26. Kapitel

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Sternenpfote bewegte vorsichtig sein Hinterbein. Winternacht war wirklich eine gute Heilerin. Er spürte praktisch keine Schmerzen mehr, obwohl es, laut ihrer Diagnose, ›leicht angeknackst‹ gewesen war. Sie hatte ihm eine Schiene aus zwei Stöcken und langen Halmen gebastelt, die er auf EisenClan-Territorium noch nie gesehen hatte. Jetzt wusste er, dass das Binsen waren. Sie wuchsen nur auf dem SumpfClan-Territorium, aber Winternacht hatte in ihrem Bau einen kleinen Vorrat von den wichtigsten Kräutern angelegt, sodass sie nicht extra losmusste.

Ihr Bau befand sich zwischen den Wurzeln einer Zeder, die sich an einen nicht so steilen Berghang der Himmelberge klammerte. Trotzdem war der Weg dorthin verdammt anstrengend gewesen und sie hatten sich durch viele Felsspalten zwängen müssen. Dadurch, dass die Zeder in einer Art halboffenem Tal wuchs, war es hier aber wenigstens windgeschützt.

Sternenpfote war gerade aufgestanden, als seine neue Mentorin im Eingang des Baus auftauchte. Ihre Miene wirkte besorgt. »Wir müssen zum BlitzClan«, sagte sie.

»Wir?« Er hatte nicht erwartet, dass sie ihn direkt beim ersten Mal mitnehmen würde.

»Ja, wir«, bestätigte sie und machte sich daran, einige der Kräuter in das Blatt einer Großen Klette einzuwickeln, um sie transportieren zu können. Den Großteil der Pflanzen kannte Sternenpfote zwar nicht, blickte ihr aber trotzdem über die Schulter. Als sie jedoch ein paar rote Beeren dazupackte, hielt er inne.

»Todesbeeren?«

»Eibenbeeren, um genau zu sein«, meinte Winternacht.

»Warum? Ich dachte, wir heilen Katzen!«

Die schneeweiße Kätzin seufzte. »Manche Katzen können nicht geheilt werden. Sie würden sich nur quälen. Das kann ich nicht zulassen. Beim SternenClan sind sie in diesem Fall besser aufgehoben.« Sternenpfote wollte widersprechen, doch da schob Winternacht ihm schon das Blatt zu. »Pass auf, dass du nicht zu fest zubeißt. Wir müssen sofort los.«

Der Weg war beschwerlich und mehrmals musste die Heilerin ihn am Nackenfell packen, damit er nicht auf ein paar lockeren Steinen ausrutschte. Je höher sie stiegen, desto kälter wurde es. Bald tappte er über eine dünne Schneeschicht, die bei jedem Schritt knirschte. Wenigstens spürte er so seine Pfoten nicht, deren Ballen bestimmt wieder brannten.

»Wir sind bald da«, munterte Winternacht ihn auf.

»E...Es i...i...ist s...so k...k...kalt«, stotterte Sternenpfote und klapperte mit den Zähnen, wobei er doppelt aufpassen musste, das Blatt nicht durchzubeißen.

»Im Lager des BlitzClans ist es wärmer«, erklärte seine Mentorin. »Das hat mit dem Vulkan zu tun, der ein paar Gipfel weiter in den Himmel ragt.«

»V...Vul...kann?«

»Ein Berg, der manchmal Feuer spuckt«, antwortete sie. »Das ist aber schon lange nicht mehr passiert. Keine Sorge.«

Die Sonne stand schon wieder tief über dem Horizont, als Winternacht auf eine Spalte im Fels deutete. »Da rein. Ich gehe vor.«

Sternenpfote folgte ihr bibbernd und zitternd, doch als die warme Luft aus dem BlitzClan-Lager ihm entgegenschlug, entspannte er sich sogleich. Auf den Ruf eines grauen Katers hin tauchten mehrere Katzen aus dunklen Höhlen und anderen Unterschlüpfen in den Wänden der kreisförmigen Schlucht auf. Zuletzt erschien ein hellgrauer Kater mit helleren Flecken.

»Winternacht!« Er klang unglaublich erleichtert. Dann fiel sein Blick auf Sternenpfote und er stutzte.

»Das ist mein Schüler Sternenpfote«, stellte die schneeweiße Kätzin ihn vor. »Sternenpfote, das ist Windstern, der Anführer des BlitzClans.« Sie wandte sich wieder an den gefleckten Kater. »Bring mich zu ihm. Wir haben nicht viel Zeit.«

»Natürlich.« Windstern nickte und ging voran, doch Sternenpfote wurde das Gefühl nicht los, dass die BlitzClan-Katzen ihn anstarrten und schnell wegsahen, sobald er den Kopf drehte.

Warum schauen sie mich so an? Sie kennen mich doch gar nicht! Oder... Hat Schwebetropfen, Schwebestern, auf der Großen Versammlung gesagt, dass man nach mir Ausschau halten soll? Das kann sie vergessen! Sie ist zwar meine Mutter, aber ich werde ihr nie verzeihen und auch nie zurückkehren!

In der Höhle, die offenbar als Heilerbau diente, erwartete sie eine hellbraune Kätzin, die sich mit vor Sorge schimmernden Augen über einen jungen, blaugrauen Kater beugte. Als die drei Katzen eintraten, blickte sie auf. Überraschung und Freude machte sich auf ihrem Gesicht breit.

»Winternacht! Der SternenClan muss dich geschickt haben!«, rief sie.

»So ist es, Tatzensturm.« Die schneeweiße Kätzin bedeutete Sternenpfote, das Kräuterpaket abzulegen. »Danke, Windstern, wir kommen hier klar.«

Der Anführer nickte stumm und verließ den Bau.

»Was ist passiert?«, wollte Winternacht von Tatzensturm wissen.

Diese musterte Sternenpfote eine Weile, bevor ihr einfiel, dass sie angesprochen worden war. »Sommerflut.« Sie zeigte mit der Schwanzspitze auf den jungen Kater. »Bei der Jagd ist er abgerutscht und auf einen spitzen Felsen gefallen. Dabei... Sieh selbst.«

Die wandernde Heilerin trat näher zu dem Verletzten und tastete mit geschickten Pfoten über seinen Körper. Knapp unterhalb des Nackens hielt sie inne. »Gebrochenes Rückgrat«, stellte sie fest.

Tatzensturm nickte. »Ich habe ihm so viele Mohnsamen gegeben wie ich konnte, aber ich fürchte, dass...« Sie verstummte und wechselte einen Blick mit Winternacht. Diese nickte traurig.

»Sternenpfote, schieb das Kräuterbündel näher zu mir.«

»Was?« Der Schüler sah sie fassungslos an. »Du wirst ihm doch nicht...«

»Ich habe es dir bereits erklärt«, unterbrach Winternacht ihn. »Möchtest du, dass er sich sein ganzes Leben lang quält? Er wird nie mehr laufen können. Nur noch den Kopf heben.«

Sternenpfote zögerte. Vielleicht hat sie irgendwas übersehen. Er trat nun selber zu dem blaugrauen Kater und tastete seinen Rücken entlang. Plötzlich spürte er, dass ein seltsames Kribbeln sich in seinem Körper ausbreitete. Seine Pfoten heizten sich auf als würden sie von innen heraus verbrennen. Der Schrei blieb jedoch in seiner Kehle stecken, als er ein lautes Knacken hörte und der Verletzte mit einem ohrenbetäubenden Jaulen hochfuhr.

»Sommerflut!«, hauchte Tatzensturm überrascht und stolperte einige Schritte zurück. Winternacht hingegen lächelte wieder ihr geheimnisvolles Lächeln.

»Der Schmerz ist weg!«, rief der Krieger begeistert und sprang wie wild in der Höhle herum. »Alles ist wie vorher! Danke, danke, danke!« Er drückte Sternenpfote dankbar die Schnauze gegen die Flanke. Seine türkisen Augen leuchteten überglücklich.

»Unsere Arbeit ist getan«, miaute Winternacht. »Sei nächstes Mal vorsichtiger, Sommerflut.«

»Ja! Natürlich! Das werde ich!« Nun drückte er sich auch an die Halsbeuge der wandernden Heilerin.

Tatzensturm blinzelte immer noch verwirrt, als Winternacht und Sternenpfote die Heilerhöhle verließen. Beim Vorbeigehen hörte er sie »Sternenglanz« wispern. Stolz machte sich in seiner Brust breit. Dass sie ihn mit dem Vater seiner Mentorin verglich, war ein großes Kompliment für ihn. Auch wenn das mit der Hitze in den Pfoten durchaus seltsam war. Wenigstens konnte ich das Leben des Katers retten, wo Winternacht schon aufgeben wollte.

Warrior Cats - Zeit des KampfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt