40. Kapitel

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Sonnenpfote jaulte entsetzt, als die Erde unter seinen Pfoten bebte. Auch Wasserpfote, Sprudelpfote und Steinpfote schnappten erschrocken nach Luft und versuchten, irgendwo Halt zu finden. Kleine Steinbrocken lösten sich von den Berghängen und rollten hinab ins Tal. Erst nur kleine Kiesel, doch schon bald stürzten große Felsen auf sie zu.

»Alle in Deckung!«, rief Harzjäger, der der Schülergruppe zusammen mit zwei weiteren Kriegern gefolgt war. Er hatte seine Jungen nicht alleine lassen wollen. Er packte Wasserpfote am Nackenfell und schubste sie in eine Felsspalte. Dann holte er Sprudelpfote, während zwei andere EichenClan-Katzen Sonnenpfote und Steinpfote in Sicherheit brachten.

Über ihren Köpfen donnerte es laut. Es dröhnte in Sonnenpfotes Ohren und er presste sich so dicht auf den Boden, wie er konnte. Nur Wasserpfotes Nähe hinderte ihn daran, völlig in Panik zu geraten. Irgendwo sind Mondpfote, Sternenpfote und Käferblume. Geht es ihnen gut?

Von der Felsspalte aus konnten sie sehen, wie riesige Felsbrocken, vermischt mit Schnee und entwurzelten Bäumen ins Tal niedergingen. Von irgendwo her ertönte lautes Kreischen und angsterfüllte Schreie.

»Büschelsturm!«, schrie Buchenkralle, Wasserpfotes Mentor. Der hellbraune Kater rannte auf den Ausgang der Spalte zu, wo jedoch immer noch Steine und Geröll vorbeidonnerten. Nur Harzjäger und Schattenherz hinderten ihn daran, in seinen eigenen Tod zu laufen. »Es war ihre Stimme!«, jammerte der Krieger. »Ihre Stimme! Ich habe sie erkannt!«

»Wir dürfen nicht hierbleiben«, knurrte Schattenherz. »Wenn die Lawine zum Stillstand kommt, werden wir hier gefangen sein.«

»Du hast recht«, stimmte Harzjäger ihm zu. »Wir müssen...«

Ein weiteres Beben verhinderte, dass er weitersprach. Ein lautes Krachen von oben ließ die Katzen aufhorchen. Alle hoben die Köpfe, nur, um den gigantischen Felsbrocken zu sehen, der sich am oberen Rand der Felsspalte gelöst hatte und nun auf sie zu stürzte. Harzjäger warf sich sofort auf Wasserpfote und Sprudelpfote, um sie mit seinem Körper abzuschirmen, während Buchenkralle Steinpfote schützte. So blieb Sonnenpfote nichts anderes übrig, als sich hinter Schattenherz zu verstecken. Wieder spürte er das Stechen in seiner Brust und musste sich zusammenreißen, um die Krallen nicht auszufahren.

Ein Knirschen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte Sonnenpfote nach oben. Der Felsbrocken war an einem Zacken hängen geblieben, der aus der Wand herausragte. Aber er würde nicht lange halten. Warum ist der Himmel so hell?, wunderte er sich beiläufig. Sind das die ersten Strahlen der Sonne? Es ist doch noch zu früh!

»Wir haben nicht viel Zeit«, miaute Harzjäger und schaute zum Ausgang der Felsspalte. Immer noch stürzten Felsen hinab ins Tal.

»Es ist zu gefährlich!«, rief Buchenkralle, der begriffen hatte, was der zweite Anführer des EichenClans vorhatte.

»Entweder wir werden von dem Felsen zerquetscht, was auf jeden Fall irgendwann passieren wird, oder wir hoffen darauf, die Lawine nicht allzu schwer verletzt zu überleben«, fauchte Harzjäger.

»Vater!«, kreischte Sprudelpfote panisch auf und deutete nach oben. Durch den Zacken fraß sich schon ein Riss, der immer breiter wurde. Der Felsbrocken sackte ein Stück runter. Steinsplitter regneten von oben auf sie herunter.

»Die Schüler zuerst«, beschloss Harzjäger und stupste Wasserpfote, Sprudelpfote, Sonnenpfote und Steinpfote auf den Ausgang der Felsspalte zu. Einen nach dem anderen berührte er mit der Nase. »Versucht, euch mit Schwimmbewegungen oben zu halten. Wenn die Lawine zum Stillstand kommt, müsst ihr euch vor eurer Schnauze eine Höhle zum Atmen machen. Die anderen werden nach euch suchen. Macht euch keine Sorgen. Alles wird gut.«

»Aber Vater...« Wasserpfote sah ihn flehend an.

»Geht jetzt!«

Sonnenpfote bewunderte Harzjäger für seinen Mut. Er wechselte einen Blick mit Wasserpfote. Die Angst war ihr deutlich anzusehen. Wortlos nickte er ihr zu und verließ die Felsspalte als erster. Sofort wurde er von der Lawine mitgerissen.

Er schrie entsetzt auf, bekam Steine und Schnee in den Mund, spuckte alles aus und schloss den Mund schnell. Von überall her schlugen Felsbrocken und anderes Geröll gegen ihn. Die Welt bestand nur noch aus Schwarz, Grau und Weiß. Er konnte den Himmel nicht erkennen. Hilflos strampelte er mit den Beinen, um sich halbwegs an der Oberfläche zu halten, doch klappte das? Er wusste es nicht. Etwas schlug gegen seinen Kopf und hinterließ einen pochenden Schmerz.

Ich darf nicht aufgeben!, sagte er sich. Ich muss durchhalten! Doch seine Kräfte schwanden allmählich. Plötzlich durchzuckte ihn wieder der Schmerz in seiner Brust. Er krümmte sich, und die Macht brach aus ihm heraus. Wie ein Wirbelwind kämpfte er sich an die Oberfläche des donnernden Gerölls, schnappte nach Luft. Seine Gedanken kreisten wild durcheinander. Mit ausgefahrenen Krallen hieb er um sich, bis er begriff, dass die Lawine schon lange zum Stillstand gekommen war.

Gehetzt blickte er sich um. Schnee, Felsen, entwurzelte Bäume, Chaos. Alles die Schuld von Schwarzherz und Weißblick, dachte Sonnenherz. Alles ihre Schuld. Mit einem unwilligen Knurren zog er sich endgültig aus der stillstehenden Lawine heraus, streckte die Beine, ließ sie Krallen spielen. Niemand ist besser als ich.

Seine Gedanken wurden von einer Bewegung in seinem Augenwinkel unterbrochen. Mit wild funkelnden Augen fuhr er herum und entdeckte, einen schwarzen Kater, der sich über das Geröll schleppte. Sein rechtes Hinterbein war offensichtlich gebrochen. Doch das war es nicht, was Sonnenherz interessierte. Er ist der Bruder von Schwarzherz. Er muss sterben!

Wie schwach seine Wiedergeburt doch war. Er erinnerte sich daran, wie er früher gewesen war. Bevor sein eigener Clan ihn in den Ältestenbau gesperrt hatte. Dabei war ich perfekt! Der perfekte Krieger! Mit gebleckten Zähnen blieb er vor dem schwarzen Kater stehen.

»Sonnenpfote«, keuchte er. »Du hast überlebt. Hilf mir. Mein Bein ist gebrochen. Ich schaffe es alleine nicht hier weg.«

Sonnenherz lachte. Glaubte Schwarzherz' Bruder wirklich, dass er auf solche Tricks reinfiel? Er hatte sie doch selber erfunden! Wortlos durchtrennte er dem schwarzen Kater die Halsschlagader und begrub seinen Körper unter dem Schnee. Wenn das Blut so schnell gefror, wie er glaubte, würde es auf der Oberfläche nicht zu sehen sein.

»Sonnenpfote!«

Sein Körper reagierte auf diese Stimme, bockte herum. Sonnenherz schüttelte unwillig den Kopf, als der Schüler die Kontrolle wiedererlangte.

Sonnenpfote starrte Wasserpfote entgegen und versuchte, seine Pfoten zu verstecken, an denen immer noch Schattenherz' Blut klebte. Was habe ich getan? Ich dachte, ich hätte mich unter Kontrolle! Das Atmen fiel ihm schwer.

»Du hast überlebt!« Wasserpfote schmiegte sich eng an ihn, bis sie das Blut sah. »Du bist verletzt!«

»Es ist nichts«, sagte er schnell, bevor sie auf die Idee kam, nachzugucken. »Wo sind die anderen?«

Ein trüber Schleier voller Schmerz legte sich über ihre Augen. »Buchenkralle und Steinpfote wurden von Felsen erschlagen. Sprudelpfote... Ein abgebrochener Ast hat ihn durchbohrt. Er ist verblutet. Harzjäger hat schlimme Kratzer abbekommen, wird aber überleben. Hast du Schattenherz gesehen?«

Sonnenpfote zuckte zusammen. »Nein.«

Plötzlich krachte es laut. Als würde das gesamte Gebirge zusammenbrechen. Die zwei Schüler fuhren herum. Eine riesige Feuersäule schoss in den schwarzen Nachthimmel und machte ihn zum Tag. Sonnenpfote kniff geblendet die Augen zusammen. Etwas stimmte nicht. Das Feuer verlosch nicht einfach, sondern regnete auf die Berge herab. Dort, wo es den Schnee berührte, verdampfte dieser zischend.

»Flieht!«, brüllte eine Katze, die wie aus dem nichts auf einem der Gipfel aufgetaucht war. Sonnenpfote erkannte Windstern, den Anführer des BlitzClans. Neben ihm standen drei weitere Katzen. Eine von ihnen – Käferblume. Doch Sonnenpfote hatte nicht genug Zeit, um erleichtert aufzuatmen. Eine glühende Schlange aus flüssigem Feuer floss zwischen zwei Berggipfeln über das Geröll der Lawine auf sie zu. Die Luft war erfüllt von Asche und Staub.

»Lauf!«, hustete Wasserpfote und riss ihn aus seiner Starre. »Lauf, so schnell du kannst!«

Sonnenpfote packte die graue Kätzin kurzerhand am Nackenfell und stürmte los.

Warrior Cats - Zeit des KampfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt