Als ich meinem Bruder dann alles erzählt hatte, konnte ich ihn das erste Mal seit Jahren mal wieder geschockt sehen. Ich hatte zwar nicht angenommen, dass er es wusste, doch sein Blick bestätigte dennoch seine Unwissenheit.
„Wir werden heute Abend mit ihr darüber sprechen." beschloss er dann nach einer Weile, nachdem er sich von seinem kleinen Schock erholt hatte. Nun wirkte er fast wieder, als wäre er nur ein Roboter, doch irgendwie wusste ich diesmal dennoch, was er dachte und fühlte. Ich war mir sicher, dass auch er sich Sorgen machte.
„Ich mach mir auch Sorgen." flüsterte ich ihm daher ins Ohr und umarmte ihn. Er erwiderte meine Umarmung und dieses Mal tröstete ich ihn und nicht er mich. An meiner Schulter konnte ich seine Tränen spüren. Das alles eben erfahren zu haben, war sicherlich heftig, auch ich war wieder den Tränen nah, doch ich wollte für Shinsuke da sein. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen, also wollte ich in diesem Moment stark sein - für ihn.Als Suna und Osamu dann allerdings irgendwann in den Raum kamen, lösten wir uns und Shinsuke wischte sich schnell die Tränen weg, wobei das nichts an seinen geröteten Augen und Wangen änderte. Man konnte deutlich sehen, dass er geweint haben musste.
„Was ist los?" fragte Suna mit einer besorgten Stimme, nachdem er unsere Gesichter gemustert hatte.
Nach einem kurzen Schluchzen antwortete mein Bruder: „Ein paar Familienprobleme, doch das klärt sich sicherlich wieder."
Suna schien misstrauisch, nickte letztendlich aber. Osamu nahm Sunas Hand und sagte: „Wir sollten sie lieber alleine lassen, außerdem müssen wir auch noch packen."
Nach einem Seufzen, stimmte Suna seinem Freund zu und die Beiden gingen wieder.„Du musst sicherlich auch noch packen, oder?" fragte Shinsuke dann.
„Hmm, ja."
„Mach das lieber jetzt, nach dem Mittagessen hast du keine Zeit mehr." erklärte er wieder monoton, als wäre nie was gewesen.
Stumm richte ich mich auf und tat, was er sagte.
In meinem Zimmer angekommen, sah ich allerdings, dass Atsumu nicht mehr da war.
Vielleicht ist er trainieren gegangen oder muss auch noch packen.
Ich sammelte all meine im Raum verteilten Sachen zusammen und stopfte sie in meinem Koffer. Nachdem ich dann nochmal überall nachgesehen hatte, ob ich tatsächlich alles eingepackt hatte, schloss ich meinen Koffer und brachte den Müll nach draußen. Als ich dann das Bett gemacht hatte, war ich fertig.[...]
Nach dem Mittagessen, lief ich stumm zum Bus und verstaute meinen Koffer. Kurz darauf kamen auch immer mehr Jungs, die auch ihre Sachen verstauten und sich dann auch in den Bus setzten.
Die ganze Fahrt über, dachte ich nur an meine Großmutter und grübelte, was das alles eigentlich bedeuten sollte, kam aber zu keinem Resultat.
Nach einigen Stunden kamen wir dann an unserer Schule an, wo schon viele Eltern auf uns warteten. Meinen Bruder und mich wird allerdings niemand abholen, schließlich ist unsere Großmutter schon sehr alt und hat ihren Führerschein daher vor einiger Zeit schon abgegeben.
Mit Shinsuke zusammen, lief ich also zu unserer Haltestelle. Wir hatten Glück und mussten nicht lange auf unsere Bahn warten.Auf dem ganzen Weg schwiegen wir. Ich denke, dass wir beide genug damit zu tun hatten, unsere Gedanken zu sortieren und uns mental auf das gleich stattfindende Gespräch vorzubereiten.
Zuhause angekommen, konnte ich sehen, wie mein Bruder tatsächlich kurz zögerte, die Tür aufzuschließen. Er war sicherlich nervös und hatte Angst, wobei er da auch nicht der Einzige war.Wir stellten unser Gepäck erstmal in den Flur und liefen dann in das Wohnzimmer, wo unsere Großmutter saß.
„Ah, da seid ihr ja. Ich habe euch schrecklich vermisst! Wartet einen Moment, ich mache euch etwas zu essen." Sie stütze sich an der Armlehne des Sofas ab, damit sie aufstehen konnte. „Schon gut, setz dich wieder. Ich werde später kochen." unterbrach Shinsuke ihr Vorhaben und sie ließ sich wieder auf das Sofa fallen.
„Na schön. Erzählt mir von eurem Trainingslager, wir war es?" fragte sie sanft lächelnd, doch mein Bruder schüttelte nur den Kopf.
„Sag uns die Wahrheit. Es reicht jetzt endgültig mit den Geheimnissen." forderte er.
Sie weitete geschockt die Augen und fragte ihn irritiert, was er denn meinen würde.
„Wenn es um den Krebsverdacht geht, weiß ich auch noch nichts Neues." fügte sie dann noch hinzu.
Shinsuke ballte seine Hände zu Fäusten. Seine Geduld war heute, anders als sonst, wohl eher gering.
„Sakiko, geh bitte hoch in dein Zimmer. Ich muss mit unserer Großmutter alleine etwas besprechen, aber keine Sorge, du wirst es danach auch erfahren."
Verwirrt sah ich meinen Bruder an. „Wieso soll ich dann gehen?"
„Bitte, tu einfach, was ich dir sage."
Seine Stimme klang ein wenig gereizt. Das sah ihm nicht ähnlich und ich hatte das Gefühl, dass ich ihm nun wirklich nicht widersprechen sollte.
Ich ging also seufzend in mein Zimmer und wartete nervös, darauf, dass er zu mir kommt oder mich ruft, um mich auch einzuweihen.Ich wartete fast eine ganze Stunde, bevor ich dann ein Klopfen an meiner Tür vernahm. Reflexartig lief ich zur Tür und riess sie auf.
Stumm trat mein Bruder in mein Zimmer ein, setzte sich auf meine Bettkante und klopfte neben sich, wo ich mich dann hinsetzte.
„Und?" fragte ich ihn schnell.
Nach kurzem schweigen, erklärte er mir, worüber sie sprachen. „Sie hat mir erklärt, dass sie es uns nie sagte, weil sie uns nicht belasten wollte, doch die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder gesund wird, besteht beinahe gar nicht mehr. Sie wollte uns aber nicht sagen, dass sie es so lange verheimlicht hat, daher erfand sie diese seltsame Geschichte, damit wir uns langsam an das Thema herantasten könnten."
Bevor er weiter sprach, senkte er seine Stimme ein wenig. „Was ich dir jetzt noch sage, sollte ich dir eigentlich nicht erzählen, aber ich denke, dass es langsam wirklich reicht mit den vielen Geheimnissen. Oma hat ihre Behandlung abgebrochen, weil sie die Chemotherapie so sehr geschwächt hätte, dass sie sich nicht mehr um uns kümmern könnte, wenn es so weiter geht, wobei das mittlerweile auch egal ist. Dazu ist sie ja nun auch nicht mehr die Jüngste. Sie hat einige Probleme mit dem Jugendamt, weil in Frage gestellt wird, ob sie sich noch um und kümmern kann." Er atmete nochmal tief ein und aus, ehe er das Schlimmste ausspuckte.
„Außerdem... da sie die Behandlung abgebrochen hat, steht schon beinahe fest, dass die demnächst sterben wird. Ihr Körper macht das nicht mit."
Ich nickte vorsichtig, während ich versuchte, die vielen Informationen zu sortieren.
„Wie viel Zeit bleibt ihr denn?" fragte ich dann Vorsicht nach.
„Mit viel Glück, bleiben ihr noch ein paar Monate, doch die muss sie im Krankenhaus verbringen."
Ich nickte wieder.
Nach einer Weile, in welcher wir nur Schweigend da saßen, stand er auf und lief zur Tür.
„Ich weiß, dass das alles viel ist, aber wir schaffen das. Zusammen."
„Ja, sicher." stimmte ich ihm eher abwesend zu und ließ mich nach hinten in mein Kissen fallen.Ich wollte zwar schlafen, dachte letztendlich aber nur die halbe Nacht über meine Großmutter nach.
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Lückenlos - Haikyuu Fanfiction
FanfictionSakiko ist die kleine Schwester von Shinsuke Kita, dem Kapitän des Volleyball Teams. Sie kommt gerade neu auf die Oberschule und kennt dort nur ihren Bruder, welcher ihr gegenüber sehr fürsorglich ist und gut auf sie achtet. Mit der Zeit lernt sie...