Kapitel 9

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„Quidditch? Ich bin ein  Fan der Tutshill Tornados, seit ich sechs bin!“, verkündete Cho und zog einen blauen Anstecker aus ihrer Tasche, den sie mir stolz unter die Nase hielt. „Das ist die beste Mannschaft. Mit Abstand!“ „Und in welcher Liga spielen die?“ „Britisch und irisch.“ „Und die sind wirklich so klasse?“ „Aber hallo! Sie haben fünfmal in Folge den Ligapokal geholt und den Weltrekord im schnellsten Schnatzfang aufgestellt!“ Das klang in der Tat gut. Wie mir Fred und George während der Zugfahrt erzählt hatten, war der Schnatz ein kleiner, geflügelter Ball, der sich so schnell bewegte, dass schon einiges dazugehörte, ihn zu fangen. Es war der Ball, den meine Mum so oft gezeichnet hatte. „Und heute?“, hakte ich nach. „Sind die immer noch so gut?“ Cho verzog kurz das Gesicht. „Na ja, mal wieder den Ligapokal zu gewinnen, würde ihnen jetzt nicht schaden, aber bei welcher Mannschaft ist das anders?“ Okay. Um es in meinen Worten zu sagen: Chos Lieblingsmannschaft hatte ihre besten Tage also schon hinter sich. Aber so begeistert, wie sie von den Tutshill Tornados war, würde ich ihr meine Meinung garantiert nicht sagen. Schließlich besaß ich zumindest ein bisschen Einfühlungsvermögen. Auf Hogwarts gibt es auch Quidditchmannschaften, oder?“, fragte ich stattdessen und Cho nickte. „Jedes Haus hat eine Mannschaft, die jedes Jahr um den Quidditchpokal spielt. Man kann aber erst ab dem zweiten Jahr Teil des Teams werden.“ „Und lass mich raten: genau das hast du nächstes Jahr vor.“ „Du nicht?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Streng genommen, weiß ich erst seit heute, was Quidditch ist, also wird es wohl schwierig.“ „Ach was!“, Cho schüttelte heftig den Kopf. „Vielleicht hast du ja eine Begabung für das Fliegen?“ „Dann würde das immer noch nicht heißen, dass Quidditch mir auch liegt.“ „Da hast du auch wieder recht...“ „Ich habe immer recht, Cho!“, lachte ich und warf mir hochmütig die Haare über die Schulter. „Das solltest du niemals vergessen.“ Sie lachte ebenfalls und schüttelte amüsiert den Kopf. „Glaubst du, unsere Mitbewohner sind mittlerweile fertig damit unseren Schlafsaal umzugestalten?“, fragte ich schließlich. Cho zuckte mit den Schultern. „Sag du es mir, allwissende Robyn.“ „Dann prophezeie ich dir, sie sind noch nicht fertig“, ich verdrehte die Augen. Der Gemeinschaftsraum der Ravenclaws war ein Traum. Ein Traum voller Sterne, blauen und bronzenen Wänden, zahlreichen Bücherregalen und einer wundervollen Aussicht auf die bergige Landschaft um Hogwarts. Und die Schlafsäle waren nicht weniger eindrucksvoll: ich war im gleichen wie Cho und jeder Schüler hatte eine Art Himmelbett und mehrere Schubladen, um die Wertsachen zu verwahren. Etwas, von dem ich gestern noch nicht einmal hätte träumen können. Es war einfach nur traumhaft. Wenn da nicht die Sache mit den anderen Mitbewohnern wäre. Marietta Edgecombe, Grace Neuro und Ruth Carlice. Und sie hatten alle eine andere Meinung bezüglich, wer welches Bett bekommen sollte und so einen Quatsch eben. Fünf Minuten, danach hatte ich mich unter dem Vorwand, etwas verloren zu haben, in den Gemeinschaftsraum verkrümelt. Und Cho direkt hinterher. Also saßen wir jetzt hier. Auf dem blauen Sofa und Cho erzählte mir, was ich noch nicht wusste. Und das war ziemlich viel. Wow. Wie konnte es nur sein, dass die Muggel davon überhaupt nichts mitbekamen? Drachen, Donnervögel, versteckte magische Ort, Zauberer, die heimlich unter Muggeln lebten. Wie? Wie gelang es ihnen all das unbemerkt bleiben zu lassen?
Die Antwort war klar: mit Magie. Aber es gab nicht nur schöne Seiten. In der Lage zu sein, Magie zu beherrschen bedeutete in den Augen mancher, über anderen zu stehen. Es bedeutete Macht. Und wofür war Macht gleich noch da? Richtig, um missbraucht zu werden. Und solche schwarzen Magier hatte es wohl nicht nur einmal gegeben. Hätte mich auch gelinde gesagt überrascht, wenn es anders gewesen wäre. Ich meinte, wie viele machtgierige Idioten liefen bei den Muggeln herum? Natürlich gab es die also in jeder Gesellschaft. Nur, dass diese hier etwas gefährlicher klangen, als die, die die Muggel kannten. Grindelwald und Lord Voldemort zum Beispiel. Beziehungsweise Grindelwald und Du-weißt-schon-wer. Letzterer war ein Slytherin gewesen. Der Magier, auf den sich Fred und George vorhin wohl bezogen hatten. Er wurde wohl gerade mal vor zehn Jahren gestürzt. Und zwar von einem Kind. Einem Kleinkind, das gerade mal knapp etwas über einem Jahr zählte. Die einzige Person, die den Todesfluch je überlebt hat. Wie genau er das bewerkstelligt hatte, wurde mir durch Chos Erzählung nicht wirklich ersichtlich. Aber das, was ich kapierte, war, dass der Junge Harry Potter hieß, seine Eltern von Vold... äh, Du-weiß-schon-wer ermordet wurden, der Todesfluch an ihm selbst abgeprallt war und den schwarzen Magier getroffen hatte. Das Ende der Schreckensherrschaft. Zwar hatten danach noch ein paar seiner treuen Anhänger, Todesser, versucht, weiterzukämpfen, aber ohne ihren Anführer wenig erfolgreich. Der Krieg war also beendet worden. Von einem Kleinkind. Ein Kleinkind, dessen Namen alle kannten, das das Los gezogen hatte, ohne Eltern aufzuwachsen und für etwas Schreckliches gefeiert wurde. Dafür, dass er überlebt hatte, wärend die, die er geliebt hatte, gestorben waren. Mein Herz wurde schwer. Wie oft hatte ich gedacht, mein Leben wäre beschissen? Den kleinen hatte es viel schlimmer erwischt. Obwohl, was hieß klein? Er war nur ein Jahr jünger als ich. Und das bedeutete, dass er nächstes Jahr nach Hogwarts kommen würde. „Vielleicht sollten wir langsam zu den anderen hochgehen“, schlug Cho vor und gähnte ausgiebig. „Wenn wir morgen das Schloss erkunden wollen, sollten wir nicht zu müde sein.“ Ich legte grinsend den Kopf schief. „Stell dir mal vor, wir sind morgen so unkonzentriert, dass wir das Rätsel des Türklopfers nicht mehr lösen können!“ Als uns die Ravenclaw-Vertrauensschüler vor ein paar Stunden in den Gemeinschaftsraum geführt hatten, hatten wir auch zum ersten Mal den Adlerkopftürklopfer gesehen, dessen Frage erst beantwortet werden mussten, bevor wir den Gemeinschaftsraum betreten durften. Steckt man die Gämsfeder an den Hut oder auf den Hut?“, hatte er gefragt und uns erst hereingelassen, als unser Vertrauensschüler die Antwort gab, dass Gämse gar keine Federn haben. Also eigentlich ganz einfach. Könnte man meinen. Penelope hatte mir erzählt, dass das eines der einfachsten Rätsel war, das der Türklopfer je gestellt hatte. Sonst wären es mehr philosophische Fragen. „Die Peinlichkeit würde ich mir nur zu gerne ersparen“, murmelte Cho und stand auf. Ich folgte ihr. Und wider Erwarten hatten sich unsere Mitbewohner doch wirklich geeinigt. Und sogar direkt für Cho und mich entschieden, wo wir schlafen würden. Und wo war ich gelandet? Direkt neben dem Bad. Toll. Hoffentlich war das irgendwie schallgeschützt oder so. Andernfalls würde das wirklich anstrengend werden. Morgens direkt von einer Klospülung geweckt zu werden, klang zwar verlockend, aber was Besseres konnte ich mir schon vorstellen. Cho warf mir einen entschuldigenden Blick zu und ging dann zu ihren Bett, das natürlich auf der anderen Seite des Raums lag. Und außerdem direkt neben dieser Marietta. Und mit dieser schien sie sich auch sofort super zu verstehen. Ich beneidete sie ja schon fast um ihre Offenheit. Wenn sie nicht so wäre, hätte ich den ganzen Abend alleine verbracht. Was ja zum Glück nicht der Fall gewesen war. Und dafür war ich dankbar. Ein bisschen Gesellschaft würde mir definitiv nicht schaden. Nicht, dass ich die Zeit, die ich für mich alleine hatte, nicht schätzen würde. Aber langsam hatte ich wirklich ein bisschen zu viel davon.

 
Ich drehte mich erneut auf die andere Seite. Jetzt zum fünfzehnten Mal. Ich konnte nicht schlafen. Meine Gedanken kreisten um all das, was ich in den letzten dreizehn Stunden gelernt hatte. Von Quidditch über schwarze Magier hinweg bis zum Unterricht, der am Montag beginnen würde. Ob es anspruchsvoll werden würde? Bestimmt. Ob die Maßstäbe hoch wären? Wie die Lehrer wohl drauf sein würden? Was, wenn sie mir sagen würden, dass ich eine untalentierte Enttäuschung des Hauses Ravenclaw war? Ich schlug meine Bettdecke um und setzte mich auf. Am liebsten würde ich jetzt eine Runde im Schloss spazieren gehen. Nur war das leider verboten. Und außerdem befürchtete ich, dass ich den Weg zurück zum Gemeinschaftsraum nicht wieder finden würde. Also blieb ich, wo ich war. Mein Blick huschte zum Fenster. Das schwache Mondlicht fiel durch es herein und erleuchtete den Raum in einem gespenstischen Licht. Langsam stand ich auf und ging zu ihm herüber. Selbst bei Nacht war die Aussicht auf Hogwarts wundervoll. Die vielen Türme, die überall in die Höhe ragten, der schwarze See dahinter, über den wir am Abend gefahren waren und die Hügellandschaft, die das Schloss umgab. Es war wundervoll. Ich wandte meinen Kopf wieder zu meinem Bett. Meine Umhängetasche schaute halb darunter hervor. Und aus ihr wiederum eine Truhe. Die Truhe, die ich aus dem Verlies meiner Mum hatte mitgehen lassen. Ich hatte sie noch nicht geöffnet. Warum? Ich wusste es nicht. Es war ein Gefühl. Vielleicht das, was der sprechende Hut gesehen hatte? Faszination für das Unbekannte. Und zugleich auch Furcht davor. Ich sah wieder aus dem Fenster. Die Truhe konnte warten. Ich würde sie zu einem anderen Zeitpunkt öffnen. An einem Zeitpunkt, an dem mein Kopf nicht schon mit tausend anderen Dingen beschäftigt war. Vielleicht morgen, vielleicht in einer Woche. Vielleicht aber auch erst in einem Monat. Ersteinmal lag mein Augenmerk auf dem Unterricht. So streberhaft das auch klingen mochte.

Tales of a marauders daughter | Robyn Harriot | In Love With A WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt