Kapitel 7

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Die Landschaft zog an mir vorbei. Eine Viertelstunde war vergangen, seitdem wir in London abgefahren waren. Bisher hatte sich noch niemand zu mir gesetzt. Ich war also immer noch alleine. Alleine. Ich seufzte. Alleine sein. Wie gut kannte ich dieses Gefühl nur? Ziemlich gut. Das war mir gestern Abend erst wieder bewusst geworden. Die anderen Kinder im Heim hatten gestern extra eine Abschiedsparty für mich geschmissen. Die Betonung lag auf Party. Es hatte sich wie ein Stich mitten ins Herz angefühlt, als ich in den Essenssaal gekommen war und sich alle darüber gefreut hatten, dass sie mich endlich los wurden. Sie hatten gelacht, getanzt, gegessen und gelästert. Über mich. Darüber, wie seltsam ich war. Wie absolut dumm ich mich bei den einfachsten Dingen doch immer anstellte. Und ich hatte es über mich ergehen lassen. Es war die Abrechnung, hatte Alexandra gesagt. Eine Abrechnung dafür, dass ich sie so oft provoziert hatte. Ich lächelte müde. Es war ein grauenvoller Abend gewesen. Irgendwie hatte Daphne es geschafft in mein Zimmer zu schleichen und meinen Zimmerschlüssel zu entwenden. Und natürlich hatte sie es sich nicht nehmen lassen, mein Zimmer abzuschließen und mich in Form einer Schnitzeljagd den Schlüssel suchen zu lassen. Worauf ich natürlich nicht angesprungen war. Den Gefallen hatte ich ihnen nicht tun wollen. Nur hatte das ihre Hochstimmung nicht wirklich getrübt. Aber was wunderte mich das auch? Ich war schließlich oft genug in ihre anderen kleinen Streiche getappt. Ich verzog das Gesicht, als ich über meine notdürftig verbundene Handfläche strich. Ich hätte meinen Koffer nicht ganz so stark festhalten sollen. Oder das nächste Mal einfach aufpassen, dass ich mir kein Bein stellen ließ, wenn ich gerade eine leicht zerbrechliche Glasflasche in der Hand hielt. Die Splitter hatten sich nicht nur in meine linke Hand gebohrt, die Milch, die ich darin transportiert hatte, hatte sich auch noch über meine gesamte Kleidung verteilt. Und diese absolut unvorteilhafte Situation, in der ich am Boden lag, hatten die anderen Waisen schön dafür genutzt, mich mit Honig und Federn einzuschmieren. Wirklich angenehm, wenn man für die nächsten Stunden nicht in sein Zimmer konnte, um sich umzuziehen, da ein paar Idioten ja den Schlüssel versteckt hatten. Das Ganze hatte schon fast an Mobbing gegrenzt. Und wen hatte das überhaupt nicht gekümmert? Richtig, meine Betreuer. Oh man. Ich konnte nur hoffen, dass in Hogwarts alles besser werden würde. Vielleicht konnte ich auch endlich mal richtige Freunde finden. Freunde, die mich mochten, und keine, die nur Zeit mit mir verbrachten, weil sie neben mir nicht mehr ganz so abstoßend und verrückt wirkten.

 

„Man, wo ist Lee denn jetzt?“, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Eine Stimme, die ich kannte. Und nicht gerade unbedingt treffen wollte. „Ich würde mal darauf tippen, er hat sich einen tollen Sitzplatz besorgt – was wir nicht haben.“ „Vergiss es, das ist definitiv deine Schuld!“ „Stimmt, hatte ja ganz vergessen, dass wir nur wegen meiner Eitelkeit beinahe den Zug verpasst hätten!“ „Du hast es erfasst, Georgie!“ Ich sah demonstrativ aus dem Fenster. Hoffentlich kamen die beiden nicht auf die Idee, sich zu mir zu setzten. Plötzlich klopfte es gegen die Abteiltür. Mist. Ich hatte so eine ganz miese Vorahnung. Zögernd drehte ich mich um. Zwei identisch aussehende Jungen standen im Gang; beide groß und mit fuchsroten Haaren. Zwillinge. „Hey, Fred, ich glaubs nicht! Guck mal, wer das ist!“, rief der eine und deutete lachend auf mich. Der Angesprochene strahlte. „Der Affe aus der Winkelgasse!“ Ich verdrehte die Augen. Natürlich hatten sie mich erkannt. Wäre ja auch zu schon gewesen, wenn nicht. Ich drehte mich wieder dem Fenster zu, entschlossen, gar nicht erst auf die beiden Spaßvögel einzugehen. Wenn ich sie ignorierte, würden sie abziehen. Das klappte immer. Eiserne Regel. Ich seufzte, als ich hörte, wie einer der beiden die Abteiltür öffnete. Wofür waren Regeln noch gleich da? Ach ja, um gebrochen zu werden. Ich vergaß. Ich hörte, wie sich die Beiden auf den Plätzen vor mir breit machten. Und das nicht gerade leise. Die nächsten Minuten wurde ich Zeugin einer sehr amüsanten Kappelei zwischen Geschwistern, die damit endete, dass jeder der Beiden der Ansicht war, dass der andere dringend mal wieder eine Diät einlegen müsse, wenn sie bei ihrem nächsten Rollentausch nicht auffliegen wollten. „Du wirst mein umwerfendes Aussehen so oder so nicht nachmachen können“, gab George, wie ich glaubte zu wissen, großspurig an. Fred verdrehte bloß die Augen. „Umwerfend... ja, ich kippe wirklich jedes Mal um, wenn ich nach dem Aufstehen in dein Gesicht gucken muss.“ „Ganz sicher, dass das nicht dein Spiegelbild war?“ „Ach, ich traue mir schon noch zu, einen Trottel von einem Engel zu unterscheiden.“ „Mh.“ „Mh? Was Besseres fällt dir nicht ein?“ „Was denn zum Beispiel? Wenn ich dir zustimme, liegen wir beide falsch.“ „Ich wette, die Anführerin der Affeninvasion stimmt mir zu“, verkündete der Rotschopf. Und schon ruhten die Blicke der Beiden auf mir. Jetzt zogen mich auch schon fremde Leute in ihre Familienkrise hinzu. Ich meine, verständlich. Wer wollte schon nicht, dass ich meinen Senf dazu gab? Spontan fielen mir mehr Leute ein, die dagegen waren. Ich zog eine Augenbraue und musterte die beiden Brüder. „Ihr seht Beide so aus, als würde euch ein Schlag auf die Nase nicht schaden.“ Die Beiden wechselten überraschte Blicke. Dann brachen sie in schallendes Gelächter aus. „War das ein Angebot?“, grinste mich der rechte von beiden an. Ich zuckte mit den Schultern. „Eigentlich eine Drohung.“ Der linke der beiden Rotschöpfe wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. „Wir sind...“ „Habe ich mitbekommen“, gab ich zurück und lächelte leicht. „Du siehst nicht so aus, als wüsstest du, wer wer ist.“ Ich grinste noch eine Spur breiter. „Der mit dem umwerfenderen Aussehen ist George.“ Freds Grinsen geriet ein bisschen schief, während sein Zwillingsbruder ihn neckend in die Seite stieß. „Gut“, sagte er dann, nachdem er sich gefangen hatte. „Und hat das Mädchen mit der seltsamen Wahrnehmung auch einen Namen?“ Ich nickte. „Robyn. Robyn Harriot.“ „Robyn?“, wiederholte Fred ungläubig. „Was ist denn das für ein Name? Der passt ja mal überhaupt nicht.“ Unbeeindruckt hob ich die Augenbrauen. „Wenn jeder einen Namen hätte, der gut zu ihm passt, würden hier einige Schwachköpfe rumlaufen. Dir eingeschlossen. „Ganz deiner Meinung, Affenmädchen“, erwiderte er und hielt mir grinsend die Hand hin. „Freut mich dennoch.“ Ich schüttelte seine Hand, wenn auch nicht wirklich lange, und lehnte mich dann wieder in meinem Sitz zurück. „Das ist dein erstes Jahr?“, fragte George mich neugierig. Ich nickte und konnte nicht verhindern, dass sich schon wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch zu Wort meldeten. „Und welches Haus ist dein Favorit?“ Meine Mundwinkel rutschten augenblicklich nach unten. Mein Haus? Was hatte ich nun schon wieder verpasst? „Wie bitte?“, fragte ich irritiert nach. „Na, dein Haus“, gab Fred zurück. Wie hilfreich ich seine Antwort fand, ließ ich lieber mal ungesagt. „Jeder Erstklässler wird einem der vier Häuser zugeteilt, je nachdem, welches am besten zu ihm passt.“ „Gryffindor, Hufflepuff, Slytherin und Ravenclaw.“ „Nach Hufflepuff kommen die ganzen Langweiler und in Ravenclaw hocken nur Streber herum.“ „Nach Slytherin kommen die falschen Schlangen. Alle miteinander böse. Kannst keinem von ihnen trauen.“ „Na ja, theoretisch gesehen schon, wäre eben nur das Letzte, was du tust.“ „Belastend.“ „Nach Gryffindor kommen die Mutigen und Tapferen-“ „- wahre Helden eben!“ Die Beiden lachten und sahen mich abwartend an. „Wo willst du hin?“ Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Eure Erklärung war ja so was von unparteiisch und professionell, ich... bin total überrascht.“ „Beeindruckend, wie gut wir unseren Hausstolz verbergen können, was?“ „Total“, stimmte ich Fred zu und zog bedeutungsvoll die Augenbrauen nach oben. „In welches Haus ich am liebsten wollen würde – keine Ahnung. Ich schätze, sie haben alle etwas Besonderes.“ George gab ein schwer definierbares Geräusch von sich und auch Fred sah so aus, als hätte ich ihm gerade einmal kräftig ins Essen gespuckt. „Ja, ich meine, ihr sagt, Gryffindor wäre das beste Haus -“ „Das ist eine Tatsache!“ „- und Tapferkeit und Mut sind auch wirklich gute Eigenschaften, aber ich bin sicher, bei den anderen Häusern sieht das nicht anders aus. Wenn ihr Hufflepuff langweilig findet, dann sind sie garantiert total nett und achten auf die Gemeinschaft. Und nur, weil in Ravenclaw ein paar kluge Köpfe sitzen, sind sie noch lange nicht alle nervige Streber. Und Slytherin? Böse?“ Ich schüttelte amüsiert den Kopf. „Wie alt seid ihr? Vier? Böse zu definieren ist schon schwer genug. Wird man schon so genannt, wenn man einen schwarzen oder makaberen Humor hat? Oder, wenn die Interessenbereiche sich einfach von dem Normalen, langweiligen, unterscheiden? Okay, vielleicht sind unter ihnen mal dunkle Zauberer gewesen, aber das zu verallgemeinern ist nicht fair.“ Die Zwillinge tauschten zweifelnde Blicke. Okay, ich musste mich vielleicht daran gewöhnen, dass ich manche Dinge einfach anders sah, als die, die mit alldem aufgewachsen waren. „Sind eure Eltern auch Zauberer?“, fragte ich neugierig. Fred nickte. „Unsere ganze Familie.“ „Du bist bei Muggeln aufgewachsen, oder?“, hackte George nach. „Allen anderen ist der Name Weasley ein Begriff.“ Weasley? Hatte ich den Namen nicht auch schon einmal gehört? „Habt ihr einen älteren Bruder?“, fragte ich. Fred grinste. „Oh, nicht nur einen. Bill ist der älteste. Er hat Hogwarts schon abgeschlossen. Charlie ist jetzt in seinem letzten Jahr. Percy kommt in die Vierte, Ron wird nächstes Jahr eingeschult und Ginny kommt dann in zwei Jahren dazu.“ „Wow“, entfuhr es mir. „Ihr seid ja nicht gerade wenig.“ „Könnte man so sagen. Hast du Geschwister?“ Ich biss mir auf die Lippe. Um ehrlich zu sein, hatte ich noch nicht einmal mehr eine Familie. „Nein“, gab ich wahrheitsgemäß zu. Mehr war ich nicht bereit zu offenbaren. „Du verpasst absolut nichts“, murmelte George und warf seinem Bruder einen schelmischen Blick zu, der neben ihm gerade so tat, als hätte ihn dieser Kommentar unglaublich getroffen. Ich kicherte leise. Fred sah einfach zu albern aus. „Wie genau erfährt man denn jetzt, in welches Haus man am besten passt?“, versuchte ich das Gespräch zurück auf die unterschiedlichen Häuser zu lenken. Sofort wurde Fred wieder ernst. Oder, na ja, zumindest ernster. Wirklich ernst schien es bei ihm nicht zu geben. „Es gibt eine Prüfung“, sagte er und George nickte zustimmend. „Ja, je nachdem, wie man reagiert, ist man für ein anderes Haus gemacht.“ „Aha?“, machte ich, nicht wirklich überzeugt. „Was für eine Prüfung?“ Fred wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit seinem Bruder und lehnte sich langsam zu mir nach vorne. „Gegen einen Troll kämpfen.“ „Gegen... einen Troll?“, wiederholte ich. Natürlich. Ein Duell mit einem Troll. Warum auch nicht? Meine Mundwinkel zuckte. „Und ihr wart so blöd und habt es wirklich versucht?“ So viel dazu, nach Gryffindor kamen die Mutigen. Dass ich nicht lachte. „Was heißt hier blöd?“ „Wohl eher mutig!“ „Nein, definitiv blöd“, widersprach ich und schüttelte den Kopf. Von Trollen hatte ich auch vorher schon gehört. Dafür musste ich nicht in der magischen Welt aufgewachsen sein. „Bei euren Lauchärmchen legt euch doch schon sein Stinkeatem um.“ „Lauch?“, empörte sich George. „Du meinst wohl Kürbisse!“ Ich lachte. „Ja, klar. Genau die meinte ich.“ Belustigt beobachtete ich, wie die Beiden ihre Arme anwinkelten und wie zwei Gorillas ihre Muskeln anspannten. Was natürlich total beeindruckend war. Ich meine, hallo? Zwei Zweitklässler, die sich für die Größten hielten. Die Gorillas konnten so was von einpacken. Grinsend lehnte ich mich wieder zurück und zog mein kleines Quidditch-Buch aus meiner Tasche. So lange, wie sich die beiden ihren Minuskater abtrainierten, konnte ich die Zeit ja auch sinnvoll nutzen. „Quidditch?“, rief Fred plötzlich. „Du interessierst dich für Quidditch?“ Überrascht blickte ich von dem Buch auf und nickte zögerlich. „Es klingt ganz interessant.“ „Interessant? Quidditch ist das Beste auf der ganzen Welt!“, rief George und riss mir das Buch aus der Hand. „Hey!“ „Keine Sorge, Miss Hood, Sie kriegen jetzt eine mündliche Nachhilfestunde!“ „Aber-“ „Nanana! Quidditch lernt man nicht durch lesen!“ „Genau! Also bleib sitzen und höre zu.“ „Also bitte-“, versuchte ich zu protestieren, wurde aber schon wieder von Fred unterbrochen. „Vor dir sitzen zwei anstrebende Gryffindortreiber. Also vertraue uns. Wir wissen, von was wir reden.“ Ich nickte zögerlich. Es würde schon nicht schaden, wenn mir die Beiden ein bisschen was erzählen würde. Im Gegenteil. Es würde wahrscheinlich sogar ziemlich lustig werden. Den Rest der Fahrt erhielt ich also einen Nachhilfekurs über Quidditch. Die Bälle, die ein oder andere Mannschaft und natürlich ganz viel Prahlerei der Zwillinge.  Yeah. Lief bei mir.

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2033 Wörter

Tales of a marauders daughter | Robyn Harriot | In Love With A WeasleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt