Kapitel 11

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„Ruth, nein!“, rief ich und meine Augen weiteten sich vor Schreck. Ich machte einen Satz nach vorne, wollte ihr die Pastillen aus der Hand schlagen, aber in meiner Panik stolperte ich und legte mich der Länge nach hin. Autsch. Aber das war gerade definitiv nicht mein größtes Problem: knapp über mir hatte es zu zischen begonnen und giftgrüner Rauch stieg auf. Ich zuckte erschrocken zusammen, als ein dickflüssiger Tropfen knapp neben meinem Arm zu Boden tropfte. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich sprang erneut auf die Beine, um mich neben Ruth in Sicherheit zu bringen. Und damit genau in die eigentliche Schusslinie. Der Kessel zersprang. Das Gebräu flog uns ins Gesicht. Ich quiekte erschrocken auf. Ruth ebenso. Aber nicht lange. Innerhalb weniger Sekunden wurde daraus eher ein schmerzhaftes Stöhnen. Zornrote Furunkel brachen auf meinen Armen aus. Ein Blick zu Ruth sagte mir, dass es ihr nicht anders erging. Und ein Blick zu Cho verriet mir, dass uns die ganze Klasse anstarrte. „Sie Idioten!“, fuhr Snape uns an und sorgte mit einem Wedeln seines Zauberstabs dafür, dass das Chaos wieder verschwand. „Die Stachelschweinstacheln müssen hinzugegeben werden, bevor der Kessel vom Feuer genommen wird! Haben Sie sich die Durchführung überhaupt durchgelesen?“ Ich brachte kein Wort hervor. Aber Snape hätte mir vermutlich so wie so nicht geglaubt, dass das gar nicht mein Trank war und ich nur Teil des Geschehens war, weil ich genau das hier hatte verhindern wollen. Toll. Das hatte ich jetzt davon, einmal nett sein zu wollen. Sogar in meinem Gesicht brachen nun Furunkel aus. „Fünf Punkte Abzug für Ihren misslungenen Trank!“ Ruth wimmerte. Ob es an den Furunkeln lag, oder an der Tatsache, dass Snape alles andere als nett war, ließ sich schwer sagen. Bei beidem konnte ich es ihr nicht verübeln. „Miss Chang, bringen Sie die Beiden in den Krankenflügel!“, fauchte er nun Cho an, die vorsichtig neben uns getreten war. Hastig nickte sie und begann uns wie zwei Kleinkinder aus dem Raum zu führen. Alles, was ich noch mitbekam, war, wie Snape Josh Cooper fünf Punkte für Hufflepuff zusprach, da sein Trank ja so gut gebraut worden war. Sein Trank, für den sein einziger Beitrag gewesen war, mir das Zaubertrankbuch mit dem Rezept zu halten. Am liebsten hätte ich den Beiden den fiesesten Zauber, den ich kannte auf den Hals gejagt. Doof, dass Lumos, Alohomora, Wingardium Leviosa und Ratten in Kelche zu verwandeln, nicht wirklich viel damit zu tun hatte. Denn das war bisher eigentlich alles, was ich konnte.

„Madam Pomfrey!“, rief Cho und schob uns in den Krankenflügel, dem Raum, in dem sich die Schulheilerin um Verletzte und Kranke kümmerte. Und es dauerte auch nicht lange, bis die ältere Frau mit ihrer Schürze aus ihrem Nebenzimmer auftauchte. „Oh Gott!“, rief sie, als sie Ruth und mich erblickte. Eine Begrüßung, die ich mir schon immer gewünscht hatte. War viel besser als ein einfaches „Hallo“. Oder erst als „Achtung, die Verrückte Harriot ist da!“. Ohne noch ein weiteres Wort bedeutete sie uns, uns hin zu setzten. Was wir auch taten. Währenddessen stöberte sie in einem der Regale und zog kurzerhand eine kleine Flasche heraus. Kopfschüttelnd verabreichte sie uns den Trank, an dem wir gescheitert waren. „Jedes Jahr das Gleiche“, brummte sie und klopfte uns schließlich noch kurz auf den Rücken. „Sitzenbleiben, bis alles wie vorher ist, dann könnt ihr gehen“, teilte uns die Heilerin mit. Und dann war sie auch schon verschwunden. Die Furunkel waren glücklicherweise nicht mehr ganz so unangenehm. „Mach dir nichts draus, Ruth“, sagte Cho und strich ihr mitfühlend über die Schulter. „Meine Mum meinte, sogar in ihrem Jahrgang ist das schon mal passiert.“ Ich nickte und fand erstaunlicherweise auch endlich meine Stimme wieder. „So einen populären Fehler hätten die auch gerne dick drucken können“, stimmte ich ihr zu. Ruth zog nur die Nase hoch und warf mir einen unsicheren Blick zu. „Tut... tut mir leid“, schniefte sie. „Dass er dachte, dass du das auch warst... ich hätte -“ „Hey, alle machen Fehler!“ „Nicht so oft, wie ich!“ „Quatsch mit -“, wollte ich gerade widersprechen, aber Ruth ließ mich nicht ausreden. „In Kräuterkunde habe ich haufenweise Töpfe zerbrochen, den Boden in Blumenerde gebadet und mindestens eine Pflanze getötet, in Verwandlung konnte mein Becher am Ende laufen, in Zauberkunst hat sich meine Feder in irgendetwas komplett anderes verwandelt, in den Flugstunden habe ich schon mindestens sieben Leute um genietet und von Verteidigung gegen die Dunklen Künste reden wir mal gar nicht!“ Sie vergrub den Kopf in ihren Händen und schluchzte. „Ich bin eine Enttäuschung!“ „Weil du nicht unfehlbar bist?“, ich lächelte. „Wir alle machen Fehler und lernen daraus. Manche mehr als andere. Aber daran wächst man doch nur“, stimmte Cho mir zu und strich Ruth sanft über den Rücken. „Ach ja? Was lerne ich denn bitte schön?“ „Du bist mit Enttäuschungen vertraut“, gab ich zurück. Ruth hob den Kopf und sah mich nicht sehr begeistert an. Ups. „War nicht so hilfreich, was?“ „Überhaupt nicht.“ Warum bemerkte ich so etwas immer erst, wenn es zu spät war? „Was ich sagen wollte, ist, dass du von niemandem verletzt, enttäuscht oder entsetzt werden kannst, da du ja selbst schon eine größere Enttäuschung bist, als alles, was du je treffen wirst. Und, verdammt, das kam wieder so was von falsch raus, an Fehlern wächst man, man macht sie nicht mehr, merkt sich was für die Zukunft und hat mehr Spaß als alle Perfektionisten dieser Welt jemals haben könnten! Ich meine ja nur, aber was ist das Leben ohne ein bisschen Risiko? Pure Langeweile. Und wer hat die schon gerne? Genau, niemand! Ich meine, lieber scheitern, Fehler machen und lernen, als als Glückspilz alles glorreich zu erledigen und dumm zu bleiben, oder?“ Ruth und Cho wechselten irritierte Blicke. Ich biss mir auf die Lippe. Motivieren war wirklich nicht gerade meine Stärke. Dennoch versuchte ich überzeugend zu lächeln. „Ich weiß nicht, wie du das machst“, murmelte Ruth und mein Lächeln fiel sofort etwas in sich zusammen. Cho nickte. „Was auch immer du damit bewirken wolltest, es hat funktioniert“, sagte sie und grinste. Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte damit gerechnet, dass sie etwas über meine, nun ja, ähm, Ansprache sagen würde. Und zwar nicht unbedingt Positives. „Was ist das Leben ohne ein bisschen Risiko? Könnte glatt aus einem Muggelbuch sein“, sagte Ruth und zog die Nase hoch. Mein um Worte ringen war also nicht total unnütz gewesen. Hatte sich das Lächerlichmachen immerhin gelohnt. „Oh Gott!“, sagte Cho plötzlich und ich zuckte sofort zusammen. „Ich muss zurück in den Unterricht!“ Das schwarzhaarige Mädchen sprang auf, winkte uns zu und stürmte aus dem Krankenflügel. „Nicht, dass Snape ihr noch für jede Minute, die sie vom Unterricht verpasst, einen Punkt abzieht“, murmelte ich und schüttelte den Kopf. Der Typ konnte uns nicht leiden. Definitiv nicht. Aber auf die Billigung eines solchen Ekelpakets konnte ich auch ganz gut verzichten. „Ein Punkt pro Minute? Puh, das wäre echt viel geworden“, stimmte Ruth mir zu. Ich nickte. „Ich wette, in der Geschichte von Ravenclaw werden wir die Schülerinnen sein, die am meisten Punkte abgezogen bekommen.“ „Wenn die nächsten Wochen auch so laufen, wie diese, dann stehen die Chancen ganz gut“, murmelte Ruth und zog eine Grimasse. „Guck dir mal meine Brille an!“ Sie nahm ihre Hornbrille ab und drehte sie hin und her. Ein getrockneter Klumpen ihres Zaubertranks hing daran. „Sei froh, dass es nicht dein Auge getroffen hat“, gab ich nur zurück. Alleine die Vorstellung, was passiert wäre, wenn Ruth keine Brillenträgerin gewesen wäre, jagte mir einen Schauer über den Rücken.
„Was für eine undankbare, kleine Ravenclaw“, spottete plötzlich eine neue Stimme. Eine Stimme, die ich kannte. Ich fuhr herum und starrte die Weasley-Zwillinge fragend an. Was hatten die denn im Krankenflügel zu suchen? Verletzt oder krank wirkten sie auf mich nicht gerade. „Wie seht ihr denn aus?“, lachte George und trat mit seinem Bruder zu uns. „Besser, als ihr es jemals werdet“, schnaubte ich und zog die Augenbrauen nach oben. „Unmöglich“, protestierte sein Bruder. Belustigt tippte Fred mir ins Gesicht. „Lass das“, knurrte ich und schlug seine Hand weg. Aber wirklich ausmachen, tat es ihm nicht. „Unfall in Zaubertränke, was?“, fragte er und ich konnte sehen, wie er sein Lachen zurückzuhalten versuchte, dieses schadenfrohes Miststü- okay, ich wurde schon wieder hart. Einatmen und ausatmen, Robyn. Beleidigungen sind auch, wenn man sie nur denkt, immer noch Beleidigungen. „Der Furunkelheiltrank ist explodiert“, teilte Ruth den beiden Rotschöpfen mit. Ich konnte förmlich beobachten, wie sich ihre Wangen aufbliesen und sie schließlich in schallendes Gelächter ausbrachen. „So blöd haben ja noch nicht einmal wir uns angestellt!“, prustete George. „Hat Snape auch was von diesen ekelhaften Dingern abbekommen?“, kicherte Fred und deutete wieder auf mein Gesicht. Der Gedanke an Snape mit Furunkeln schien die Beiden nur noch mehr zu amüsieren. Verständlich. Aber dennoch. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich würde es toll finden, wenn du nicht auf mein Gesicht deuten würdest, während du von Abscheulichkeiten sprichst.“ „Auf welches denn sonst?“, verteidigte George seinen Zwilling, der ebenfalls sofort reagierte: „So schlimm sieht deine Freundin doch gar nicht aus.“ Schelmisch blitzte er uns an. Ich verdrehte die Augen: „Ravenclaws sind zwar kreativ, aber wie schon gesagt, schlimmer als ihr auszusehen, ist eine Kunst, die wir leider, leider nicht beherrschen.“ Die beiden Brüder wechselten nur einen kurzen Blick. Dann brachen sie erneut in Gelächter aus. Natürlich. Was auch sonst? „Soll ich Madam Pomfrey holen?“, fragte Ruth vorsichtig. Fred und George beachteten sie natürlich nicht. Ich schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass die Beiden hier sind, weil es ihnen so scheiße geht“, sagte ich, laut genug, dass auch die Beiden mich hörten. „Korrekt“, stimmte Fred mir zu. „Eigentlich wollten wir nur -“ „- dem Unterricht ausweichen“, beendete Fred den Satz seines Bruders. „Was?“, Ruth machte große Augen. „Ihr schwänzt?“ „Ja, so nennt man das, wenn man nicht zum Unterricht geht“, erklärte George und verdrehte die Augen. „Sollte eigentlich auch Strebern wie euch nichts Neues sein“, stimmte Fred ihm zu. „Noch zwanzig Minuten, dann haben wir Wochenende“, sagte ich und zog die Augenbrauen hoch. „Konntet ihr das Bisschen nicht mehr aushalten, oder ist es bei euch Gryffindors eine Mutprobe, sich aus dem Unterricht zu schleichen?“ „Mutprobe“, wiederholte George schnaubend. „Für euch Langweiler vielleicht.“ „Für uns eher Alltag.“ „Nichts, worauf man stolz sein sollte.“ „Sprach die Streberin“, Fred schüttelte den Kopf. „Kann man dich eigentlich noch so nennen, nachdem du so einen einfachen Trank wie den Furunkelheiltrank nicht hinbekommen hast?“ „Ja, ich meine der ist echt einfach. Sogar wir kriegen den noch hin.“ „Muss ja echt ein harter Schlag sein, was?“ Ich verdrehte die Augen. „Robyn hat nicht...“, setzte Ruth an, aber ich schüttelte den Kopf. Vor den Beiden mussten wir uns nicht rechtfertigen. „Macht, was ihr wollt“, sagte ich zu den Zwillingen. „Hauptsache, wir werden in euer kleines Abenteuer nicht hineingezogen.“ „Keine Sorge“, versicherte George. „Professor Binns hat noch nie gemerkt, wenn jemand fehlt.“ „Oder alle reden.“ „Oder wir mit Scherzartikeln herumhantieren.“ „Nicht so aufmerksam, der Alte.“ „Die Chance erwischt zu werden, ist also ziemlich gering.“ „Außer, ihr verpetzt uns.“ „Was wir euch nicht raten würden.“ „Ach ja?“, unterbrach ich das abwechselnde Gerede der Beiden. Das konnte sich doch keiner geben! „Sonst was? Kommt schon, ich möchte über eure Drohung lachen.“ „Lachen werden am Ende nur zwei“, gab Fred zurück. „Und das sind wir.“ „Ihr? Alleine darüber muss ich schon lachen.“ „Mr und Mr Weasley!“, erklang plötzlich wieder eine Stimme hinter uns. Diesmal Madam Pomfrey. „Belästigen Sie meine Patienten?“ „Was sollten wir denn sonst hier machen?“, entgegnete Fred und drehte sich wieder zu uns. „Gucken Sie sich nur ihre Gesichter an.“ „Eine Ablenkung schadet ihnen definitiv nicht“, stimmte George ihm zu. „Wenn Sie keine gesundheitlichen Beschwerden haben, gehen Sie wieder in Ihre Klasse!“ Fred und George wechselten einen kurzen, nichts Gutes verheißenden Blick. Beinahe gleichzeitig griffen sie sich an den Bauch. „Aber-“ „-ich glaube, ich muss kotzen!“ Die Heilerin verdrehte die Augen. Belustigt schnaubte ich leise. „Vielleicht sollten Sie ihnen wirklich was geben“, sagte ich schließlich. Immerhin schmeckte Medizin bei den Muggel nicht gerade lecker. Vielleicht bei den Zauberern ja auch nicht. Würde ich den Beiden zumindest gönnen. Ich weiß, ich bin ein wahrer Sonnenschein. Madam Pomfrey wirkte wenig überzeugt. „Gucken Sie sich mal ihre Gesichter an: da sind schon überall Punkte. Sieht echt mies aus.“ Die Zwillinge warfen mir einen grimmigen Blick aus. Tja, das war das Übel, wenn man solche Sommersprossen hatte. Die Schulheilerin seufzte. „Gut, Sie können einen Schluck Medizin haben, aber dann gehen Sie direkt wieder in Ihre Klasse!“ Die Zwillinge nickten. Würde ich sie jetzt nicht schon mehr oder weniger eine Woche kennen, hätte ich sie für zwei Engel gehalten. Nun ja, so konnte der Schein täuschen. Mit langen Schritten verschwand die Heilerin wieder in ihrem Nebenzimmer. „Punkte im Gesicht?“ - „Sieht mies aus?“, wiederholten die Beiden gleichzeitig. Ich kicherte. „Den Spruch habt ihr provoziert. Konnte ich mir nicht verkneifen“, verteidigte ich mich grinsend. „Deine Punkte sehen auch so aus, als hätte man die dir während einer Zugfahrt aufgemalt.“ „Bei einer holprigen Zugfahrt. Mit vielen Kurven.“ Ich lachte. Merkten die Beiden eigentlich noch, dass man sie nicht ernst nehmen konnte? Und dann auch noch ein Spruch gegen meine Sommersprossen... das ließ mich ja so wie so immer kalt. „Lass uns abhauen, bevor Madam Pomfrey uns wirklich noch was gibt“, Fred stieß seinem Bruder in die Seite. George nickte. „Ja, nicht, dass sie uns noch vergiftet“, scherzte er und wandte sich gerade zum Gehen, als: „Hey, weißt du was? Morgen sind die Auswahlspiele für Gryffindor.“ Ausnahmsweise sah er nicht zu seinem Bruder, während er sprach. „Ihr spielt für die Treiberposition vor?“, es war eigentlich weniger eine Frage. Schließlich hatten sich die beiden bereits im Zug als angehende Gryffindortreiber vorgestellt. „Genau. Vielleicht kommst du auch und schaust zu? Sozusagen, als zweiter Teil unserer Quidditchnachhilfe? Falls du sie noch nicht vergessen hast.“ Ich lächelte. Wie hätte ich die vergessen können? „Ich werde mal gucken“, versicherte ich ihm. „Aber um live dabei zu sein, wie ihr vom Besen fallt, würde ich sogar meiner Lerngruppe absagen.“ „Was für eine Opferbereitschaft, die die Dame an den Tag legt“, grinste Fred und nickte zum Abschied. „Ich an deiner Stelle würde aufpassen: ist schon öfter vorgekommen, dass Zuschauer von einem Klatscher getroffen wurden.“ Er zwinkerte. „Rein zufällig natürlich.“

Tales of a marauders daughter | Robyn Harriot | In Love With A WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt