29. Kapitel

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»Kommst du mit?«

Sternenpfote schaute verwundert von den Kräutern auf, deren Namen, Aussehen und Heilkräfte er sich gerade zu merken versuchte. »Wohin?«

»Es gab einen Kampf zwischen dem EichenClan und dem SumpfClan. Ich werde nicht beiden Clans helfen können«, klärte Winternacht ihn auf. Wieder bewunderte er sie für ihre unglaubliche Verbindung mit dem SternenClan. Sie hatte ihm versprochen, das spontane Tagträumen beizubringen, damit er das auch machen konnte, hatte bisher jedoch noch keine Anstalten gemacht, es auch wirklich durchzuziehen.

»Ich gehe nicht zum SumpfClan«, spuckte Sternenpfote aus. »Du hast gesagt, ich müsste nicht mit dir kommen, wenn du dahin gehst! Und zum EichenClan...« Er stockte. »Sie wissen noch nicht, dass ich dein Schüler bin, und werden mich verjagen.«

»Gut.« Winternacht wandte sich gekränkt von ihm ab. »Dann gehe ich alleine. Aber denk daran: Du wirst nach mir der wandernde Heiler sein. Du wirst dir deine Patienten nicht aussuchen können. Mein Vater, Sternenglanz, ist genau daran zugrunde gegangen.«

»Woran?«

Ihre eisblauen Augen funkelten ihn leicht verärgert an. »Er hat sich geweigert, zu einem Patienten zu gehen, weil dieser ihn einmal schwer verletzt hat. Als dieser Kater starb, rächte sich sein Bruder an Sternenglanz, indem er meinen Vater kaltblütig tötete.« Ihr Blick schweifte weit in die Ferne. »Das war das einzige Mal in meinem ganzen Leben, dass ich eine Katze mit voller Absicht getötet habe.«

»Du hast den Bruder des Katers getötet?«, fragte Sternenpfote ungläubig.

Winternacht erwachte aus ihrer Starre. »Ja.« Es lag kein Bedauern in ihrer Stimme.

»Wie hießen sie?«

»Der, der zuerst gestorben ist, hieß Flossenwirbel«, presste die schneeweiße Kätzin hervor. »Sein Bruder Wolkenruß. Sie gehörten beide zum SumpfClan und waren unzertrennbar. Sie haben alle Geheimnisse geteilt und so eine gigantische Sammlung an Wissen erlangt. Doch zu viel Wissen kann zu Wahnsinn führen.«

»Sie sind wahnsinnig geworden?«

Winternacht gab einen Laut von sich, den Sternenpfote nicht deuten konnte. Es hörte sich wie eine Mischung aus Verachtung und Traurigkeit an. »Ich bin ihnen vor einiger Zeit begegnet. Sie haben mich nicht erkannt. Oder sie sind zu wahnsinnig geworden, um mich zu erkennen. Jedenfalls haben sie mich aus einem Schlammloch gerettet.«

Sternenpfote blinzelte verwirrt. »Ich dachte, sie sind tot?«

Seine Mentorin zuckte mit den Ohren und sah ihn schräg an. »Die Toten sind manchmal sehr lebendig.« Damit sprang sie auf die Pfoten, verließ den Bau unter der Zeder und eilte den Berghang hinab.

»Warte! Die Kräuter!«, rief Sternenpfote ihr noch hinterher, doch sie schien ihn nicht zu hören. Seufzend setzte er sich wieder vor die fremden Heilpflanzen, konnte sich aber nicht mehr konzentrieren.

Die Toten sind nicht lebendig, grummelte er in Gedanken. Die Toten sind tot. Funkenpelz ist tot. Luchsstern und Falkenschweif sind tot. Seine Miene verdüsterte sich. Nebelglanz, die mein gesamtes Leben als Lüge offenbart hat, ist tot. Wolkenjunges ist auch tot.

Seine Gedanken wanderten wieder zu Schwebetropfen, seiner richtigen Mutter, und fauchte frustriert. Es machte keinen Sinn, jetzt noch weiter hier zu sitzen, wo er sich doch nicht mehr konzentrieren konnte. Ich hätte Winternacht einfach darum bitten können, mich beim EichenClan als ihren Schüler vorzustellen... Dann hätte ich wenigstens nützlich sein können.

Der Kater ließ die Kräuter links liegen und trat aus dem Bau nach draußen. Vielleicht könnte er sich etwas in den Himmelbergen umsehen. Er hatte bisher immer die Hilfe seiner Mentorin gebraucht, um zur Zeder zurückzufinden. Aber jetzt hatte er genug Zeit, um sich alles einzuprägen. Es war unklar, wie lange Winternacht wegbleiben würde. Sicher mehrere Tage, wenn sie bei beiden Clans vorbeischauen musste. Entschlossen schritt Sternenpfote voran. Immer der Nase nach.

***

Sternenpfote war nicht lange unterwegs gewesen, als er das laute Rufen einer Katze hörte. Das Echo war jedoch so stark, dass er nicht genau herausfinden konnte, wo diese Katze sich jetzt wirklich befand. Er reckte den Kopf, spitzte die Ohren und sah sich gleichzeitig in alle Richtungen um.

Da! Ein Steinhaufen, hinter dem sich eine schmale Felsspalte auftat. Kam die Stimme von dort? Der Heilerschüler näherte sich dem Stapel und nun hörte er es klar und deutlich: Jemand rief nach Winternacht. Warum?

Vorsichtig, um keinen der Steine zu bewegen und sich so durch ein Geräusch zu verraten, kletterte er den Felsenhaufen hinauf und lugte über dessen Spitze hinweg auf die andere Seite. Erst dachte er, er hätte sich getäuscht, doch dann entdeckte er eine schwarz-weiße Kätzin, die mit gesträubtem Fell und weit aufgerissenen Augen durch die Landschaft wanderte.

»Winternacht!«, rief sie wieder. Vor Kälte, oder auch Angst, zitterte sie am ganzen Körper.

Kurzerhand richtete Sternenpfote sich auf und sprang den Steinhaufen hinunter. Als er landete, stolperte die Kätzin vor Schreck zurück. Ein unachtsamer Pfotenschritt und sie rutschte aus. Schreiend knallte sie mit dem Kopf auf den harten Stein, wo sie auch liegen blieb.

»Tut mir leid!« Sternenpfote eilte zu ihr und wollte anfangen, sie zu untersuchen, als ein scharfer SumpfClan-Geruch ihm entgegenschlug. Fauchend fuhr er zurück und kam sich sofort dämlich vor. Die Kätzin konnte nichts dafür, dass sie aus einem feindlichen Clan kam.

Eigentlich nicht mal das, stellte er grimmig fest. Ich gehöre jetzt nicht mehr zum EisenClan. Er rief sich die Worte zurück ins Gedächtnis, die Winternacht gesagt hatte: »Du wirst dir deine Patienten nicht aussuchen können.«

Obwohl es ihm gar nicht behagte, riss er sich zusammen und untersuchte den Kopf der Kätzin. Nur wenige Augenblicke später öffnete sie die Augen. Als ihre Blicke sich begegneten, hatte Sternenpfote das Gefühl, sie zu kennen, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Sie ist ungefähr so alt wie ich, aber die Große Versammlung habe ich verpasst, also...

»Ich entschuldige mich dafür, in dein Territorium eingedrungen zu sein«, miaute die Kätzin mit einer Stimme, die Sternenpfote einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. »Ich suche nach Winternacht. Einige unserer Katzen wurden schwer verletzt und... Ich soll sie holen, bevor sie zuerst zum EichenClan geht.«

»Du bist zu spät«, erklärte Sternenpfote. Besorgt beobachtete er die leicht schwankende Haltung der Kätzin. »Sie ist schon aufgebrochen. Aber ich weiß nicht, zu welchem Clan sie zuerst gehen wird.« Auf ihren überraschten Blick hin fügte er noch hinzu: »Ich gehöre nicht zum BlitzClan, sondern bin Winternachts Schüler.«

Die Augen der Kätzin fingen an zu leuchten. »Du bist Heilerschüler? Ich auch! Wahrscheinlich hast du aber noch nicht von mir gehört. Ich wurde erst vor drei Tagen zur Schülerin ernannt, weil ich davor etwas krank war.« Sie deutete auf die kahle und verkrustete Hautfläche auf ihrer Brust. »Jetzt geht es mir aber gut. Ich heiße Kräuselpfote. Und du?«

»Sternenpfote.« Er wunderte sich, dass Kräuselpfote so gute Laune zu haben schien. Tat ihr der Kopf denn gar nicht mehr weh? Als sie jedoch mit der rechten Pfote über ihre Ohren strich und dabei das Gesicht verzog, wuchs seine Sorge. »Du könntest eine Weile in Winternachts Bau unterkommen, bis es deinem Kopf besser geht.«

Kräuselpfote zögerte. Sie wirkte verunsichert. »Darfst du das denn? Niemand weiß, wo ihr Bau ist.«

Sternenpfote verkniff sich ein Schnurren und verhinderte gerade noch rechtzeitig, dass er stolz die Brust vorstreckte. »Dann wirst du wohl die erste sein, die es erfährt.«

Die schwarz-weiße Kätzin lächelte ihn dankbar an und folgte ihm an dem Steinhaufen vorbei. Jetzt handle ich wie ein richtiger Heiler, dachte er. Ich versorge eine frühere Feindin und lade sie in meinen... in Winternachts Bau ein. Leicht verwirrt von sich selber kletterte er weiter.

Warrior Cats - Zeit des KampfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt