Kapitel 2

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Pov. Lion

Eine gefühlte Ewigkeit sehen wir uns einfach nur an. Atmen schwer. Mein Gesicht glüht, als hätte ich Fieber. Tränen brennen in meinen Augen. Mein innerer Fluchtinstinkt meldet sich zu Wort, aber sein Blick hält mich gefangen. Mittlerweile spüre ich meinen Herzschlag direkt unter meinem Kinn, versucht mir die Luft abzuschnüren, als mein Gegenüber mit seiner Zunge über seine Lippen fährt und zum Sprechen ansetzt. Bitte nicht! Geh einfach und sage nichts dazu, flehe ich innerlich und verfluche mich gleichzeitig, wie dumm ich war, ihn einfach zu küssen. So überstürzt und komplett irrational handel ich ja sonst nicht. Ich hätte es so viel subtiler angehen sollen, angehen müssen. Warum wollte ich ihm auch unbedingt zeigen, dass ich ihn kennenlernen will? Warum hätte ich nicht einfach nach seiner Telefonnummer fragen können, anstatt ihn zu küssen?

"Wie heißt du?" Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser plumpen Frage. "Lion", sage ich kleinlaut und sehe zu Boden, um vor seinem aufmerksamen Blick zu fliehen. "Sag, Lion, wie kann ich das gerade interpretieren?" Seine Stimme klingt weich, als würde er bloß aus Interesse fragen und nicht verurteilend. Wie kann er das interpretieren?, wiederholt meine innere Stimme höhnisch, versucht mich damit zu geißeln. Scheiße! Wie soll ich ihm nun Rede und Antwort stehen? Wie soll ich das durchstehen?

Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich tatsächlich, einfach aus dem Bad zu rennen, bleibe jedoch an Ort und Stelle stehen. Ich schulde ihm wenigstens eine Erklärung für mein merkwürdiges Verhalten. Nun ist es soweit, ich muss es ihm ins Gesicht sagen und dabei weiß ich noch nicht einmal, ob er überhaupt auf Männer steht. Fuck. Ich werde ihm etwas verdammt intimes von mir anvertrauen und er wird mich höchstwahrscheinloch korben. Gabt toll gemacht, Lion, wirklich, eine Meisterleistung!

Ich hole einmal tief Luft, bevor ich die Pistole an die Schläfe setze. "Ich ... das gerade war womöglich etwas vorschnell", beginne ich mit bebender Stimme und hoffe einfach, dass die Tränen in meinen Augen auch erstmal dort bleiben. "Vermutlich", ergänzt er, schmunzelt dabei, um mir das Weitersprechen zu erleichtern. "Irgendwie ... also, du, nein Sie...", stammelnd suche ich nach den passenden Worten, die sich aber nicht so recht finden lassen wollen. Nervös kratze ich mich am Hinterkopf, wippe mit den Zehen. Folter, er unterzieht mich der reinsten Folter! "Thomas", unterbricht er mein Ringen mit mir selbst. "Du kannst mich duzen. Ich heiße Thomas." Erneut lächelt er sanft, was mich beinahe erleichtert. Nun kenne ich endlich seinen Namen. Thomas.

"Dieses Restaurant, ist das Lieblingslokal meines Vaters", sprudelt es plötzlich aus mir heraus. Noch peinlicher kann es ja kaum werden. "Wie auch immer, jedenfalls, habe ich dich hier schon öfters gesehen und ... ich weiß auch nicht, irgendwie hast du, deine Erscheinung, einen gewissen Eindruck bei mir hinterlassen." Aufmerksam hört Thomas mir zu, unterbricht mich kein einziges Mal. "Ich habe schon oft überlegt, dich einfach mal anzusprechen, aber habe es nie getan, weil es mir auch ein bisschen utopisch vorkam, da, naja, du ein völlig fremder Mann, wahrscheinlich mittleren Alters bist, der ... naja wie auch immer", kürze ich meinen nächsten Gedankengang ab. Thomas scheint zu verstehen, was mir sein Kopfnicken verrät.

Eine ganze Weile sagt Thomas nichts. Gar nichts. Mit verschränkten Armen steht er da, sieht in die Luft und lässt meine Worte scheinbar auf sich wirken. Anschließend kratzt auch er sich am Hinterkopf und setzt vermutlich zu seiner Abfuhr an. Das einzige, worauf ich noch hoffen kann, ist, dass meine Tränen sich erst zu Hause lösen. "Ich muss ehrlich sein, das überrascht mich gerade sehr." Immer noch sieht er mich nicht an, lässt seinen Blick durchs Bad kreisen. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich bei einem Jugendlichen so gut ankommen könnte." Nun schmunzelt er wieder ein wenig, was den Druck aus dieser geladenen Situation nimmt. "Tja, Wunder geschehen alle Tage", erwidere ich flapsig, aber mein Lächeln reicht dabei nicht bis zu meinen Augen, da mir ausgesprochen flau im Magen ist.

"Kann man so sagen."
"Mir ist klar, dass du mich jetzt abweisen wirst. Ich weiß selbst nicht, warum ich das gerade gemacht habe", komme ich seiner Abfuhr zuvor, da ich es nicht mehr aushalte. Wir wissen schließlich beide, was er tun will, also, warum nicht den Prozess beschleunigen. "Ja, das muss ich wohl. Trotzdem war es mutig von dir, auf mich zuzugehen. Auch, wenn du von meinen Worten jetzt nicht viel hast, rate ich dir, beim nächsten Mal, also bei deinem nächsten Schwarm, es genauso wieder zu tun. Direkte Konfrontation bringt einen weiter, besser, als stillschweigen." Noch einmal lächelt er warmherzig, dann sieht er auf die Uhr, die leise tickend über der Tür hängt und betont, dass er nun wieder an die Arbeit muss.

Mit zittrigen Gliedmaßen bleibe ich zurück. Die so lange zurückgehaltenen Tränen, sprudeln auf einmal unaufhaltsam meine Wangen hinab, vor Erleichterung es endlich überstanden zu haben, sowie vor Scham. Wäre ich doch einfach bei meiner Torte geblieben! Aber immerhin kann ich nun ein wenig mehr erahnen, wie er charakterlich ist und Thomas hat mich in dieser Hinsicht nicht enttäuscht.

Nachdem ich mir die Tränen mit viel Wasser aus dem Gesicht gewaschen habe, gehe zu zurück zu Paps und seinen Kollegen, setze mich wieder brav auf meinen Platz, esse mein Tortenstück und lausche ihrem Gespräch, um nicht an die Situation von gerade eben denken zu müssen. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ganz einfach, ich habe überhaupt nicht gedacht! Zusammengekauert lehne ich mich zurück in den Stuhl. Meine Lippen prickeln ein bisschen, bei dem Gedanken, als sie Thomas' berührt haben. Es war bloß ein Bruchteil einer Sekunde und doch erinnert sich mein Körper bestens an diesen flüchtigen Moment. Immerhin kenne ich nun seinen Namen.

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