Als Sternenpfote mit einem Bündel Schafgarbe ins Tal zurückkehrte, hielt er verwirrt inne. Die Luft schien nur noch aus dem Gestank von SumpfClan-Katzen zu bestehen. Panisch ließ er die Blüten fallen und rannte auf die Felsspalte zu, die zu seinem neuen Zuhause führte. Auf der anderen Seite erwartete ihn der Geruch von Blut, frisch geschlagenen Verletzungen und fauligen Entzündungen. Schnell versteckte er sich hinter einem großen Felsen.
Der gesamte SumpfClan schien sich im Tal versammelt zu haben. Die Katzen waren teils schwer verletzt, teils gesund und munter, aber hasserfüllt. Mit weit aufgerissenen Augen ließ er seinen Blick über die Versammlung schweifen bis hin zu der Zeder. Zwischen ihren Wurzeln, im Eingang ihres Baues, stand Winternacht. Hoch erhobenen Kopfes starrte sie Muschelstern entgegen, der sich vor ihr aufgebaut hatte.
»Verstehst du nun, was du uns angetan hast?«, schrie der Anführer ihr ins Gesicht. »Siehst du, wie meine Katzen leiden, weil du uns die Hilfe verweigert hast? Schuppenohr, unser Heiler, ist kurz nach dem Kampf gegen den EichenClan an Weißem Husten gestorben! Wir hatten niemanden, der sich um uns kümmern konnte!«
»Ich wusste nicht, dass Schuppenohr gestorben ist«, entgegnete Winternacht ruhig. »Das tut mir leid. Ich werde mein Möglichstes tun, um deine Katzen jetzt zu heilen.«
»Jetzt?«, kreischte Muschelstern. »Jetzt? Jetzt ist schon alles verloren! Meine älteste Tochter Silbernebel ist tot und Libellenklang wird nie mehr vernünftig gehen können!« Er deutete auf eine silberschwarze Kätzin, die eines ihrer blutverschmierten Beine in die Höhe hielt. »Nur eine meiner Töchter ist noch unverletzt! Und das ist Kräuselpfote! Sie hatte genug Pflichtbewusstsein, um uns hierher zu führen, damit du und dein Schüler die gerechte Strafe für euer Nichtstun erhaltet!«
Sternenpfote erstarrte. Kräuselpfote hat sie hierher geführt? Wie konnte sie! Ich habe ihr vertraut! Habe ihr erlaubt, hier zu bleiben, bis es ihr besser geht! Habe ihr bei der Flucht geholfen! Ein unerträglicher Schmerz bohrte sich in sein Herz und ließ ihn aufkeuchen. Sie hat mich verraten! Aber hat der SternenClan mich nicht gewarnt? Hat Nebelglanz nicht gesagt: Hüte dich vor dem Feind, der als Freund dir scheint? Oh, Kräuselpfote...
»Ich frage dich nun ein letztes Mal!«, rief Muschelstern. »Wo ist dein Schüler? Auch er hat sich zu verantworten!«
»Ich weiß es nicht.« Winternachts Stimme klang fest und entschlossen.
»Du wolltest es so.« Mit einem wuchtigen Schlag zerfetzte Muschelstern die Kehle der wandernden Heilerin. Sie riss erschrocken das Maul auf, doch kein Laut drang heraus. Gurgelnd brach sie zusammen. Das schneeweiße Fell färbte sich blutrot. Ihre eisblauen Augen rollten wild umher und schienen für einen Moment auf Sternenpfotes Versteck zu verweilen. Dann erlosch der Glanz in ihnen. Winternacht war tot.
Fassungslos starrte Sternenpfote auf die Leiche seiner Mentorin. Es ist meine Schuld, dass sie tot ist, ging es ihm durch den Kopf. Wenn ich Kräuselpfote nicht zu ihrem Bau gebracht hätte, hätte Muschelstern nicht gewusst, wo er hätte suchen sollen. Er biss sich auf die Zunge, um nicht zu schreien und schmeckte bald sein eigenes Blut.
Der Anführer des SumpfClans stieß Winternachts Leiche grob an und schnaubte frustriert. Dann wandte er sich an seinen Clan, der ihn erwartungsvoll ansah. »Findet mir diesen Schüler!«, befahl er. »Und wenn ihr das gesamte Gebirge durchwandern müsst! Holt ihn her, damit er sich zu seiner Mentorin gesellen kann!«
»Muschelstern! Muschelstern!«, jaulten die Katzen so laut, dass die Berge das Echo tausendfach zurückwarfen.
Sternenpfote drückte sich panisch dichter an den Stein, hinter dem er sich versteckte. Mehrere Krieger kamen genau auf ihn zu. Er musste etwas tun. Sie würden ihn gleich entdecken! Kurzerhand ging er einfach langsam um den Felsen herum, sodass die Katzen immer gegenüber von ihm waren und ihn nicht sehen konnten. Zum Glück klappte das. Mittlerweile hatten fast alle Katzen das Tal verlassen. Als auch die Kätzin mit der verletzten Pfote durch die Felsspalte gehumpelt war, stürzte er zu Winternacht.
Der Körper seiner Mentorin war noch warm, als er die Nase in ihrem Fell vergrub. Der Geruch des Todes haftete ihr bereits an. Sein Herz verkrampfte sich vor Trauer.
»Es ist meine Schuld«, flüsterte er mit zitternder Stimme. »Es ist alles meine Schuld.« Doch seltsamerweise fühlte er sich dadurch noch schlechter. Er jaulte vor Verzweiflung laut auf. Es war ihm egal, ob die SumpfClan-Katzen ihn hören konnten. Seine Sinne waren wie benebelt.
Ich muss versuchen, sie zu heilen!, redete er sich ein. Es muss klappen! Bei Sommerflut habe ich es auch geschafft! Sternenpfote drückte seine Vorderpfoten auf ihre Kehle, konzentrierte sich, betete zum SternenClan, doch nichts geschah. Nur seine Pfoten waren blutbefleckt, als er sie wieder zurückzog.
Irgendwas daran erschien ihm vertraut. Sein eigenes Blut, das ihm aus der Kehle floss und auf seine Pfoten tropfte. Ein großer, schwarzer Kater mit grünen Augen, der ihn hasserfüllt anstarrte. Wolkenruß, erinnerte Sternenpfote sich an den Namen des Katers. Er hat mich getötet. Er hat Sternenglanz getötet. Überwältigt von der Trauer und dem Schmerz, die ihn durchzuckten, stolperte er zurück und stieß gegen eine Katze.
»Du bist hier!«, hörte er Kräuselpfote entsetzt keuchen.
Schwankend fuhr er zu ihr herum. »Du hast mich verraten«, krächzte er. »Du hast uns verraten.«
Die Heilerschülerin schien ihn nicht zu hören. »Warum bist du hier? Warum bist du nicht weggerannt?«
»Mit wem redest du da, Kräuselpfote?« Eine graue Kätzin mit einem weißen Fleck auf der Brust tauchte hinter der Schülerin auf. Schwebetropfen. Sie ist nicht die Anführerin des EisenClans? Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie Sternenpfote erblickte. Er hingegen duckte sich, bleckte die Zähne und fauchte.
»Du hast ihn ja gefunden, Kräuselpfote«, zischte Schwebetropfen kalt. »Dies ist also der, der die Seele von Sternenglanz in sich trägt. Erkennst du mich, Sternenglanz?«
Sternenpfote knurrte nur, doch vor seinen Augen flackerte ein Bild auf. Als ich gestorben bin, als Wolkenruß mich getötet hat... Sie war auch da... Sie hat... ihn mit ›Bruder‹ angesprochen!
»Ich sehe, du erinnerst dich.« Schwebetropfen fuhr näher heran, sodass sie sich fast Nase an Nase gegenüberstanden. »Sternenpfote, du bist im Besitz einer der zwei der fünf Mächte. Schatten und Licht, Gestern und Morgen, Feuer und Wasser, Erde und Luft und Sonne und Mond im Licht der Sterne. Du besitzt die Macht der Sterne. Gibst du sie mir?«
»Warum sollte ich?«, fauchte Sternenpfote. Meine Gabe, zu heilen, hat mir also wirklich der SternenClan gegeben. Aber nie im Leben werde ich sie einer Mörderin wie Schwebetropfen überlassen!
»Genau das hat Sternenglanz sich auch gefragt«, knurrte die Kätzin. »Er hat sich geweigert und musste deshalb sterben. Du bist doch nicht so dumm wie er, nicht wahr, Sternenpfote? Ist das Leben nicht viel mehr wert als eine Gabe, die du sowieso noch nicht richtig beherrschst?«
»Der Tod ist nur der Weg zu einem neuen Leben«, schleuderte er ihr entgegen. Seine Stimme klang lauter, kräftiger. Als würden zwei Katzen gleichzeitig sprechen.
Schwebetropfen blinzelte überrascht und wich ein Stück zurück. Doch schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle und hob die Pfote, die Krallen ausgefahren, um ihm den Rest zu geben.
»Mutter, nein!«, kreischte plötzlich Kräuselpfote, woraufhin Schwebetropfen zögerte.
Mutter? Sternenpfote starrte die Heilerschülerin fassungslos an. Schwebetropfen ist ihre Mutter... und meine. Wie... Warum... Dann erinnerte er sich an das vierte, das schwarz-weiße Junge, das er in seiner Vision gesehen hatte. Es war nicht Wolkenjunges. Es war Kräuselpfote...
Schwebetropfen schien seinen Schock zu bemerken. Mit gebleckten Zähnen beugte sie sich zu ihm hinunter. »Du hast dich doch tatsächlich in deine eigene Schwester verliebt«, zischte sie ihm ins Ohr. »Wie tragisch.«
»Du hast mir versprochen, dass du ihn nicht tötest!«, rief Kräuselpfote hinter ihr aufgebracht. »Selbst wenn er sich weigert, dir seine Gabe zu geben!«
Die SumpfClan-Kriegerin fuhr zu ihrer Tochter herum. »Wie gut, dass ich dir deine Gabe geraubt habe, Kräuselpfote«, lachte sie. »So konntest du nicht erkennen, dass ich lüge!«
»Aber...«
Schwebetropfen winkte ab. »Keine Sorge. Ich werde mein Wort trotzdem halten. Nicht ich werde ihn töten.« Sie warf Sternenpfote einen hasserfüllten und zugleich enttäuschten Blick zu. »Sondern der Vulkan.«
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Warrior Cats - Zeit des Kampfes
Fanfiction»Drei werden es sein. Katzen des Himmels, der Nacht und des Lichts. Die Zeit des Kampfes ist angebrochen. Hüte dich vor einem Feind, der ein Freund dir scheint.« Mit dieser Prophezeiung fängt eine Geschichte an. Eine Geschichte über die drei Mächte...