20. Kapitel

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»Dein Beuteanteil«, knurrte der schwarze Kater und warf Sonnenpfote eine dreckige und zerfetzte Maus hin. Sie sah aus, als hätte jemand sie mehrmals durchgekaut, wieder ausgespuckt, ein- und wieder ausgegraben. Der Schüler verzog angeekelt das Gesicht.

»Kann ich mir nicht selber was fangen?«

»Damit du wegläufst?« Der schwarze Kater trat ganz dicht an ihn heran und schnaubte ihm ins Gesicht. Sein Atem stank nach verfaultem Fleisch. »Träum weiter.« Dann trottete er davon.

»Ihr könnt mich hier nicht ewig festhalten!«, rief Sonnenpfote ihm hinterher, doch der EichenClan-Krieger ignorierte ihn. Er seufzte und tippte die Maus lustlos mit der Pfote an. Noch war er nicht so hungrig, dass er sich sofort auf sich stürzen würde, aber ein weiterer Tag und es wäre so weit. In der Nacht hatte er zum Himmel geschaut und festgestellt, dass es nicht mehr lange bis zur Großen Versammlung wäre. Bis dahin musste er unbedingt wieder im EisenClan-Lager sein. Und am besten auch Sternenpfote gefunden haben. Oder war sein Bruder schon zurückgekehrt?

Ich stecke tief in der Pampe, dachte Sonnenpfote zerknirscht. Es war unmöglich, sich heimlich aus dem feindlichen Lager zu schleichen, geschweige denn den Weg zurück zu finden. Eher würde er sich verirren und von der nächsten EichenClan-Patrouille erneut gefangen genommen werden.

Was wollen sie überhaupt von mir? Ich habe doch nur die Grenze überquert! Sie hätten mich zurückschicken müssen, damit mein Clan mir eine Strafe gibt! Das ist nicht deren Aufgabe! Und über das Clan-Geheimnis haben sie mich auch nicht ausgefragt!

»Du darfst Schattenherz nicht so ernst nehmen. Sein Charakter ist so schwarz wie sein Name und sein Fell.«

Verwundert drehte Sonnenpfote sich nach dem Urheber der Stimme um und entdeckte eine junge Kätzin, die ihr Gesicht gegen die verflochtenen Äste des vertrockneten Busches drückte, das ihm als Gefängnis diente. Dadurch sah es so aus, als würde ihr graues Fell nur büschelweise wachsen und von dunklen Strichen durchbrochen werden. Sonnenpfote verkniff sich ein Schmunzeln. Sie ist mein Feind!

»Was willst du?«, fuhr er sie nicht gerade sehr freundlich an.

»Reden?« Die graue Kätzin legte den Kopf schief.

»Hast du nichts Besseres zu tun?«

»Eigentlich muss ich den Ältestenbau säubern.« Sie hielt kurz inne, um zu überlegen. »Aber wahrscheinlich muss das jetzt mein Bruder Sprudelpfote machen. Als Strafe dafür, dass er dich aufgeschreckt hat und Hirschbein hinter dir herrennen musste.« Wieder stoppte sie. »Sprudelpfote hat gesagt, dass du ziemlich schnell warst.«

Sonnenpfote versuchte, so gleichgültig wie möglich auszusehen. »Kann sein.«

»Damit meine ich wirklich schnell. Hirschbein holt normalerweise jeden mit Leichtigkeit ein, aber bei dir musste er regelrecht sprinten!« Ihre Augen hatte sie vor Aufregung weit aufgerissen, sodass er das ungewöhnliche Hellblau viel zu deutlich sehen konnte. Sein Pelz fing an zu kribbeln.

»Dann wurde ich halt gut trainiert«, versuchte Sonnenpfote das Gespräch zu beenden, doch die Kätzin ließ nicht locker.

»Kannst du mir beibringen, auch so schnell zu sein?«, fragte sie.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Du gehörst einem feindlichen Clan an.«

»Oh.« Das hörte sich so an, als hätte die Kätzin das vorher nicht gewusst. Nachdenklich leckte sie sich über die Lippen und presste ihr Gesicht dann wieder gegen das Geäst. »Aber Sonnenherz hat Schwarzherz und Weißblick damals auch viel beigebracht!«

»Ich kenne diese drei Katzen nicht.« Allmählich ging sie ihm auf die Nerven. Das Rumsitzen machte ihn nervös. Er brauchte Bewegung! Wann würde der EichenClan ihn endlich gehen lassen?

»Du kennst Sonnenherz nicht?«, fragte die Kätzin überrascht. »Ich dachte, du wurdest nach ihm benannt! Schließlich war er ein großer Krieger aus deinem Clan! Neben Mondblick aus dem SumpfClan der beste! Die zwei sind doch Legenden!«

»Wie gesagt, ich kenne sie nicht. Meine Brüder wurden nach den drei wichtigsten Lichtern am Himmel benannt, nicht nach anderen Katzen!«

»Aber...« Die Kätzin hielt wieder inne und hielt den Kopf schief. »Wenn ich es mir recht überlege: Warum sollte ich mit dir reden, wenn du das offensichtlich nicht möchtest? Die Geschichte von Sonnenherz, Schwarzherz und Weißblick interessiert dich wohl auch nicht. Wie du willst. Dann gehe ich eben.«

Bevor Sonnenpfote widersprechen konnte, hatte sie sich schon abgewandt und umrundete sein Gefängnis, um auf die Lichtung zu kommen, wo ein goldbraun getigerter Kater gerade Patrouillen einteilte.

»Wie heißt du?«, rief er ihr hinterher.

Die Kätzin schien ihn zum Glück gehört zu haben. Mit zuckenden Ohren drehte sie sich ein letztes Mal zu ihm um. »Mal bin ich warm, mal bin ich kalt. Hab Schuppenwesen in meiner Gewalt. Mal bin ich trüb, mal bin ich klar. Doch manchmal werd' ich zur Gefahr.«

»Was?« Doch da war die Kätzin schon zwischen ihren Clan-Gefährten untergetaucht und rauschte kurze Zeit später zusammen mit einem hellbraunen Krieger aus dem Lager. Sonnenpfote sah ihr nach, bis ihr grauer Schweif im Schatten der zwei umgefallenen Baumstämme verschwand, die den Lagerausgang markierten.

Was für eine seltsame Kätzin. Gibt mir statt ihrem Namen ein Rätsel. Ist es so schwer, seinen Namen zu nennen? Er wich nach hinten zurück, als der schwarze Krieger, Schattenherz, an seinem Gefängnis vorbeischritt und ihm einen feindseligen Blick zuwarf. Die eklige Maus lag immer noch unangetastet im Dreck herum. Ich muss dringend hier weg!

Warrior Cats - Zeit des KampfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt