Kapitel 31

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Wir hatten die Pappteller weggeschmissen und uns dann ein Eis geholt. Tine leckte an ihrem Orangeneis am Stiel und ich ließ mir mein mit Schokolade überzogenes Vanilleeis schmecken, das ebenfalls einen Holzstab hatte. Wir gingen ein wenig herum und wollten zuerst das Essen sacken lassen, bevor wir wieder ins Wasser gingen. Eine der Bänke, die am Rand des gepflasterten Weges standen, war schließlich unser Ziel und wir ließen uns nieder, um unser Eis fertig zu essen. Dabei sahen wir den Turmspringern zu, die sich vor uns ins kalte Wasser stürzten. Ich hatte mich wegen meiner Höhenangst noch nie mehr als die drei Meter getraut.

"Schon interessant wie einige da runterspringen", merkte Tine an, die meinen Blicken anscheinend gefolgt war.

"Oh ja", lachte ich und beobachtete ein paar Jungs, die mit ihrem Hintern voraus ins Wasser klatschten.

"Hast du Lust?", fragte sie plötzlich und ich wandte ihr mein Gesicht zu.

"Da raufzugehen und mich die Meter herunterzustürzen, in der Gefahr mir wehzutun? Nein", lehnte ich ihren Vorschlag ab.

"Komm schon, dann springe ich auch", versuchte sie mich zu überreden.

"Das ist zu hoch", meinte ich eisern und allein bei dem Gedanken, dort oben zu stehen, wurde mir schwindelig.

"Elea, wenn du dich nicht irgendwann deiner Angst stellst, dann kannst du auch nie mit mir Klettern gehen oder mal in den Hochseilgarten."

Plötzlich waren meine Finger feucht und ich leckte schnell das Eis von ihnen. Zwischen mir und Tine herrschte für eine kurze Zeit eine unangenehme Stille und sie wirkte enttäuscht.

"Okay, ich versuche es", rutschte es mir plötzlich heraus und ich realisierte erst im Nachhinein, was ich mir da gerade angetan hatte.

"Wie wäre es mit der Fünf?", fragte sie mich begeistert und ihre Augen leuchteten.

Jetzt konnte ich keinen Rückzieher machen, also nickte ich bloß. Der Rest meines Eises war viel zu schnell gegessen und es fühlte sich an, als wären meine Beine aus Gummi. Mein Herz raste und ich musste mich zusammenreißen, um nicht wegzurennen.

"Kannst du zuerst?", bat ich Tine und sie lächelte, bevor sie nach oben kletterte und ich ihr folgte.

Mit einer Hand hielt sie sich am Geländer fest und mit der anderen hatte sie unsere Finger miteinander verschränkt. Wir brauchten, obwohl meine Beine manchmal streikten und zitterten, nur kurz und ich war froh, dass ich kein einziges Mal nach unten gesehen hatte. Außer uns war niemand auf der kleinen Plattform, also konnten wir uns alle Zeit der Welt nehmen.

"Bevor du springst, schau einfach nicht ins Wasser, das sieht nämlich viel tiefer aus, als es ist", machte sie mir noch Mut, bevor sie meine Hand kurz drückte und dann an den Rand des Sprungbrettes ging.

In einem geschmeidigen Bewegungsablauf nahm sie erst ein paar Schritte Anlauf, ehe sie ohne Probleme oder ein Zögern sprang und kurz darauf im Wasser landete. Bei ihr sah es wirklich einfach aus und ich wartete, bis sie wieder am Beckenrand stand. Jetzt war ich dran und ich versuchte, es ihr gleichzutun. Aber ich hatte meine Angst viel zu unterschätzt und als ich das Geländer loslassen musste, um zu springen, fühlte sich mein Hals wie zugeschnürt an. Dann fiel mein Blick nach unten und ich bereute es noch im selben Moment. Sofort ging ich einen Schritt zurück und klammerte mich an die Metallstange.

Mein Blick wanderte zu Tine, die mich besorgt musterte, mir aber trotzdem ermutigend zulächelte. Ich suchte das letzte Bisschen meiner Courage zusammen und traute mich mit den Gedanken bei ihr bis zum vordersten Rand des Sprungbretts. Ich schwankte leicht und atmete tief durch. Gleich hatte ich es hinter mir. Dann sprang ich und nach wenigen Sekunden der absoluten Panik und Schwerelosigkeit landete ich im Wasser.

Ingo love |girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt