Kapitel 36

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Ich hatte noch den Rest der Woche bei Manuela verbracht und am Samstag Abend entschieden, dass ich Sonntag gegen Mittag wieder zu Tine gehen würde. Sie hatte sich nach Montag noch des Öfteren bei Manuela - meistens durch verzweifelte Anrufe - gemeldet, aber diese hatte meiner Freundin nie gesagt, dass ich bei ihr war.

"Du bist dir sicher, dass du wieder nach Hause willst?", fragte Manuela mich sicherheitshalber noch mal, als ich mich gerade fertigmachte.

Meine Sachen vom letzten Sonntag hatten wir im Laufe der Woche gewaschen, damit sie wieder tragbar waren.

"Ja, sie hat morgen wieder Schule. Ich kann ihr das nicht noch länger antun", murmelte ich und band meine Haare zu einem lockeren Dutt zusammen.

"Okay, falls du trotzdem noch mal eine Möglichkeit zum Übernachten brauchen solltest, kannst du gerne wieder auf meiner Couch schlafen", bot sie mir an und ich lächelte dankbar.

"Danke, ich wüsste nicht, wie ich diese Woche ohne dich überstanden hätte", bedankte ich mich noch ein letztes Mal bei ihr und umarmte sie.

"Kein Problem."

Dann schluckte ich schwer, löste mich von ihr und ging zur Wohnungstür, die ich zitternd öffnete. Ich war aufgeregt, doch nicht im positiven Sinne. Was würde Tine sagen?

"Bis bald, du schaffst das", verabschiedete sie sich von mir und sprach mir noch ein bisschen Mut zu.

"Bis bald", erwiderte ich bloß, bevor ich die Treppe runterging und dann das Schließen der Tür hinter mir hörte.

In ungefähr zehn Minuten würde ich bei Tine sein. Mein Herz schlug aufgeregt und ich wäre beinahe zweimal über meine eigenen Füße gestolpert. Ich fühlte mich so schwach wie schon lange nicht mehr, woran wahrscheinlich mein Essverhalten der letzten Tage lag. Bis auf einen Kaffee zusammen mit einer Kopfschmerztablette und ab und zu einer Schüssel Suppe hatte ich am Tag nichts gegessen. Manuela hatte es einfach akzeptiert, weil sie mich nicht zwingen wollte, etwas zu essen.

Dann stand ich vor unserer Haustür und mein Herz raste. Meine Augen füllten sich sofort wieder mit Tränen, wenn ich an Tine dachte, und ein Stechen durchfuhr meine Brust. Ob sie mich überhaupt noch haben wollte, oder war ich ihr schon egal, weil ich mich so lange nicht bei ihr gemeldet hatte?

Zitternd öffnete ich die Haustür und schloss sie wieder leise hinter mir. Das Treppenhaus schlich ich nach oben, damit sie mich nicht durch meine schweren Schuhe bemerkte. Schließlich stand ich vor unserer Wohnungstür. Die Schlüssel in meiner rechten Hand fühlten sich an, als wären sie aus Blei und würden mich nach unten auf den kalten Steinboden ziehen.

Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die Tür aufschloss, eintrat und wieder hinter mir zudrückte.

"Elea?" Ihre schwache Stimme zerriss mein Herz.

Da ich die Einzige war, die außer ihr den Schlüssel hatte, wusste sie, dass ich es sein musste.

Tine stand plötzlich im Flur und als ich sie sah, floss ein neuer Schwall Tränen aus meinen Augen. Ihre Nase war rot vom vielen weinen, ihre schönen Lippen waren angeschwollen, die sonst so klaren, wunderschönen, kastanienbraunen Augen waren gerötet und hatten einen glasigen Schimmer und ihre Haare waren im Gesicht ganz nass. Außerdem hatte sie schlimmere Augenringe als ich jemals in meinem gesamten Leben und ihre Wangen wirkten eingefallen.

"Elea!" Ihre Stimme war gefüllt mit Erleichterung, Euphorie und Trauer und nur noch ein Hauchen.

"Tine", schluchzte ich.

Wir gingen die wenigen Schritte vorsichtig aufeinander zu - beide ungläubig, dass wir uns wirklich gegenüberstanden. Dann fielen wir uns in die Arme und fingen uns beide gegenseitig auf.

Ingo love |girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt