03 BUCH EINS - Ladon

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Mit aufmerksamem Blick bahnte ich mir einen Weg durch die engen Straßen der Stadt. Selbst in der Abenddämmerung ruhte sie nicht, erst wenn der Mond am Himmel emporkletterte, würde es langsam still werden. So war es jeden Tag gewesen, seit ich als Junge in die Stadt gekommen war.

Die Straßen waren erfüllt von den Stimmen der Menschen, Marktleute boten ihre letzten Waren an. An einer Ecke stand ein Mann mittleren Alters, der auf einer Laute spielte und Kinder rannten lachend und schreiend zwischen den Leuten herum.

Mein Griff um den zerschlissenen Stoffbeutel in meiner Hand wurde fester, als ich mich an einer Gruppe von offenbar betrunkenen Männern vorbeischob. Bereits früh hatte ich gelernt, dass mit solchen Gesellen nicht zu spaßen war und auch wenn ich sie inzwischen lediglich mit meinem kleinen Finger hätte überwältigen können, ging ich ihnen aus dem Weg.

Ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen, geschweige denn riskieren, die Ausbeute des heutigen Tages zu verlieren. Sie war ohnehin klein genug ausgefallen.

Der beißende Geruch von Rauch stieg mir in die Nase. Die Schmiede war also nicht mehr weit, neben der ich von der Hauptstraße abbiegen musste. Und wie jeden Tag verfolgte der Schmied mich mit argwöhnischem Blick, als ich mit schnellen Schritten in die kleine Straße einbog. Ich konnte es ihm nicht verdenken, schließlich wusste die halbe Stadt, wie ich meine täglichen Mahlzeiten verdiente: Durch Diebstahl.

Vermutlich war ich der bekannteste Dieb der Stadt, obwohl es hauptsächlich Lebensmittel waren, die ich von den Marktständen mitgehen ließ. Und außerdem kannten nur wenige in der Stadt meinen Namen.

In der schmalen Straße, die mich zum Stadtrand führte, war es deutlich weniger geschäftig. Mir begegneten nur wenigen Menschen, die meisten von ihnen waren in schmutzige, zerlumpte Kleider gehüllt, so wie ich selbst auch. Hier, am Stadtrand, lebten die Ärmsten der Stadt in verfallenen Häusern, die bereits vor Jahren verlassen wurden.

Nach einer Weile bog ich in eine weitere Gasse ein, die man kaum als solche hätte bezeichnen können. Mit nur leicht ausgestreckten Armen wäre ich an die Holzwände der Häuser rechts und links von mir gestoßen.

Jedes Mal kam mir diese Gasse wie ein geheimer Pfad vor, der in ein kleines geschütztes Tal führte, oder in diesem Fall auf einen kleinen Platz. Kinder unterschiedlichen Alters spielten dort vor einem Haus. Sie jagten sich über den Platz oder hatten umherliegende Steine und Stöcke zu Spielzeug umfunktioniert. Einige Mädchen hielten auch eine alte, schmutzige Stoffpuppe in den Händen.

Sie alle waren so fröhlich und unbeschwert, ganz anders als ich es war. Dennoch verbanden mich und diese Kinder gleich zwei Dinge. Zum einen waren wir Waisen, keiner von uns hier hatte noch Eltern, die sich um uns hätten kümmern können. Zum anderen waren wir bitterarm, vor allem anderen zu erkennen an unserer schmutzigen, lumpigen Kleidung.

Als die Kinder mich bemerkten, kamen sie auf mich zugerannt. Sie grüßten mich und stellten Fragen und einige zogen an meinem Hemd, um mich zum Spielen zu animieren.

Ich lächelte, während ich die Kinder ebenfalls grüßte und war wieder einmal erstaunt. Wenn ich allein auf Streifzug in der Stadt war, fühlte ich mich einsam, doch sobald ich hier auf dem kleinen, versteckten Platz vor der alten Taverne war, von den Waisenkindern umringt, war es doch beinahe so, als hätte ich eine Familie, die mich jeden Tag aufs neue willkommen hieß.

"Asena und Varric warten schon auf dich", sagte ein Mädchen von etwa elf Jahren und deutete auf das Haus. Ich nickte ihr lächelnd zu und ging auf das Haus zu. Das Schild über der Tür, welches an die Vergangenheit des Hauses als die Taverne Zum Heulenden Wolf erinnerte, wackelte gefährlich stark, als ein leichter Wind über den Platz wehte.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt