51. Kapitel

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Panisch riss ich meine Augen auf und wurde von der bekannten Schwärze empfangen.
War es nur ein Traum gewesen? Aber in Träumen konnte ich sonst sehen. In diesem war das nicht der Fall gewesen. Zudem war ich doch aufgewacht. Oder war es ein Traum in meinem Traum, von dem ich aufgewacht bin und jetzt war ich richtig wach? Oder war es der nächste Traum im Traum von dem ich auch wieder wach werden würde?
Dabei hätte ich schwören können, ich hätte wirklich mein Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen.
Meine Finger suchten in meiner Dunkelheit nach einem kleinen Knopf neben meinem Bett. Schnell fand ich ihn und drückte ihn.
Während ich auf die Schwester wartete, gab ich keinen Mucks von mir, aus Angst, doch nicht geträumt zu haben und Yeojin noch hier war.
Kurz klopfte es an der Tür, bevor sie aufgemacht wurde. "Alles in Ordnung?"
Die Schwester kam näher und ich überlegte, was ich sagen sollte.
"Ich habe Kopfschmerzen. Und Hunger." Zum Glück entsprach dies auch der Wahrheit. Die dauerhafte Übelkeit, die mich plagte seit dem ich wieder aufgewacht war nach dem Unfall, hatte endlich nachgelassen. Dementsprechend groß war mein Hunger.
"Das freut mich zu hören. Ist die Übelkeit weg?"
"Noch nicht ganz, aber ich denke, ich werde das Essen in mir behalten können."
"Sehr gut. Ich bringe Ihnen sofort was. Danach bekommen Sie was gegen die Schmerzen."
Langsam nickte ich und bedankte mich. Ihre Schritte entfernten sich und ich hörte, wie die Tür geöffnet und auch wieder geschlossen wurde.
Anhand ihrer Reaktion schlussfolgerte ich, dass ich alleine war und ich nur geträumt hatte. Ein erleichtertes Seufzen konnte ich mir da einfach nicht verkneifen.

Am Nachmittag wurde ich schon entlassen. Es überraschte mich etwas, doch umso größer war die Freude. Ich verbindete Krankenhäuser nur noch mit schlechten Dingen. Dort fühlte ich mich nie ganz wohl. Der sterile Geruch war andauernd in meiner Nase, die Krankenschwestern waren immer in Eile, auch wenn sie versuchten, sich nichts anmerken zu lassen. Ständig kamen von überall her unbekannte Geräusche, die ich nicht zuordnen konnte. Auch wenn alle Räume ungefähr gleich ausgestattet waren, so fiel es mir unglaublich schwer, mich zu orientieren und mich selbstständig zu bewegen.

Chanyeol holte mich ab, was mich sehr freute. Er nahm mich mit zu sich, auch wenn er es riskant fand. Aber er würde nicht von meiner Seite weichen und mich selbst im Schlaf beschützen, das versprach er mir hoch und heilig.
Der Arzt aus dem Krankenhaus hatte mich noch für 3 Tage krank geschrieben und mir Ruhe verordnet.
Kurz nachdem wir bei seiner Wohnung waren, fiel mir ein, dass mein Trainer nicht Bescheid wusste. Sofort machte ich mir Vorwürfe, doch Chanyeol beruhigte mich und teilte mir mit, dass er ihm Bescheid gegeben hätte.
Er umsorgte mich rührend und verbot es mir, aufzustehen. Selbst das Essen brachte er mir ans Bett. Danach lagen wir stundenlang eng aneinander gekuschelt im Bett.
Bevor wir Schlafen gingen, gab er mir nochmal Schmerzmittel und dann konnte ich auch schmerz- und schwindelfrei in den Tiefschlaf gleiten.

-

Die nächsten Tage verbrachte ich bei meinen Eltern Zuhause. Es war ungewohnt, wieder dort zu sein. Da sie in einem recht großen Haus lebten, war es schwieriger sich zurecht zu finden. Aber meine Mutter wollte sowieso, dass ich liegen blieb. Mein Vater ging morgens zur Arbeit und kam abends wieder.
Nachts schlief ich in meinem alten Zimmer, was mittlerweile ein Gästezimmer war. Tagsüber jedoch war ich auf der Couch oder auf dem Sessel. Meine Mutter kochte mir ständig Tee oder machte Essen. Ähnlich wie Chanyeol umsorgte sie mich, nur machte sie es besser, schließlich war sie eine Mutter.
Es schien mir, als freute sie sich, sich um mich zu kümmern. Den Tag über war ihr oft langweilig. Zwar hatte sie viel Haushalt zu erledigen in dem großen Haus, doch es gab auch Momente in denen sie eben nichts zu tun hatte und sich langweilte.
Zwischendurch hatte ich den Wunsch, draußen spazieren zu gehen, doch von dieser Idee war meine Mutter ganz und gar nicht begeistert.
"Da hat wahrscheinlich jemand versucht dich umzubringen. Dieser Mensch ist noch irgendwo da draußen, das ist zu gefährlich", hatte sie gesagt. Erst war ich beleidigt, doch nach einer Weile hatte ich Einsicht gezeigt. Sie hatte recht. Und letztendlich wollte sie mich ja auch nicht ärgern, sondern einfach nur beschützen. Als ich das erkannte, schämte ich mich für mein stures und uneinsichtiges Verhalten, sie meinte es nur gut.
Und so rührend ich es auch fand, dass sowohl meine Eltern wie auch mein Freund sich so liebevoll um mich kümmerten, so nervig wurde es auch mit der Zeit. Langsam bekam ich das Gefühl, keine Privatsphäre mehr zu haben und eingesperrt zu sein. Ich fühlte mich gefangen und fieberte schon dem Tag zu, an dem ich wieder ins Blindenzentrum durfte. Meine Übelkeit war komplett weg und auch das Schwindelgefühl und die Kopfschmerzen waren stark abgeschwächt. Hätte ich nicht so Angst davor, alleine rauszugehen, wäre ich schon längst gegangen.
Aber meine Eltern und Chanyeol waren sich einig, dass erstmal keiber wissen durfte, dass ich hier war.
Selbst Chanyeol besuchte mich kaum bei meinen Eltern. Sein Verhalten erinnerte mich ein wenig an mich selbst, als ich die Schritte gehört hatte.
Apropos Schritte, Chanyeol war ziemlich wütend auf mich, dass ich nichts davon erzählt hatte. Aber nicht nur wütend, seine Stimme klang ebenso gekränkt und enttäuscht, was ich noch viel mehr hasste. Seine Wut war schnell verraucht, doch die Enttäuschung hielt noch lange an. Die Polizei erhoffte auf weitere Spuren, wenn ich wieder zum Zentrum fuhr. Ein verkleideter Polizist sollte mich mit Abstand begleiten und die Situation beobachten. Außer ihm würden noch weitere dabei sein, aber nur er wäre in meiner Nähe. Die anderen würden die Situation aus der Ferne beobachten und aufnehmen.

-

Der Tag, an dem ich wieder raus durfte, kam endlich. Obwohl ich ihm so entgegen gefiebert hatte, spürte ich nun vor allem Unsicherheit.
Was würde mich erwarten?
Was wäre, wenn die Person wieder da war?
Ihr Ziel war es wahrscheinlich, mich unterbringen. Würde sie so weit gehen, mich in der Öffentlichkeit umzubringen, weil ihr erster Versuch gescheitert war?
Meine Handinnenflächen schwitzten und ich rieb meine Hände über den Hosenstoff. Dennoch zitterten meine Finger etwas und waren eiskalt. Fest presste ich sie an meinen Körper um sie zu wärmen und um das Zittern zu unterbinden. Warum machte ich mir Sorgen? Mehrere Polizisten begleiteten mich, ich hatte keinen Grund dazu, mir Sorgen zu machen.
Offensichtlich merkte ein Polizist meine Angst, den er sprach aufmunternd zu mir.
"Keine Sorge, Ihnen wird nicht passieren. Sie werden in keiner Sekunde alleine oder ungeschützt sein. Ich und meine Kollegen, wir lassen Sie keinen Moment aus den Augen", sagte er sanft und seine Worte gaben mir etwas Sicherheit. Es waren bloß Worte, doch ich klammerte mich in der Dunkelheit an sie und der dazugehörigen Stimme.
"Vielen, vielen Dank", hauchte ich leise, aus Angst, meine Stimme könnte brechen.
"Sie müssen sich nicht bedanken. Das ist unser Job!"
Unbestimmt lächelte ich etwas und nickte.

Sie versicherten mir, ganz in der Nähe zu sein, trotzdem fühlte ich mich auf dem Weg zum Zentrum sehr nackt und schutzlos. Mein Herz schlug mir bis zum Hals während ich versuchte, ruhig zu bleiben.
Akribisch achete ich auf jedes noch so kleine Geräusch. Ich hörte Vögel, Fahrräder, Autos, Menschen, Hunde, das Ticken der Ampeln und sogar den Wind, der geräuschvoll durch Bäume und zwischen den Gebäuden wehte. Immer wieder schnappte ich Gesprächsfetzen auf von Leuten, die an mir vorbeigingen. Besonders aufmerksam achtete ich auf die Schritte der Menschen um mich herum. Doch keiner klang auch nur ansatzweise vertraut. Da waren schnelle Schritte, langsame Schritte, schwere Schritte und kurze Schritte bei. Selbst die Schuhe fand ich leicht heraus. Ob Schuhe mit Absatz oder schwere Stiefel, eine Person humelte. Ihr Schrittrhythmus war ungleichmäßig. Irgendwie störte mich das.
Schnell fokussierte ich mich wieder auf das Wesentliche. Warum ließ ich mich nur so schnell ablenken?

Mein Trainer empfing mich an der Eingangstür. Eine angespannte Aura umgab ihn, ich spürte sie deutlich und sie ließ mich unbehaglich fühlen. Mit schnellen Schritten folgte ich ihm den Gang entlang. Wir gingen in sein Büro und ich setzte mich auf einen Stuhl. Schweigend spielte ich mit meinen Fingern und wartete ungeduldig in meiner Dunkelheit.
Schon bald klopfte es kurz an der Tür und mehr als eine Person kam herein. Es waren die Polizisten, aber sie sagten mir nur, dass ihnen nichts unauffälliges aufgefallen war. Kraftlos ließ ich meine Schultern fallen und senkte betrübt meinen Kopf.
"Aber Sie sagten ja, Sie hätten diese Schritte vor allem auf dem Rückweg wahrgenommen, richtig?"
Bestätigend nickte ich. "Ja, morgens habe ich sie nie gehört."
"Vielleicht haben wir später mehr Glück. Und denken Sie immer daran: sie sind in keiner Sekunde in Gefahr!"
Mit zusammengebissenen Zähnen nickte ich, doch meine Angst war unbeeindruckt von seinen Worten. Wenn mein Angreifer mich plötzlich angreifen sollte, brachte den Polizisten die beste Ausbildung nichts. Je nach dem würden sie mich nicht retten können.
Diesmal nicht.

Auf meinem Rückweg spürte ich wieder diese Einsamkeit und Schutzlosigkeit. Am liebsten wäre ich jetzt in meinem Bett und hätte die Bettdecke über mich gezogen. Dabei würde ich in Chanyeol's beschützenden Armen liegen und sie würden mich fest an seinen warmen, großen Körper drücken. Ich brauchte dieses Gefühl der Geborgenheit momentan. Schon zu lange war ich getrennt von ihm. Genau dann, wenn ich ihn am meisten brauchte.
Äußerst angestrengt und konzentriert achtete ich auf alles, was ich hörte. Der Blindenstock lag schwer in meiner schwitzigen Hand. Meine Augen waren weit geöffnet und ich spürte den Wind, der gegen mein Gesicht blies, er ließ sie tränen, doch es störte mich nicht. Immer wieder blinzelte ich diese Tränen weg. Es machte zwar keinen Unterschied, wenn ich sie ganz schloss, doch dann fühlte ich mich noch schutzloser. Es war dumm und ich verstand mich selber nicht, aber ich konnte sie auch gar nicht schließen, selbst wenn ich es gewollt hätte.
Die Schritte, vor denen ich mich so fürchtete, waren nicht da. Bis zur Bushaltestelle waren sie nicht einmal zu hören.
Durch meinen Blindenstock fand ich die Abgrenzung der Haltestelle, doch ich lief weiter, an ihr vorbei. Eine Straße weiter war eine kleine Seitenstraße, ich bog in sie hinein und hörte den Motor eines Autos.
"Steigen Sie ein."
Noch immer mit zitternden Händen, klappte ich meinen Stock zusammen und stieg in das Auto hinein.

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Heute kommt einfach noch ein Kapitel obwohl ich eigentlich nur alle 2 Tage update. Aber mein 'Freund' und ich haben uns übelst gestritten und 'Schluss' gemacht und ich brauche Ablenkung :')

𝒃𝒍𝒊𝒏𝒅 || 𝒄𝒉𝒂𝒏𝒃𝒂𝒆𝒌/𝒃𝒂𝒆𝒌𝒚𝒆𝒐𝒍 [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt