TWENTYTHREE

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"Wo fahren wir hin?" Neugierig sah ich aus dem Fenster und überlegte was es hier gab. Aber so weit ich wusste, war das hier eine reine Wohngegend. Sowohl das Schwimmbad und die Sporthalle waren auf der anderen Seite der Stadt. Das Stadion lag fast außerhalb, die größeren Firmen waren im Gewerbegebiet, die Läden tummelten sich in der Hauptstraße nahe der Uni. Andere erwähnenswerte Sachen gab es in dieser Kleinstadt nicht. In diesem Wohngebiet gab es lediglich eine Grundschule und einen kleinen Park. Wir fuhren gerade daran vorbei. Nett. Ich war jedes Mal erstaunt, wenn ich bemerkte, dass das Kaff doch nicht ganz so klein war wie es mir immer vorkam.
"Wir sind gleich da." Vertröstete mich Logan. Ich seufzte. Geduld konnte ich wirklich nicht zu meinen Charakterstärken zählen. Es war Donnerstags früh und ich war nicht in der Uni. Yeah. Naja, eigentlich nicht. Eine Vorlesung war ausgefallen, weil der Dozent krank ist. Jetzt musste ich irgendwie einen Termin finden, an welchen wir diese Vorlesung nachholen können. Möglichst nicht in der Klausurenphase. Super. Nicht wirklich, da kaum möglich. Aber die kleine Pause konnten wir alle gut gebrauchen. Logan, der wie immer gemeinsam mit mir aufgestanden war, hatte die Gelegenheit sofort ergriffen. Von dem Ausfall selbst hatten wir nämlich erst heute früh per Email erfahren. Logan wollte mir unbedingt etwas zeigen. Ich war gespannt was es war. "Wir sind da." Sagte er und parkte das Auto vor einer großen Garage, die zu einem scheinbar neuem, gut aussehendem Haus gehörte. Mir gefiel die seltsame Farbe der Hauswand. Es war irgendwie fliederfarbenen und doch taubengrau. Keine Ahnung wie das hieß, aber es war hübsch. Logan hielt mir die Tür auf als ich zögerlich ausstieg. Was wollten wir hier? Rio nickte Logan kurz zu und verschwand dann um das Haus herum. Okay...?! Logan streckte mir seine Hand entgegen und ich ergriff sie. "Was wollen wir hier?" Fragte ich ihn während wir auf die Eingangstür zu liefen.
"Ein klein wenig Geduld." Verlangte Logan sanft von mir und schloss dir Tür auf. Wir standen unter einem kleinen Vordach. Warum zum Teufel hatte er einen Schlüssel?! Langsam begann sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen zu setzten. Ein Bild, welches mir nicht gefiel. Das hatte er nicht getan. Oder doch? Irgendetwas schnürte mir die Luft ab.
"Logan..?" Bildete ich mir das nur ein oder hatte meine Stimme wirklich einen leicht panischen Klang. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich wollte am liebsten wegrennen. Wahrscheinlich war es nur Logans Hand, die meine festhielt, zu verdanken, dass ich immer noch hier stand.
"Komm mit. Ich zeige dir das Haus. Es ist zwar nicht so groß wie ich es mir vorgestellt habe, aber ich glaube es wird dir trotzdem gefallen." Oh mein Gott! Das war ein Alptraum. Ich wollte protestieren, irgendetwas sagen, doch mir blieb die Stimme weg. Auf schwachen Beinen ließ ich mich von Logan in den Flur ziehen. Keine Möbel. Nur Fliesen, Tapete, eine Treppe und Türen. Ich hatte keinen Blick für die dunklen Fliesen oder der zart grünen Tapete, die den Flur einladend wirken ließ. Panik breitete sich in Wellen aus, ließ die Luft um mich dünner werden und mein Herz rasen. Auch wenn Logan sonst so aufmerksam war, schien es ihm dieses Mal vollkommen zu entgehen, dass es mir nicht gut ging. Wie auch? Er war begeistert, zeigte mir einen Raum nach den anderen während er erzählte und ich folgte ihm stumm, weil kein Wort meinen Mund verlassen wollte. Seine Worte kamen nicht bei mir an. Prallten an einer unsichtbaren Mauer ab. Ich bemerkte nur, dass bis auf die Küche und sein zukünftiges Arbeitszimmer alles unmöbliert war. Er wollte gemeinsam mit mir die Möbel aussuchen. Luft. Luft. Tief durch atmen. Nicht in Panik verfallen. Das ist nur ein Missverständnis. Das lässt sich sicher ganz leicht klären, versuchte ich mir zumindest einzureden. Trotzdem raste mein Herz in der Brust und das Atmen viel mir schwer. "Es ist unheimlich schwer hier ein Haus zu finden." Sagte Logan gerade. "Dieses neugebaute Haus stand nur zum Verkauf, weil die Familie wegen einem lukrativen Jobangebot nach Spanien ausgewandert ist. Da haben sie das Haus hier nicht mehr gebraucht. Die Küche haben sie noch einbauen lassen, weil sie die schon gekauft hatten. Wenn sie dir nicht gefällt, können wir auch eine andere einbauen lassen..." Ich unterbrach ihn. Endlich kam aus meinen Mund wieder ein Ton, auch wenn es recht erstickt klang. Verzweifelt. Aber das war ich schließlich auch. "Logan!"
"Ja, meine Süße?" Fragend drehte er sich zu mich um und sah mich seit der letzten halben Stunde das erste mal richtig an. Entsetzt realisierte er die stummen Tränen, die über meine Wangen liefen. Besorgt zog er mich an sich. Ein Arm um meine Taille, der andere an meiner Wange, wischte er vorsichtig die Tränen mit seinem Daumen weg. "Was ist los?" Fragte er besorgt. "Hab ich irgendetwas falsch gemacht? Gefällt es dir nicht?" Warum klang denn nun seine Stimme verzweifelt? Ich war es, die in einem Haus stand ohne wirklich begreifen zu können. Die komplett überrollt wurde. Einfach überfahren. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wusste nicht was ich fühlen oder sagen sollte. Meine Gedanken waren das reinste Chaos. Ich war maßlos überfordert. "Du ... du..." Ich stotterte. Nicht einmal einen Satz bekam ich hin. Mitten in dem oberen Bad ließ ich mich auf die dunklen Fliesen fallen, zog die Beine an und presste meinen Kopf zwischen meine Knie. Vor und zurück. Vor und zurück. Als Kind hatte ich mich dieses Schaukeln immer beruhigt. Egal um was es ging. Ein Streit mit meiner Schwester, ein aufgeschürftes Knie. Unser toter Wellensittich. Es hatte nie eine Rolle gespielt. Tief Luft holen, kurz anhalten und dann langsam ausstoßen. Panik schnürte mir die Kehle zu. Es funktionierte nicht. Schwarze Punkte tauchten vor meinem Gesichtsfeld auf. Nur vage registrierte ich Logans Präsenz neben mir. Seine Hand, die beruhigend über meinen Rücken strich. Seine Stimme, die versuchte mich zu erreichen. Ich hatte in meinem Leben noch nie eine Panikattacke. Heulkrämpfe, ja. Aber keine Panikattacke. Jetzt hatte ich eine. Mir wurde schlecht. Kotzübel. Noch während ich auf die Toilette zu kroch, fing ich an zu würgen. Logan hielt mir die Haare, während ich mein Frühstück von mir gab. Am liebsten hätte ich ihn davon gescheucht. Ich wollte nicht, dass er mich so sah, das mitbekam. Das war mir so unangenehm. Aber ich war zu schwach. Verdammt. Am liebsten wollte ich allein sein und mich in einer dunklen Ecke verkriechen. Als ich fertig war, schluchzte ich laut auf. Gottverdammt. Das war alles zu viel. Und jetzt auch noch das. Peinlich berührt nahm ich das Taschentuch entgegen, was er mir hinhielt. "Ich rufe einen Krankenwagen!" Murmelte er. Heftig schüttelte ich den Kopf. Es kamen noch mehr Tränen. Die Arme hatte ich um mich selbst geschlungen. Gerade eben fehlte mir jeglicher Halt. Verzweifelt sah Logan mich an. Absolut hilflos und ratlos. Kein Wunder. Ich wusste selbst, dass ich vollkommen hysterisch war. Aber ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Ich wollte gar nicht wissen wie ich aussah. Verzweifelt raufte sich Logan durch die Haare. "Was soll ich denn machen?" Rief er aus. Wurde er nun auch panisch? Verzweifelt überlegte ich. Versuchte eine Lösung zu finden. Ich musste mich nur beruhigen. Einfach nur beruhigen. Aber wie sollte ich das machen wenn Logan hier hockte, in diesem Haus? Ich brauchte einfach nur meine Ruhe. Musste wieder zu mir selbst finden. Einen klaren Gedanken fassen. "Lass mich einfach allein." Bat ich ihn zwischen meinen Schluchzern und hoffte, dass er mich verstand. Einen Moment blieb er stumm. Trotz meiner verschwommenen Sicht konnte ich das Entsetzen, den Schmerz und Unglauben in seinem Gesicht erkenne. "Du spinnst wohl." Fauchte er aufgebracht. "Sicherlich lass ich dich allein. Und erst recht wenn es dir schlecht geht." Wieder schluchzte ich laut auf. Die Tränen wurden mehr. Ich brauchte doch einfach nur ein wenig Ruhe. Ein wenig Zeit um meine Gedanken zu orden. Um wieder Herr der Lage zu werden.
"Verdammt Sarah." Fluchte Logan und zog mich wieder in seine Arme. "So hab ich das nicht gemeint. Aber ich kann dich nicht alleine lassen. Ich werde es nicht. Hörst du?! Wir reden darüber, was auch immer es ist und dann schaffe wir das Problem aus der Welt. Aber ich lass dich nicht alleine und auch nicht gehen. Nie wieder." Auch er klang verzweifelt und zu gleich entschlossen. Es schmerzte zu wissen, dass ich ihm gerade so weh tat und vor dem Kopf stieß mit meiner Reaktion. Er war einfach großartig, aber ich konnte es nicht ändern. Leider. "Ich ..." setzte ich zum erklären an, aber mein eigenes verzweifeltes Schluchzen raubte mir den Atem, die Kraft. Schlussendlich krächzte ich nur einen Namen:"Ash."
"Ash!" Murmelte Logan. "Ash." Wiederholte er enthusiastischer. Als wäre es eine Eingebung, des Rätsels Lösung. "Natürlich." Zwischen meinen Schluchzern, den Luftschnappen und Schluck auf, hörte ich das Telefon tuten. Logans Stimme, die Ash um Hilfe bat. Immer noch strich er mir in beruhigenden Kreisen über den Rücken. Mein Schluchzen wurde weniger. Meine Augen schwerer. Mein Kopf brummte. Der Schluck auf ließ mich in regelmäßigen Abständen zusammen zucken. Alles tat mir weh. Müde lehnte ich meinen Kopf an Logans Schulter. Meine Tränen durchnässten seinen Pullover, doch er protestierte nicht und hielt mich fest in seinen Armen. Irgendwann nahm ich die Stille um uns war. Es war nur sein Atem und mein eigener zu hören.
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Verzweiflung pur! Die beiden tun mir so leid. :(

#Wie fandet ihr das Kapitel?

#Versteht ihr warum sie so in Panik ausgebrochen ist?

#Wie hättet ihr reagiert?

Wichtig! : Ich möchte (als kleines Weihnachtsgeschenk) noch einmal eine/n Leseabend/nacht veranstalten. Frage ist, wann habt Ihr Zeit?
Deshalb einfach schreiben, wenn es auch am besten passt. Wahrscheinlich verrate ich euch das Datum dann im nächsten Kapitel. Zur Auswahl stehen, der 27.12. - 30.12.

[02] SilvesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt