Warrior Cats - Zeit des Kampfes

18. Kapitel

Die Landschaft sieht traurig aus, dachte Säbelauge. So traurig wie schon lange nicht mehr. Woher haben die Trauerweiden wohl ihren Namen? Ihre Zweige beugen sich wie in tiefer Trauer über ihre Wurzeln. Und ihre Blätter sehen aus wie glitzernde Tränen, besonders wenn es regnet. Er hatte gehört, dass es einst eine Katze gab, die weinen konnte.

Mondblick war eine traurige Katze, erinnerte Säbelauge sich und schüttelte den Kopf. So ein Schicksal würde er niemandem wünschen. Nicht mal einer Katze aus dem SumpfClan. Ein loyaler Krieger war Mondblick gewesen, sehr loyal. Hat den Clan über alles gestellt. Über sein eigenes Wohlbefinden, über seine große Liebe und sogar über sein Leben. Über die Klippe gestürzt, so ein tragischer Tod...

Manchmal hatte Säbelauge den Eindruck gehabt, der Kater wüsste alles ganz genau. Die Vergangenheit jeder Katze lag ihm offen. Er hatte viel gewusst. Sehr viel. Vielleicht zu viel? Was hatte er mir damals sagen wollen?, fragte er sich immer wieder und schaute dann in Richtung der Klippe, die Mondblick hinuntergestürzt war.

»Pass auf, Goldkralle«, hatte er ihm bei der Großen Versammlung zugeflüstert. »Wir müssen uns dringend treffen. Ich habe etwas herausgefunden, das zu wichtig ist, um es einer beliebigen Katze anzuvertrauen. Wir sind schon lange befreundet. Versprich mir, dass du es für dich behältst und die Wahrheit erst offenbarst, wenn alle Beteiligten beim SternenClan weilen.«

»Was meinst du?«, hatte Säbelauge, damals noch ein naiver Krieger, gefragt. »Worum geht es überhaupt? Wir dürfen uns nicht einfach so heimlich treffen. Wir gehören verschiedenen Clans an.«

»Es ist wichtig, dass auch jemand aus dem EisenClan Bescheid weiß«, hatte Mondblick geantwortet und gehetzt um sich geblickt. »Es geht unsere beiden Clans an.« Dann war er davongeeilt, aber das Treffen hatte nie stattgefunden. Er war fünf Tage später gestorben.

Zufall?, überlegte Säbelauge. Zufall oder Schicksal? Woran glaube ich? An das, was ich wahrhaben möchte oder an das, was es wirklich war? Aber gibt es nicht noch eine dritte Möglichkeit? Ein vorgetäuschter Zufall. Ein vorgetäuschter Unfall. Ein kleiner Stoß in die richtige Richtung hätte gereicht.

Säbelauge trat näher an den Abgrund der Klippe heran und starrte hinunter. Das Flusswasser leckte gierig an dem grauen Stein. Kleine Kiesel sprangen unter seinen Pfoten hervor und stürzten ihrem Tod entgegen. Sie schrien nicht. Wie hätten sie auch schreien können?

Hat Mondblick auch geschrien, als er hinuntergefallen ist? Hat er noch versucht, sich am Rand festzuhalten? Hat er zum SternenClan gebetet? Hat er, hat er, hat er? Säbelauge kicherte leise. Ich stelle mir Fragen, die ich nicht beantworten kann. Außer wenn...

Er machte noch einen Schritt nach vorne. Ich fühle keine Angst, dachte er verwundert. Nur Ehrfurcht. Fühlt sich so eine Katze, die dem Tod nahe ist? Bin ich jetzt gerade dem Tod nah? Nein... Nur ein Schritt zurück. Aber ein Stoß, ein leichtes Antippen von hinten...

»He!«

Oder eine Ablenkung...

»Was machst du da? Hallo? Hörst du mich überhaupt?«

»Lass ihn doch, Saphirsturm. Siehst du nicht, wer das ist?«

Diese Stimme hört sich so sehr nach Mondblick an...

»Ach, das ist doch der verrückte Älteste aus dem EisenClan. Na klar, feuerfarbenes Fell ist selten genug.«

»Du solltest nicht so über ihn reden. Er war ein guter Freund von Mondblick, bevor er gestorben ist. Ungefähr zu demselben Zeitpunkt müsste er verrückt geworden sein.«

Die besten Katzen sind verrückt. Die schlechtesten sind vorhersehbar. Verrückt zu sein öffnet neue Wege, neue Möglichkeiten, neue Stürze. Säbelauge starrte immer noch die Klippe hinunter.

»Ähm, Flossenwolke, der versucht aber gerade nicht, sich umzubringen, oder?«

»Das glaube ich nicht, Saphirsturm. Wir sollten ihn einfach in Ruhe lassen. Er weiß, was er tut. Das hat mein Bruder jedenfalls immer gesagt.«

»Na, wenn Mondblick das gesagt hat.«

Mondblick hatte einen Bruder, dachte Säbelauge. Die Augen eines Bruders sind wachsam, immer wachsam. Und wachsame Augen können gefährlich sein. Im Reich der Verbündeten ist der Verräter.