnungstür und verschwand nach draußen, aber nicht, ohne einen Blick über meine Schulter zu Tine zu werfen. Sobald die Tür hinter mir geschlossen war, hörte ich ihr lautes, gedämpftes Schluchzen.

Ich rannte schon wieder weg und überlegte, was ich machen sollte. Zurück konnte ich nicht und zu meinen Eltern wollte ich auch nicht. Sie durften mich nicht so sehen. Ich wollte mich niemandem aufzwingen oder stören, deshalb konnte ich auch nicht zu Tiffany oder Mareike. Dann fiel mir Manuela ein, sie lebte am Rand der Altstadt in einer kleinen Dachgeschosswohnung und war wahrscheinlich auch alleine.

Schnell zog ich mein Handy hervor, das mir dabei fast auf den Boden gefallen wäre. Dann suchte ich Manuela in meinen Kontakten, um sie anzurufen, was mit meinen zittrigen Fingern nicht so einfach war, denn fast wäre ich auf der Nummer meiner Mutter gelandet. Das wäre peinlich geworden.

Ingo love |girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt