09 BUCH EINS - Cieran

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"Ihr seid... wirklich misstrauisch", bekannte ich, als Ladon wieder zu mir zurückkehrte und das Mädchen in der Taverne verschwunden war.

"Wie gesagt, das müssen wir sein", entgegnete Ladon und zuckte mit den Schultern.

"Soll ich wiederkommen?", entschied ich mich, zu fragen. Auch wenn ich mich vor der Antwort fürchtete. Was, wenn er nein sagen würde? Hierherzukommen war der Sinn meiner nächtlichen Ausflüge geworden, ich wusste gar nicht, was ich ohne diesen Sinn noch hier draußen suchen sollte. Eigentlich wollte ich hier Freiheit erfahren, und das echte Leben, aber beides schien sich nun in Ladon vereinigt zu haben, für den ich mein vollstes Interesse aufwand.

Ladon zögerte, sah kurz zur Seite, dann nickte er. "Ja."

Erleichtert entspannte ich mich etwas. "Gut dann... Bis morgen?"

Das erste Mal schenkte Ladon mir zumindest den Ansatz eines echten Lächelns. "Bis morgen", bestätigte er und wandte sich dann ab, um wieder in die Taverne zu gehen.

In der nächsten Nacht kam ich wieder, der Neumond ließ kaum Licht auf das dunkle Armenviertel herabfallen. Es war unheimlich, alles schien ruhiger als in den Nächten zuvor, aber auch angespannter. Als würden alle Bewohner des Viertels über Nacht vor Angst den Atem anhalten. Auch in der Taverne war es diesmal stiller, als ich anklopfte.

Ich wartete einen Moment, lächelte leicht beim Gedanken daran, Ladon wiederzusehen. Aber er war es nicht, der schließlich die Tür öffnete. Es war das Mädchen vom gestrigen Abend, die mich mit einem Blick voll Misstrauen und Verachtung anstarrte. "Was willst du schon wieder hier, ich dachte, Ladon hätte das mit dir geklärt?!"

"...Was geklärt?", fragte ich verwirrt, fühlte mich auf einmal furchtbar bloßgestellt, wie ich mit meinem Sack voll Essen in der Tür stand und nicht auf den Jungen traf, den ich erwartet hatte.

"Dass du dich von hier fernhalten sollst!", fuhr sie mich an.

"Er hat gesagt, ich kann wieder...", hob ich an, doch sie unterbrach mich mit einer hektischen Handbewegung.

"Er ist heute Nacht sowieso nicht da. Er hat... etwas zu erledigen. Am Besten hältst du dich fern."

Dann trat sie wieder einen Schritt zurück und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich starrte die Tür an, blinzelte überrumpelt.

Wo war Ladon? Und hatte ich etwas falsch gemacht? Mein Blick glitt auf den Sack in meinen Händen, dann nochmal auf die verschlossene Tür. Ich sollte mich fernhalten. Der ablehnende Klang der Stimme des Mädchens hallte in meinen Ohren nach wie der unheilvolle Gesang einer Todesfee.

Mein Körper fühlte sich seltsam taub an, als ich den Sack vor der Tür ablegte und mich von der alten Taverne abwandte, um den Heimweg anzutreten. Was sollte ich denn jetzt machen?

Ich schlurfte durch die Gassen hindurch zurück in Richtung Burg, betrat sie durch den Geheimgang und schlich, statt wie üblich zurück in mein Zimmer, bis hinauf auf den höchsten Turm, wo ich auf zwei Wachen traf, die sich aber nur leicht vor mir verneigten und mich ansonsten vorerst in Ruhe ließen. Kurzerhand legte ich mich auf den Boden und starrte hinauf in den Sternenhimmel. Ladon hatte gesagt, dass er misstrauisch sein musste. Aber er hatte gesagt, dass ich wiederkommen dürfe. Und er hatte gelächelt. Oder hatte ich mir das nur eingebildet? Vielleicht wollte er nicht, dass ich wiederkam. Vielleicht konnte er mich nicht ausstehen, ebenso wie das Mädchen, das mich an der Tür der Taverne so kalt abgewiesen hatte.

"Verzeiht wenn ich Euch störe, aber wenn Ihr weiter auf dem Boden liegen bleibt, könntet Ihr Euch erkälten", sprach mich schließlich eine Wache an. "Soll ich Euch vielleicht eine Decke holen, wenn Ihr die Nacht hier verbringen wollt?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, nein, danke. Ich gehe schon wieder."

Dann raffte ich mich auf und stieg die Wendeltreppe hinab durch den Turm und das angrenzende Gebäude der Herrscherfamilie bis in meine Gemächer.

Vielleicht sollte ich die kommenden Nächte einfach hierbleiben. Mich fernhalten. Wie es das Mädchen gesagt hatte. Mich fernhalten.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt