Kapitel 4

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Pov. Lion

Ich war noch nie so nervös in meinem ganzen Leben. Unruhig stehe ich vor dem Restaurant und warte auf Malte und Jana, die wie immer stets zu spät kommen. Es ist mir schon jetzt peinlich, weil dieses schöne überteuerte Restaurant nicht gerade zu den Lokalen gehört, wo meine Schulfreunde essen gehen, aber ich wollte auch nicht komplett alleine hier unter der Woche auftauchen. Und auch nicht mit meinem Vater. Wenn er wüsste, aus welcher Motivation heraus ich heute hier stehe, würde er höchstwahrscheinlich durchdrehen. Mir vehement davon abraten, was genau genommen eigentlich gar nicht mal so schlecht wäre.

Immer wieder habe ich versucht, mir diese bescheuerte Idee auszureden, mich davon abzuhalten, Thomas wiederzusehen, aber entgegen jeglicher Vernunft warte ich vor dem Restaurant, in dem er Chefkoch ist, auf meine Freunde, die von meinem Hintergedanken keinerlei Ahnung haben. Es ist die Aufregung, das Interessante an der ganzen Geschichte, das Adrenalin, der dünne Faden Hoffnung, an dem ich mich festhalte.

Jana begrüßt mich überglücklich, zieht mich kurzerhand in eine innige Umarmung. Ihr ehrliches Lächeln reicht über ihr ganzes Gesicht, lässt sie förmlich strahlen. Sie ist mindestens einen halben Kopf kleiner als ich, weshalb sie sich auf die Zehenspitzen stellen muss, um mir durch die Haare zu wuscheln. Eine ihrer vielen kleinen Eigenheiten, die Malte wohl so verzaubert haben. Mein bester Freund tritt langsam neben uns und zieht mich ebenfalls kurz in meine Arme, bevor er mich fragend ansieht. "Ich zahle", sage ich schnell, bevor die beiden noch irgendwelche Einwände hervorbringen können. Ich zweifel schon genug, da kann ich ihre Bedenken nicht auch noch gebrauchen.

Vorsichtig betreten wir das feine Restaurant und erst jetzt, ohne Erwachsene oder eine Truppe von schnöseligen Anzugträgern neben mir, fällt mir auf, wie schick dieses Restaurant wirklich ist. Und wie underdressed Malte und Jana sind. Ich hätte ihnen verraten sollen, in welche Art von Lokal ich sie entführen will, hatte aber Angst, dass sie sonst absagen würden. Erstaunt, beinahe ehrfürchtig betrachten die beiden die vielen vornehm gekleideten Menschen. Das hier ist nicht ihre Welt, McDonald's, KFC, Subway, mittelklassige Italiener, das sind ihr Reich. Darin fühlen sie sich wohl. Darin fühle ich mich wohl. Heute würde mein komplettes Taschengeld draufgehen. Wie war das nochmal? Keine Dummheiten mehr? So viel dazu.

"Was machen wir hier?", fragt leise hinter mir, während eine Servicekraft uns hilft unsere Jacken aufzuhängen. Keine Ahnung.
"Essen. Ich hatte keine Lust mehr auf McDonalds und hier gibt es ein superleckeres Steak, auch wenn der Laden spießig ist", antworte ich so locker wie möglich, könnte mir selbst allerdings eine dafür verpassen, Malte auch noch das teuerste Gericht auf der Karte schmackhaft gemacht zu haben. Skeptisch mustern mich die beiden, sagen aber weiter nichts. Brav folgen wir der Kellnerin zu einem der hinteren Tische, die sich in einer kleinen Niesche befinden und setzen uns an den weiß gedeckten Tisch. Alles hier drin schreit nach Wohlstand und als ich zum ersten Mal die Preise auf der Karte lese, wird mir übel.

Langsam kann ich mir denken, warum Ma Pa verlassen hat. Ich dachte, wir wären immer Normalverdiener gewesen. Wie hatten wir uns das all die Jahre leisten können? Als Kind habe ich nie auf die Preise geachtet. Warum auch? Mama und Papa zahlen schließlich. Unsicher guckt Jana sich um, scheint jeden Winkel genau in Augenschein zu nehmen, um anschließend näher an Malte zu rücken. Dieser sieht skeptisch zwischen der Speisekarte und mir hin und her. Scheise. Er hat den Braten gerochen. Natürlich hat er das. Malte ist schließlich nicht auf den Kopf gefallen.

"Lion, ernsthaft, was machen wir hier? Das hier ist ein Nobelrestaurant." So unschuldig wie möglich lächel ich breit. "Sagte ich doch schon, essen. Wir essen hier."
Aber damit lässt Malte sich nicht abwimmeln. "Aha. Und dann?"
"Ja und nichts dann. Kann man in einem Restaurant wirklich noch etwas anderes machen, als Nahrungsaufnahme zu betreiben?" Mein bester Freund verdreht die Augen. "Hast du neuerdings im Lotto gewonnen?" Mit einem etwas zu lautem Klatschen, schließe ich die Speisekarte wieder und seufze. "Meine Güte, kann ich nicht einmal meine zwei besten Freunde zum Essen einladen?"

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