„Miss Harriot, Sie sind dran“, rief Lupin mich auf und bedeutete mir, vorzutreten. „Denken Sie daran: Sie brauchen nicht nervös zu sein, es ist nur eine Wiederholung und Sie kennen Ihre Angst besser als er.“
Wenn Lupin nur wüsste, wie falsch er lag. Ich hatte – dank Lockhardt und auch dem Basilisken – noch nie vor einem Irrwicht gestanden. Und was meine Angst war – tja, aktuell gab es da vermutlich vieles. Keine Ahnung, was da die Oberhand hatte.
Ich atmete tief ein, dann trat ich nach vorne. Der orange, Strumpfhosen tragende, Möchtegern Kürbisclown-Was-auch-immer, veränderte sich. Er begann, sich zu verformen, vom Boden abzuheben und zu schrumpfen. Die bunten Farben verblassten, zogen sich zurück, wurden von einem einfacheren, schwachen beige abgelöst.
„Das ist interessant“, bemerkte Lupin, starrte fasziniert auf meinen Irrwicht. Und ich tat das gleiche. Ich konnte es selbst kaum glauben.
Vor mir schwebte ein Brief. Beige, hochwertiges Papier, dunkle Musterungen, die den Zeichnungen meiner Mum, die auf ihrer kleinen Truhe eingraviert gewesen waren, verdammt ähnlich sahen. Und dann der Brief an sich. Die in unordentlichen Buchstaben geschriebene Adresse, das rote Siegel; er glich meinem Hogwartsbrief erschreckend stark.
Ich schnappte nach Luft. Meine Mitschüler taten es auch. Manche kicherten sogar. Sie freuten sich über jeden kleinen Fehltritt, jeden Fehler, jede Schwäche meinerseits. Und hier war sie nun: meine größte Angst. Mein Hogwartsbrief. Verrückt. Hätte ich mit allem gerechnet, aber damit nicht. Ganz und gar nicht. Das würden sie mich nie vergessen lassen.
„Es ist ein Symbol“, erwiderte ich auf Lupins Aussage, trat vorsichtig noch einen Schritt näher an den schwebenden Briefumschlag heran. „Er ist nicht geöffnet. Und ohne Absender. In diesem Brief könnte also alles sein. Es könnte ein unglaublicher Gewinn sein. Oder der Bericht eines schmerzhaften Verlustes. Oder eine einfache Aussage, die eine ganze Welt zum Einstürzen bringen kann. Man kann es nicht sicher wissen, ohne den Brief zu öffnen. Man könnte sein Todesurteil ganz unbekümmert in den Händen halten, ohne sich auch nur um Sorge Gedanken zu machen. Verrückt, oder nicht?“ Die Angst vor dem Unbekannten. Der Sprechende Hut hatte es damals wirklich auf den Punkt gebracht.
„Das ist in der Tat eine interessante Auffassung, Miss Harriot.“ Er meinte es so, das wusste ich. Aber gepaart mit den höhnischen Blicken meiner Mitschüler, die sich in meinen Rücken bohrten, fühlte es sich wie Spott an. Lächerlich. Ich versuchte, es zu ignorieren.
„Riddikulus!“, rief ich, konzentrierte mich auf den Brief. Ich stellte mir vor, wie er sich verändern würde, von etwas Langweiligen zu etwas Auffälligerem, über das die Meute hinter mir lachen würde, wurde.
Ein Knall ertönte, Fetzen flogen. Ein Drachenkopf, gefaltet aus Papier schoss aus dem Brief, verwandelte seine Überreste in Konfetti und sauste auf die Menge zu, sprühte grelle Funken und gab die merkwürdigsten Geräusche von sich. All das alberne Zeug eben, über das sich Klatschmäuler wie sie erfreuen würden.
Das Gelächter, ob über mich oder den lächerlichen Irrwicht, tat seine Aufgabe. Aber ich konnte mich nicht über den geglückten Zauber oder das Lob Lupins freuen. Ich fühlte mich eingenommen von der Erkenntnis, dass es die kleinsten, am unbedeutensten erscheinenden Dinge, wie ein einfaches Stück Papier, waren, die dazu in der Lage waren, unsere ganze Welt, unser ganzes Leben, umzukrempeln. Eine erschreckend beunruhigende Erkenntnis.
„Professor?“, ich war die letzte Person, die noch im Klassensaal war, alle Anderen waren bereits gegangen, sie wollten ihren freien Nachmittag nicht noch länger im Unterrichtssaal verschwenden.
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Tales of a marauders daughter | Robyn Harriot | In Love With A Weasley
FanfictionHogwarts ist die perfekte Schule für Leute wie mich. Ein Internat. Eine Kunstschule. Eine Anstalt. Muggel glauben, was sie wollen. Robyn Harriot. So heiße ich. Der Name einer Loserin. Dir gefällt er nicht? Toll. Ich hab genug andere. Nervig, verrück...