Schwungvoll schwang ich mein Bein über das Fensterbrett und das andere hinterher. Schon stand ich draußen vor dem Badfenster im Erdgeschoss, zog das Fenster so weit wie möglich wieder ran und sammelte meine Tasche vom Boden auf.
Unauffällig hatte ich mir den Schlüssel von Rios Audi aus dem Flur geklaut. Ebenso hatte ich meine Schuhe und Jacke entwendet. Die dachten ernsthaft, dass sie mich einsperren konnten?! Heute früh hatte ich, wieder jeder Vernunft wie ich nun einsah, Logan war einfach viel zu fürsorglich und besorgt wenn es um mich ging, gehofft, dass Logan Rio davon überzeugen würde, dass dieser mich wieder zur Uni gehen ließ. Logan hatte natürlich sofort Rio zu gestimmt, dass ich zu meiner eigenen Sicherheit, nirgendwohin durfte und zu allem Überfluss war ich nun nicht die einzige Gefangene. Alle durften nur zu zweit heraus. Julius hatte Glück, dass er schon auf Arbeit war als Logan das anordnete. Veronika und Nico waren kurz danach zusammen zur Arbeit gegangen. Sie arbeiteten in dem gleichen Büro, weshalb sie keine Probleme hatten. Louisa verkroch sich ohne jeglichen Widerspruch in ihrem Atelier während Ash ihre Termine absagte, um dann erst ein wenig Ordnung im Haus zu schaffen und nun das Mittagessen vorzubereiten. Ich glaube sie hatte das nur wegen mir so schnell hingenommen und akzeptiert. Unerklärlicherweise war Ash, ebenso wie alle anderen, der Meinung, dass ich in akuter Gefahr war. Am sichersten wäre ich demnach hier in ihrem Haus. Deswegen durfte ich nicht einmal zur Uni gehen. Ich verstand nicht wie sie mir so in den Rücken fallen konnte. Trotzdem war ich ihr gerade eben äußerst dankbar. Unbewusst lenkte sie nämlich meinen Wachhund ab. Bis gerade eben hatte ich in der Küche verschiedene Sachen für die Uni erledigt. Ein paar Übungen und das nächste Labor waren schon fertig als Ash beschloss, dass es ihr in ihrem Pullover zu warm wurde und sie nur noch mit einem halbdurchsichtigen Top weiter das Essen zubereitete. Wie sehr dieser Anblick Rio ablenkte, brauchte ich, glaube ich, nicht zu erwähnen. Es reichte zumindest aus, um dass ich mich unbemerkt davon machen konnte.
Mit eiligen Schritten rannte ich über den Hof und schlüpfte durch eine Seitentür in die Garage. Es war schon schlimm genug, dass Simon das Projekt heute Morgen allein beendet hatte und ich eine ganze Vorlesung verpasste, aber ich würde nicht noch eine weitere verpassen. Dabei ging es mir nicht um die Vorlesung, wenn ich eine davon passte... dann war es eben so. Hier ging es ums Prinzip. Und das Prinzip besagte, dass ich mich von nichts und niemand einsperren lassen würde, auch nicht von Logan McNaught und seinem gottverdammten Wachwauwau. Und erst recht nicht ohne eine gute Begründung. Diese hatte mir keiner liefern wollen. Es waren sich nur alle einig, dass die beiden Kerle eine Gefahr für mich darstellten. Warum sie es gerade auf mich abgesehen haben sollten, verriet mir keiner. Selbst dran Schuld, dachte ich und drückte auf den Schlüssel. Die Lichter des Audis gingen an und ich tapste im Halbdunkeln zu dem dunkelgrünen Wagen.
„Sarah Schiffer?" fragte eine dunkle Stimme hinter mir. Erschrocken, mit einem kleinen Schrei auf den Lippen, wirbelte ich herum.
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„Er hat meine Familie bedroht." Schluchzte die Frau, die Tag ein, Tag aus mein Haus betrat. Mit finsterem Blick lief ich vor ihr auf und ab. Überraschend schnell hatten die Lykae, die mein Bruder beauftragt hatte, die alten Überwachungsvideos zu sichten, den Verräter gefunden. Auf einem dieser Videos sah man wie Fernanda die Wanzen im gesamten Haus verteilte. Zu Silvester hatte sie unbemerkt von den anderen in dem Stress, der wegen der bevorstehenden Neujahrsfeier herrschte, die Wanzen angebracht. Fernanda war eine der Küchenangestellten, die tagtäglich das Essen für mich und meine Familie zubereiteten. Wenn ich nur daran dachte, wie sie mir und meiner Familie hätte Schaden können... Gift konnte uns nicht umbringen, aber es konnte uns eine Zeitlang das Bewusstsein rauben oder lähmen. Beides Möglichkeiten, die es einem Abtrünnigen leicht machen würden uns zu töten.

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[02] Silvester
Lobisomem- Unabhängig voneinander lesbar - Einmal Silvester in Sydney zu verbringen ist Sarahs größter Traum. Gemeinsam mit ihrem besten Freund verwirklicht sie diesen. Dabei lernt sie den charmanten Logan kennen und verbringt eine atemberaubende Nacht mit...