Kapitel 34 - Abschied

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte und tatsächlich realisierte, dass der Tod meiner Großmutter kein Traum ist, wurde mir wieder einmal schmerzlich bewusst, dass das Leben nicht fair sein kann.

Sie hatte das alles nicht verdient.
Sie war doch ein guter Mensch, wieso musste sie Krebs bekommen?
Shinsuke und ich brauchen sie doch aber noch.
Wieso konnte ihr niemand helfen?
Was ist jetzt mit meinem Bruder?
Wie geht es Shinsuke? Wird er klar kommen?
Was ist mit der Beerdigung?
Hat sie je über ihre eigene Beerdigung nachgedacht?

...All das schwirrte mir pausenlos durch den Kopf und auch noch ein paar Tage nach ihrem Tod, schaffte ich es nicht, wieder klar zu denken.

Ich fühle mich seit ihrem Tod, vor zwei Tagen, als wären meine Gedanken und alles um mich herum, in Nebel gehüllt. Ich kann mich nicht konzentrieren, fühle mich Antriebslos und fange manchmal urplötzlich an zu weinen. Mir war bewusst, dass meine Oma bald sterben würde, doch ich konnte mich nicht richtig verabschieden und war nicht bei ihr, als sie starb.

Shinsuke ist stärker als ich.

Auch er hat seine Großmutter verloren und könnte jeden Moment einfach in Tränen ausbrechen.
Auch er ist traurig und wahrscheinlich am Boden zerstört.
Auch er würde jetzt wohl lieber alleine sein und trauern.

Doch er tut es nicht, denn er ist stärker als ich.

Er kümmert sich um alles.
Ich habe ihn seit dem Tag, an dem er mir sagte, dass sie starb, danach nicht mehr weinen gesehen.
Wie ein Roboter, kümmert er sich emotionslos um alles.
Anders als ich, verkriecht er sich nicht einfach im Bett und heult.
Er kümmert sich um den Sarg, in dem unsere Großmutter begraben werden soll.
Er sucht Musik aus, die auf der Beerdigung gespielt werden soll.
Er sieht sich die verschiedensten Grabsteine an, um einen passenden zu finden.

Natürlich würde ich ihn gerne unterstützen und ihm helfen, damit er das alles nicht alleine machen muss, doch so sehr ich dies auch will, ich kann nicht.

Ich schaffe es kaum, aus meinem Bett zu kommen.
Ich schaffe es gerade so, mich zu zwingen, auf die Toilette zu gehen.
Ich kann nicht nicht, wie er tut, um all diese Formalitäten kümmern.

Es ist erst wenige Tage her und sie wird doch heute erst beerdigt.

Norimune, Shinsuke, Machi, viele Jungs aus dem Volleyballteam, Freunde meiner Großmutter und einige Mitarbeiter aus dem Krankenhaus - kommen heute alle zu ihrer Beerdigung.
Sie kommen, um meinen Bruder und mich zu unterstützen und sie kommen, weil sie alle wussten, dass unsere Großmutter ein wundervoller Mensch war.
Die Jungs aus dem Volleyballteam, kannten unsere Oma schon lange bevor ich das Team kannte.
Sie ist immer zu ihren Spielen gekommen und hat sie angefeuert. Manchmal trug sie sogar so ein peinliches Oberteil, wo Shinsuke draufstand.
Sie hat es geliebt, ihnen bei den Spielen zu zusehen und sie liebte es, die Jungs Lächeln zu sehen, nachdem sie gewonnen hatten.

Doch nun, ist sie nicht mehr da.

Nun, stehe ich alleine vor meinem Spiegel, schaue an mir runter und betrachte mein schwarzes Kleid, welches ich auf der Beerdigung meiner Großmutter tragen soll.

„Bist du so weit?" ertönte die liebevolle Stimme von Atsumu, welcher im Türrahmen stand.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann." murmelte ich mit dem Blick zum Boden gerichtet.
„Es ist okay, wenn du noch nicht soweit bist." versicherte er mir und kam auf mich zu. Er nahm meine Hände in seine und sagte: „Niemand erwartet, dass du bereit bist. Es ist auch in Ordnung, wenn du es niemals sein wirst, vielleicht kannst du das auch nicht."
„Aber Shinsuke, e-"
„Shhh." Er legte einen Finger sanft auf meinen Mund, damit ich nicht weitersprach.
„Ich weiß, was du sagen willst. Du denkst, du müsstest alles so wie dein Bruder hinbekommen und du denkst, dass du ihn mehr unterstützen müsstest. Hab ich recht?"
Ich nickte leicht und er fuhr fort.
„Du kannst das aber nicht von dir selbst erwarten, dein Bruder tut das auch nicht. Er liebt dich und er weiß, dass du Zeit brauchst. Er braucht diese Beschäftigung und du brauchst eben Abstand und Zeit. Beides ist vollkommen in Ordnung. Ihr trauert um eure Großmutter und niemand kann euch vorschreiben, wie ihr zu trauern habt."

Völlig überfordert und nahezu verzweifelt, stürzte ich mich in seine Arme und fing an zu weinen.
„Ich... Ich glaube, ich schaff das heute nicht." murmelte ich schluchzend in sein Hemd.
„Ich glaube, ich schaffe es nicht... zur Beerdigung zu gehen." ergänzte ich dann nochmal mit deutlicherer Stimme.
Er lächelte mich leicht an und sagte: „Ist okay. Verabschiede dich von ihr, wenn du dazu bereit bist."
„Er hat recht." pflichtete Shinsuke bei, während er im Türrahmen stand. Er muss das eben wohl gehört haben.
„Wirklich?" fragte ich meinen Bruder, während ich meine Tränen wegwischte.
„Ja, ich kann verstehen, dass du noch Zeit für dich brauchst und das zu viel für dich wäre."
Erleichtert, wegen seinem Verständnis, schloss ich meinen Bruder in meine Arme.
„Es tut mir leid, dass ich dir keine Hilfe bin." flüsterte ich ihm zu und ließ ihn wieder los.
„Du bist mir eine Hilfe, denn du bist bei mir. Du bist am Leben und mehr erwarte ich nicht." sagte er mit einem kleinen Lächeln auf dem Lippen und gab mir einen Kuss auf die Wange.

Danach verabschiedete mein Bruder sich, da er zu Beerdigung los musste.
Machi versprach mir, dass sie auf meinen Bruder achten würde, da ich nicht komme. Für sie war das kein Problem, schließlich bedeutet mein Bruder ihr viel und mich erleichterte es, zu wissen, dass jemand da ist, um ihm zur Seite zu stehen.
Auch das restliche Volleyballteam geht zur Beerdigung und unterstützt meinen Bruder, nur Atsumu nicht.
Atsumu beschloss, bei mir zu bleiben.

Atsumu hob mich hoch, ging mit mir ins Wohnzimmer zum Sofa und blieb dort stundenlang mit mir.
Ich saß an seine Brust gekuschelt auf seinem Schoß und er streichelte mir durchgehend beruhigend über den Rücken.

Er war einfach nur für mich da und erwartete im Gegenzug rein gar nichts.


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Heyyy,

kleine Erinnerung:
Das hier ist das vorletzte Kapitel.
Ich hoffe, dass es euch gefallen hat und es gut verständlich war. Ich hatte teilweise das Gefühl, dass man eventuell nicht ganz verstehen könnte, was ich meine oder was vermittelt werden soll. 😅

Und natürlich nochmal vielen Dank an alle!

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