15. Kapitel

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»Sonnenpfote!«

Der Schüler drehte sich nach der Katze um, die ihn gerufen hatte, und entdeckte Weidenstreif. Sein Mentor stand auf dem Baumstumpf, von dem aus normalerweise Falkenschweif die Patrouillen eingeteilt hatte. Unsicher sah Sonnenpfote sich um. Er war nicht der einzige, der diese Aktion nicht allzu gut fand.

»Schließ dich Efeuweides Patrouille zur EichenClan-Grenze an. Du hast gestern eigenmächtig die Grenze überquert. Knospenstern wird wissen wollen, warum du das getan hast!«

»Weidenstreif!«, ertönte Käferblumes Stimme aus der Richtung des Kriegerbaus. Sie wirkte zwar äußerlich ruhig, doch Sonnenpfote kannte seine Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie wütend war. »Wie kannst du es wagen, einfach so Befehle zu erteilen? Für wen hältst du dich?«

»Solange der SternenClan noch kein Zeichen geschickt hat, wer denn jetzt der neue Anführer sein wird, muss es jemanden geben, der in dieser Zeit die Patrouillen einteilt, oder nicht?«, entgegnete der grau getigerte Kater mit zusammengekniffenen Augen.

»Du hast recht. Aber gerade führst du dich auf, als wärst du der Anführer. Geh runter vom Baumstumpf!«

»Oder was?«

Sonnenpfote schaute besorgt zwischen Weidenstreif und Käferblume hin und her. Eine unheimliche Spannung lag in der Luft. Und Gefahr. Er wusste, dass sein Mentor manchmal sehr aufbrausend und stur sein konnte. Aber er würde doch seine eigene Clan-Gefährtin nicht angreifen?

»Geh einfach runter vom Baumstumpf«, zischte Käferblume. »Jetzt sofort.«

Nun stellte sich auch Efeuweide neben sie und funkelte Weidenstreif drohend an. »Lass es nicht darauf ankommen, Weidenstreif.«

Eine Weile starrten die Katzen sich gegenseitig an. Dann schnaubte der getigerte Krieger und sprang elegant vom Baumstumpf runter. Sonnenpfote entging nicht, dass er beim Weggehen eine Vorderpfote mit ausgefahrenen Krallen in Käferblumes Richtung hielt und sie schnell wieder sinken ließ.

Das ist so ungerecht. Warum muss ausgerechnet mein Mentor sich so aufführen? Hastig trabte er zu seiner Mutter heran, die Weidenstreif hinterher sah. Er verschwand gerade in der Kinderstube. Vermutlich, um wieder bei Himmelschatten und seinen Jungen vorbeizuschauen.

»Du tust gut daran, ihn im Auge zu behalten, Sonnenpfote«, flüsterte Käferblume ihm zu, als er bei ihr angekommen war. »Du bist sein Schüler und kannst ihn beobachten ohne dass er Verdacht schöpft.«

»Ich glaube nicht, dass er das nochmal machen wird«, sagte der Schüler zögernd.

Seine Mutter wechselte einen Blick mit Efeuweide, die kaum merklich den Kopf schüttelte. Die beiden Kätzinnen waren schon lange Zeit befreundet und teilten alle Geheimnisse miteinander. Was wissen sie, was ich nicht weiß?

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, meinte sie schließlich nur und strich ihm sanft mit dem Schweif über die Flanke. »Aber es ist gut, dass du ihm so vertraust. Wir sind schon etwas voreingenommen.«

»Voreingenommen?« Sonnenpfote schaute verwirrt von einer Kätzin zur anderen. »Warum?«

»Wenn du zum Krieger ernannt wirst, bin ich die erste, die es dir erzählt«, kam Efeuweide ihrer Freundin zuvor und sah sie warnend an. »Es ist ein Kriegergeheimnis.«

»Aber wenn wir nicht bald ein Zeichen vom SternenClan bekommen, wird es keinen Anführer geben, der mich zum...«

»Ich bin mir sicher, dass Sprungflügel mit Winternachts Hilfe schnell herausfindet, wer der neue Anführer sein wird«, unterbrach Käferblume ihn. »Warum suchst du nicht nach Sternenpfote und fragst ihn? Dein Bruder wird sicher Bescheid wissen.«

Sonnenpfotes Pelz prickelte unangenehm, als er sich von den zwei Kriegerinnen entfernte und zum Heilerbau ging. Laute Stimmen drangen von innen zu ihm nah draußen. Es hörte sich an, als würden Sprungflügel und Winternacht sich streiten. Warum das denn? Er verspürte den Drang, einfach zu lauschen, konnte ihn aber niederkämpfen. »Lauschen ist nicht gut«, hatte Weidenstreif ihm bei jedem zweiten Training gesagt.

Als er durch den Flechtenvorhang trat, verstummten beide Kätzinnen sofort. Sprungflügel, die sonst immer die Ruhe selbst war, hatte sich vor Winternacht aufgebaut. Ihr gesamtes Fell war gesträubt. Nun fuhr sie zu ihm herum. Ihr eiskalter Blick traf ihn so unvorbereitet, dass er unwillkürlich ein paar Schritte zurückstolperte.

»Ist der Heilerbau neuerdings der neue Frischbeutehaufen, oder was?«, fauchte sie. »Warum kommen immer wieder Katzen hier rein? Habt ihr nichts Besseres zu tun?«

»Tut mir leid«, stotterte Sonnenpfote eingeschüchtert. »Ich wollte nur...«

»Du hast hier nichts zu suchen!«, fuhr Sprungflügel ihn wieder an. »Winternacht und ich haben etwas Wichtiges zu besprechen!«

»Und Sternenpfote?«

»Ist nicht hier«, seufzte die Heilerin, nun etwas ruhiger. Sie setzte sich. Erst jetzt bemerkte Sonnenpfote, dass sie am ganzen Körper zitterte und es keine Wut, sondern Sorge war, die in ihren Augen stand. »Er ist aus dem Bau gestürmt, als er erfahren hat, wer der neue Anführer wird.«

»Ihr wisst es schon?« Der Schüler riss überrascht die Augen auf. »Wer...?«

Sprungflügels Fauchen schnitt ihm das Wort ab. Die Heilerin war wieder aufgesprungen. Ihr Schweif peitschte aufgebracht hin und her. »Ich flehe dich an, Sonnenpfote, frag mich das nicht! Ich möchte es nicht sagen!«

»Und Sternenpfote...?«

Winternacht drängte ihn sanft auf den Ausgang des Heilerbaus zu. »Du solltest jetzt wirklich gehen.«

»Aber...« Doch dann war er schon draußen und die beiden Kätzinnen fingen wieder an zu streiten. Warum gibt es so viele Sachen, die ich nicht wissen darf? Schlecht gelaunt ging er durch das Lager, bis ihm einfiel, dass er ja Sternenpfote nach dem neuen Anführer fragen konnte. Wer ist es, dass er wegen dieser Katze davongestürmt ist?

Nach einigem Suchen musste er jedoch feststellen, dass sein Bruder nirgends zu finden war. Auch Säbelauge schien nicht da zu sein. Aber bestimmt machte der Älteste nur einen Spaziergang durchs Territorium. Das machte er öfters. Doch dass Sternenpfote fehlte, war seltsam.

Wo ist er nur hin? Wo würde er hingehen, wenn er etwas Unglaubliches erfahren hat? Natürlich! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Es gab nur eine Möglichkeit: Die Sternenhöhle. Dort gingen alle Heilerkatzen am Halbmond hin, um sich mit dem SternenClan die Zunge zu geben. Sicher wollte sein Bruder sich vergewissern, dass das, was er erfahren hatte, auch stimmte. Dafür musste man jedoch das EichenClan-Territorium durchqueren.

Sonnenpfote unterdrückte ein Schnurren. Es hatte also doch etwas Gutes, die Grenze überquert zu haben, um Winternacht aus der Schlammpfütze zu holen. Auch wenn Flosse und Wolke ihm zuvor gekommen waren... Vielleicht wusste Sternenpfote ja auch etwas über diese beiden seltsamen Kater. Jedenfalls würde es den EichenClan-Katzen sicher nicht auffallen, wenn er seinen Geruch ein zweites Mal auf ihrem Territorium hinterließ.

Entschlossen schritt er auf den Lagerausgang zu und schlüpfte durch den Tunnel hinaus. Käferblume hat gesagt, ich soll Sternenpfote suchen. Ich mache ja nichts Anderes als dem Befehl eines Kriegers zu folgen. Trotzdem pochte das schlechte Gewissen in seinem Hinterkopf.

Warrior Cats - Zeit des KampfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt