NINETEEN

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-Sarah-

„Hast du das Labor schon vorbereitet?" fragte mich Sophie. Ich packte mein Zeug zusammen, während Sophie schon fertig neben mir stand. Irgendwie schien ich besonders langsam zu sein, denn ich war jedes Mal die letzte. Egal.
Ich verzog das Gesicht als ich an die Laborvorbereitung dachte. Mir graute es schon jetzt davor. „Ich hab noch nicht einmal angefangen." Verriet ich ihr. Das Labor war erst am Dienstag. Heute war Freitag. Ich bereitete die Labore meistens auf den letzten Drücker vor. Aber wenigstens bereitete ich sie vor. Es gab auch einige, die das gar nicht machten und sich dann auf ihre Partner verließen. Leider manchmal auch mein eigener Laborpartner. „Du?" fügte ich noch fragend hinzu.
„Ja." Bestätigte sie mit düsteren Tonfall.
„Ist es so schlimm?"
„Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du die Aufgabe mit dem Festspannungsregler vielleicht schon gelöst hast." Ich fragte mich nach wie vor, für was Maschinenbauer Elektrotechnik brauchten. Dafür gab es doch die Elektrotechniker oder die Mechatroniker. Oder hatte ich da etwas falsch verstanden?
„Ich schau es mir an und dann kann ich dir ja schreiben." Versprach ich ihr. „Bist du am Montag oder am Dienstag dran?"
„Montag."
„Okay." Nickte ich und kritzelte eine kleine Erinnerung in meinem Kalender. Sonst würde ich das Ganze wieder vergessen.
„Bleibst du eigentlich dieses Wochenende hier?" fragte ich sie. Normalerweise verließ Sophie die letzte Vorlesung schon in der Pause, wenn sie am Freitag überhaupt erst zu dieser kam und fuhr dann nachhause.
„Mein Freund holt mich ab." Erzählte sie mir. „Wir wollen das Wochenende zusammen in Stuttgart verbringen."
Ich nickte. „Dann wünsche ich euch viel Spaß und ein schönes Wochenenden." Verabschiedete ich mich von ihr, als sich unsere Wege trennten.
„Danke, dir auch. Bleibst du hier?"
Ich nickte. Ich blieb fast immer hier. „Ja. Ciao."
„Bis Montag."
Während ich zu meiner WG zurücklief, überlegte ich, was ich jetzt machen sollte. Eigentlich wäre es nicht dumm das Labor jetzt gleich vorzubereiten. Am Montag wollte ich mich mit Simon wegen dem CAD-Projekt zusammensetzten. Da hätte ich danach vermutlich keine Zeit mehr. Andererseits fühlte sich mein Gehirn wie Matsch an. Die Vorlesungen waren heute einfach nur furchtbar langweilig gewesen. Wenn nur noch die Hälfte der Studenten am dritten Freitag anwesend waren, war alles über den Wert der Vorlesung gesagt. Wäre es nicht so unhöflich hätte ich ein Kissen mitgenommen und einfach weiter geschlafen. Das tat ich in letzter Zeit ohnehin am liebsten. Üblicherweise war ich immer vor meinen Wecker wach gewesen. Aber seitdem ich jede Nacht von Logan träumte, riss mich jedes Mal mein Handywecker brutal aus dem Schlaf. Mittlerweile verzichtete ich frühmorgens sogar auf mein Frühstück, dabei war das für mich die wichtigste Mahlzeit des Tages, nur um länger schlafen oder besser gesagt von Logan träumen zu können. Es fühlte sich einfach jedes einzelne Mal so real an, dass ich am liebsten für immer in meinen Träumen bleiben wollte. Es gab keinen anderen Ort, wo ich so sorglos mit ihm zusammen sein konnte.

„Hey," riss eine Stimme mich aus meinen Tagträumereien."Ash." Sie saß vor unserem Hintereingang auf den Treppen. Gerade eben sprang sie auf und warf die Arme um mich. „Wo warst du gestern?" fragte sie mich vorwurfsvoll.
Ich schnaubte belustigt über ihre theatralische Art. Seitdem ich sie kannte, - das waren gerade einmal zwei Wochen, was ich kaum glauben konnte - trafen wir uns jeden Tag. Ash und ich waren schon jetzt unzertrennbar. Meistens fuhr ich zu ihnen. Die fünf hatten sich einen alten Bauernhof im nächsten Ort gekauft und ihn saniert. Außer ein paar Hühnern, die Eier legten; einen Hund, der so groß wie ein Kalb war und mich mit Vorliebe unter seinem Gewicht begrub und einem Pferd, das Louisa gehörte, hatten sie keine Tiere. „Ab und an muss ich auch noch was für die Uni machen." Ich schob schon jetzt wie immer alles soweit wie möglich nach hinten raus, dabei nahm ich mir jedes Mal vor, dass im nächsten Semester nicht zu tun. Der einzige Trost für mich, war, dass es nicht nur mir so zu gehen schien.
„Wenn's unbedingt sein muss." „Muss es." Bestätigte ich und lief gefolgt von ihr zur Tür. Dabei hob sie eine kleine Reisetasche hoch.
„Hab ich irgendwas verpasst?" fragte ich verwirrt.
„Wenn du gestern gekommen wärst oder irgendwann wenigstens auf dein Handy geschaut hättest, wüsstest du was." Meinte sie leicht schnippisch.
„Ash." Meinte ich auffordernd. Ich wusste nicht warum sie so schlechte Laune hatte, aber ich war nicht ihr Boxsack. Sie wusste, dass ich jetzt immer weniger Zeit haben würde, weil mein Studium wirklich verdammt Zeitraubend war und ich hatte ihr auch geschrieben, warum ich nicht kam.
„Tut mir leid." Brummte sie. „Es war einfach nur so furchtbar langweilig ohne dich. Louisa zickt wegen irgendetwas herum. Veronica und Nico sind nie besonders spannend. Juls hatte gestern Spätschicht und die Kunden im Laden sind einfach nur anstrengend gewesen." Sie arbeitete in einem kleinen Tattoostudio als Tätowiererin.
„Komm her." Verlangte ich und öffnete die Arme.
„Es ist verdammt krass wie wichtig du mir in nur zwei Wochen geworden bist." Murmelte sie mehr zu sich selbst, als zu mir. Ich drückte sie ein wenig fester. Ich wusste nicht warum, aber Ash hatte Angst davor, dass ihr Menschen wichtig sein konnten. Normalerweise hielt sie alle auf Distanz. Ich wusste nicht, warum sie gerade mich an sich heran gelassen hatte, aber ich war unheimlich froh darüber.
„Geht mir genauso." Meinte ich.
„Okay, das waren vorerst genug Sentimentalitäten." Grinsenden verdrehte ich die Augen und zog dann meine Jacke, Schal, Handschuhe und Mütze aus. Ash folgte meinem Beispiel und zog sich ein paar flauschige Kuschelsocken von mir über. Sie lagen schon extra für sie bereit.
„Deine Mitbewohner sind schon weg, oder?"
„Der eine ist gestern schon gefahren und der andere hatte diese Woche gar keine Vorlesungen." Manchmal fragte ich mich wirklich warum ich kein Wirtschaft studierte. Sie hatten gefühlt nur die Hälfte der Vorlesung. Zugegeben, sie hatten die schlimmeren Vorlesungszeiten und das was sie behandelten, kam für mich einer Folter gleich. Aber okay... ich hatte mich nun einmal so entschieden.
„Also was machst du hier?"
„Veronica und Nico haben heute Jahrestag." Erklärte Ash. Ich ging in die Küche und machte für uns beide eine heiße Schokolade. Es gab nichts Besseres zu dieser Jahreszeit. „Die beiden haben das Haus für sich beansprucht. Also hab ich gedacht, ich schlafe bei dir."
„Klar." Stimmte ich zu und grinste breit. „Wo schlafen Juls und Louisa?"
„Juls hat ohnehin Nachtschicht. Er bringt frische Brötchen vom Bäcker mit, wenn er mit bei uns frühstücken darf." "Darf er." Warf ich grinsend ein. Ash hatte nichts anderes erwartet. "Louisa weiß ich nicht." Sie zuckte mit den Schultern. Louisa schien für alle ein Geheimnis zu sein. Nicht nur das sie nicht sprach. Sie zog sich auch so zurück. Ich glaube außer Veronica ließ sie niemand an sich heran.
„Was machen wir?"
„Kino?" Schlug Ash vor.
„Was läuft?"

[02] SilvesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt