06

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Alex:

Ich schaltete die Nachrichten ein. Doch wirklich interessantes kam nicht.
Jay war eingeschlafen und ich schaltete den Fern wieder aus. Langsam hob ich ihn von mir runter, um aufzustehen.
Ich ging zur Küche, nahm mir was zu trinken mit und lief ins Büro.
Da er aber noch schlief, ließ ich  vorsichtshalber die Tür offen, sollte er mich suchen.
Ich startete meinen PC und suchte nach 'Self harm' oder 'ritzen'.
Ich ging auf Bilder und klickte auf eines Drauf.
Die sehen genauso aus, wie seine Narben auf der Hüfte.
Scheinbar hat er sich geritzt.
Aber warum?
Wollte er...
Meine Gedanken wurden unterbrochen, denn jemand hatte mein Namen gesagt.

"Alex? Wo bist du?"

Scheint als wäre er aufgewacht.

"Im Büro. Die Tür is offen."

Ich löschte meinen Suchverlauf und öffnete die Dokumente der Firma, die ich noch zu erledigen hatte.

"Na kleiner, gut geschlafen?"

Ich lächelte ihn an und er nickte nur.
Er war immer noch müde.
Er ließ sich auf meinem Schoß nieder und schlummerte noch ein wenig.

"Was machst du?"

"Ich habe noch etwas zu erledigen. Von der Firma deiner Eltern. Ich arbeite da ja auch. Und das muss ich fertig machen und dann wegschicken. Home Office sozusagen."

Ich küsste seinen Haaransatz und setzte mit meiner Arbeit fort.

Jay:

Ich bin zu ihm ins Büro gelaufen. Müde.
Auf seinem Schoß bin ich wieder eingeschlafen.
Er sagte er müsse Geschäftliches erledigen. Aber ich habe das Gefühl, das ich irgendetwas gemacht habe. Oder er meine Narben entdeckt hatte.
Sie waren zwar verheilt, aber wenn man darüber fährt, spürt man sie deutlich.
Manchmal hab ich immer noch das Bedürfnis, zur Klinge zu greifen.
Mir neue zu machen.
Zu sehen, wie das Blut aus den Ritzen heraus rinnt und mir langsam über die Haut läuft.
Ich hatte es immer an der Hüfte gemacht. Nie wo anders.
Weil ich immer dachte, meine Eltern würden etwas merken.
Ich habe mir immer einen Verband rumgewickelt und bin so dann meist zur Schule.
Mit hungrigen Magen.
Denn ich habe Abends nie etwas gegessen. Stattdessen hab ich mich geritzt.
Ich hab mich ins Bad auf die Wanne gesetzt, die Klinge an die Haut gedrückt und gezogen.
Ich habe die Schmerzen nie gefühlt, habe nächtelang nicht geschlafen und war depressiv.
Wurde gemobbt, weil ich schwul bin.
Mein Leben ging nur den Bach herunter.
Bis ich auf ihn traf.
Alex.

"Hey, kleiner. Steh mal auf. Meine Füße sind eingeschlafen."

Ich werde aus dem Schlaf und meinen Gedanken gerissen.
Ich krabble von seinem Schoß herunter und setzt mich auf den Boden.

"Da is aber jemand noch müde. Willst du ins Bett?"

Er hob mich auf seine arme und trug mich im Brautstil aus dem Büro.
Da ich keine Antwort gab, ging er zur Couch und legte mich dort ab.

"Ich mach uns essen."

"Sag mal. Warum hat du dich geritzt?"

Mittlerweile sitzen wir am Esstisch und essen Spaghetti Bolognese.
Er hatte sich mir gegenüber gehockt und sieht mir jetzt in die Augen.
Wegschauen werde ich nicht. Denn immerhin habe ich auch gelernt, Menschen in die Augen zu schauen, wenn sie mit dir reden.

"Ich wurde ja gemobbt. Wie du mitbekommen hast. Ich bin in einer Depression gefangen. Bin aggressiv und find keinen Ausweg.
Es wurde immer schlimmer. Also fing ich an, mich zu ritzen. Es hatte etwas beruhigendes. Ich spürte keine Schmerzen und sah nur, wie das Blut aus der Ritze rinnt. Ich habe es ander Hüfte gemacht, damit es niemand merkt.
Ich habe im Schwimmen nicht mitgemacht. Allein schon, weil man mich nie in die Umkleide gelassen hatte. Ich musste immer mit dem Lehrer mit. Und ich habe nächtelang nicht geschlafen.
Es war mir einfach alles zu viel...deswegen habe ich angefangen.
Und das verlangen ist immer noch da. Nur kann ich es unterdrücken."

Ich sah ihn weiterhin an, doch beim letzten Satz konnte ich es nicht mehr.
Ich schaute auf meinen Teller und rollte mir die nächste Ladung Spaghetti auf die Gabel.
Er sah mich immer noch an, bis er auch wieder zu seinem Teller sah und aß.

"Unter drücke es auch bitte weiterhin, okay? Ich will nicht, das du dir sowas antust."

Ich nickte nur und aß weiter.
Bis er beschloss, für morgen das nötigste Schulzeug zu packen.

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