55 BUCH DREI - Ladon

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Als Cieran sich umdrehte, um zu gehen, taumelte ich ein paar Schritte zurück. Ich war völlig überwältigt und verwirrt. Gerade noch hatte ich es gefühlt, seinen Schmerz gefühlt, die Enttäuschung und Trauer und wie das alles sein Herz zerriss. Und damit auch meines.

Ich wusste nicht, ob Cieran seine Fähigkeit absichtlich eingesetzt hatte, aber es war in jedem Fall eigenartig. So war es also, die Gefühle eines anderen zu fühlen, Cierans Gefühle zu fühlen.

Ich schüttelte den Kopf, versuchte, wieder einen klaren Gedanken zu fassen und sah mich nach Cieran um. Gerade wollte er um die Ecke in den nächsten Flur gehen, langsam und humpelnd ohne Krücken.

Ich hob die Krücken auf, lief Cieran nach. "Cieran, warte! Bitte, lass mich doch erklären..."

Cieran schnitt mir das Wort ab, wandte sich tränenüberströmt zu mir um und schrie mich erneut an.

"Verschwinde! Geh doch zu deiner Hure, vergnüg dich mit ihr. Aber lass mich verdammt nochmal in Ruhe!!!"

Erneut wurden meine eigenen, aufgewühlten Gefühle von einer Welle der Trauer und Enttäuschung begraben. Sie ging von Cieran aus, gar keine Frage, doch diesmal schien er es wirklich nicht vorsätzlich getan zu haben.

Überwältigt ließ ich die Krücken fallen, meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, sie aufhalten zu wollen, sondern ließ sie einfach über meine Wangen laufen, während ich durch ihren Schleier schemenhaft erkennen konnte, dass Cieran ging.

Als er weg war, brach ich zusammen, weinte, schluchzte unkontrolliert. In meiner Seele tobte ein wilder Sturm aus Emotionen, zum Großteil meine eigenen, aber auch noch Reste von Cierans Gefühlen, die sich miteinander vermischten und ineinander verwirbelt wurden.

Ich wusste nicht genau, wie und wann ich es in mein Zimmer schaffte, aber nachdem meine Tränen versiegt waren, fand ich mich dort wieder, zusammengekauert auf dem Boden vor dem Bett.

Meine Wangen, ja selbst meine Hände mit denen ich mein Gesicht verdeckt hatte, waren nass von Tränen, die ich mit dem Bettlaken trocknete.

Wie hatte es nur dazu kommen können?

Mein Herz schien sich schmerzhaft zu verkrampfen, als ich an Cieran dachte, die Wut und Trauer in seinen Augen, vorrangig jedoch die Enttäuschung. All seine Worte hallten in meinem Kopf wider, wie ein böses, nie endendes Echo. Aber nach einer Weile drängte sich ein Satz, eine Frage in den Vordergrund.

"Wieso besuchst du eine Hure?"

Woher wusste Cieran, dass ich zu einem Freudenmädchen Kontakt gehabt hatte bei meinem Streifzug durch die Stadt? Er konnte mir unmöglich selbst nachgelaufen sein, schließlich wäre er dann niemals vor mir wieder in Atarahs Anwesen eingetroffen.

Es sei denn, es war nicht Cieran sondern...

"ATARAH!!!"

Wie das bedrohliche Grollen eines nahenden Gewitters hallte meine Stimme durch das Anwesen. Ich stürmte aus dem Zimmer, riss wahllos Türen auf, um Atarah zu finden.

Schließlich tat ich es auch, in einem der Emfangszimmer. Als ich die Tür aufriss, die dabei beinahe aus den Angeln fiel, ließ sie erschrocken das Buch in ihrer Hand fallen.

"Ladon, was....?"

Weiter kam sie nicht, ich stürmte auf sie zu, warf den kleinen Tisch samt Stühlen, der zwischen Atarah und mir stand, quer durch den Raum. Krachend kamen die Möbel wieder auf dem Boden auf.

Atarah wich vor mir zurück, Furcht stand ihr ins Gesicht geschrieben.

"Darauf hast du doch nur gewartet, du hinterlistige Schlange!"

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt