30 BUCH ZWEI - Cieran

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Ich schlug die Augen auf, als mir die Sonne ins Gesicht schien. Fast blind musste ich zuerst blinzeln, dann kehrten auch meine übrigen Sinne zurück. Ich lag auf dem Rücken, konnte mich nicht bewegen. Zuerst begriff ich nicht, warum. Dann fühlte ich die Wärme, die mich wie ein Kokon umgab.

Ladon lag zur Hälfte auf mir, ein Bein über meiner Hüfte, ein Arm über meiner Brust, sein Gesicht unmittelbar neben meinem Kopf, sein heißer Atem wehte mir immer wieder sanft gegen mein Ohr.

Meinen Kopf wollte ich nicht drehen, mich nicht bewegen, hatte Angst, ihn zu wecken. Er brauchte den Schlaf. Und nur deswegen wollte ich mich nicht bewegen. Jedenfalls versuchte ich, mir das einzureden. Dass es nichts mit der Nähe zu tun hatte, die das Band zwischen uns zu nähren schien.

Ich hatte früher schon andere Jungen angesehen, wie ich ihn angesehen hatte. Als ich dreizehn war, hatte es begonnen, ich erinnerte mich noch genau daran, damals war es der Sohn des Schmieds gewesen, zwei Jahre älter als ich, der meist seinem Vater in der Schmiede geholfen hatte. Ich hatte die Muskeln bewundert, die unter seinen Oberarmen gezuckt hatten, jedes Mal, wenn er seinen Hammer auf den Amboss hinunterschlug. Die Blicke, die er mir manchmal zugeworfen hatte, hatte ich nicht übersehen. Aber ich war nie darauf eingegangen, war zu schüchtern. Meistens jedenfalls. Eine Welle des Schams überkam mich, als ich an das kurze Glühen zurückdachte, dass damals zwischen uns entflammt war.

Doch es war nicht dasselbe. Zu Ladon spürte ich eine andere Verbundenheit. Viel tiefgreifender, viel intensiver. Als würde ich ihn schon lange kennen, als wäre es meine Bestimmung gewesen, irgendwann in meinem Leben auf ihn zu treffen.

Als Ladon sich regte, kehrte ich zurück aus meinen Gedankenspiralen. Er seufzte in mein Ohr, das Licht der Morgensonne hatte jetzt über meinen Kopf hinweg auch sein Gesicht erreicht.

Unfähig, etwas zu sagen, blieb ich liegen, sah in den Himmel hinauf, wollte ihm nicht das Gefühl geben, ihn von mir herunter haben zu wollen.

Die Angst in mir, Ladon könnte sich schnell zurückziehen, erwies sich als unbegründet. Als er die Augen öffnete, wich er nicht von mir. Zumindest nicht sofort. Zuerst sah er mich an.

Dann wich er.

"Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ich Menschen beim Schlafen so leicht auf die Pelle rücke", entschuldigte er sich, während sich seine Gliedmaßen von meinem Körper hoben und mir eine unangenehme Leichtigkeit verliehen, als könnte ein aufkommender Windstoß mich jederzeit weit, weit wegpusten. Ich fühlte die Kälte wieder, die der nahende Winter den Nächten verlieh.

"Schon gut", antwortete ich kleinlaut.

Wir frühstückten, die Brotreste aus einer der Satteltaschen an einem der Pferde. Jener Pferde, die wir am Vortag gestohlen hatten. Ich hatte noch nie wirklich etwas gestohlen, und fast schon fühlte ich mich schlecht deswegen. Aber es war auch ein spannendes Abenteuer gewesen. Mit Ladon an meiner Seite würde ich es jederzeit wieder tun.

Nach dem Frühstück brachen wir wieder auf, weiter westwärts, zwei Tage lang. Ich nutzte die Zeit, um Ladon das Reiten beizubringen. Immerhin fiel er nur ein einziges Mal von seinem Pferd hinunter, mir war das zu meiner Anfangszeit wesentlich öfter passiert. Allerdings war ich auch sechs Jahre alt gewesen. Er lernte gut, aber er war offensichtlich kein Naturtalent, und die Pferde schienen sich stets ein wenig vor ihm zu sträuben, sie gehorchten ihm nicht so gut wie mir, wurden in seiner Gegenwart manchmal nervös.

Dennoch kamen wir gut weiter voran, bis wir schließlich auf den Wald stießen, der die Grenze zum nordischen Territorium Tuath markierte.

"Wir könnten den Grenzen des Waldes folgen, dann würden wir weiter im Süden aber auch direkt an die Grenze zu Tuath kommen, und da sind vermutlich Patrouillen unterwegs, um Flüchtlinge abzufangen. Ich bin mir nicht sicher, wie sie es aufnehmen würden, einen jungen Blayd an der Grenze anzutreffen. Deshalb sollten wir vielleicht besser bereits hier in den Wald vordringen und dann weiter nach Südwesten, wenn du einverstanden bist?"

"Ich vertraue dir", bestätigte ich Ladon in seinem Gedankengang und übernahm die Führung, hinein in den sich scheinbar endlos erstreckenden Wald.

Am Abend überquerten wir die Grenze nach Tuath, was uns ein uralter, zu großen Teilen verwitterter Stein mitteilte, an dem wir vorbeiritten. Wir folgten zumeist Trampelpfaden, gerade noch breit genug, um von den Pferden beritten zu werden, aber nicht breit genug, um große Soldatenpatrouillen aufnehmen zu können. Wir begegneten absolut niemandem, worüber wir froh waren.

Als bereits der Mond aufging, erreichten wir schließlich etwas, das ich noch nie gesehen hatte. Weiße Steine, schillernd im Mondlicht, glatt geschliffen, die zu einem Haus emporzuwachsen schienen, das mit der Natur verschmolz. Ranken und Wurzeln zogen sich über und durch die blanken Steine, hohe, spitz zulaufende Fensterbögen verliehen dem Gebäude etwas majestätisches. Weit entfernt lag noch etwas anderes in der Luft. Eine Art Flimmern, das warm auf meiner Haut prickelte. Es war ein magischer Ort.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt