77 BUCH VIER - Ladon

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Wieso tat er das?

Wieso tat er mir das an?

Wieso tat er sich selbst das an?

Ich verstand die Welt nicht mehr, während ich immer wieder versuchte, die Fesseln zu lösen. Sie waren erstaunlich widerstandsfähig.

Ich wusste, dass Cieran mich nicht verlieren wollte. Mir ging es schließlich nicht anders. Aber dass er zu solchen Mitteln greifen würde, hätte ich nie gedacht. Dass er mich tatsächlich daran hindern würde, ihm auf das Schlachtfeld zu folgen, hätte ich nie gedacht.

Außerdem hatte ich schon länger das Gefühl, dass wir zwar beide auf unsere Weise stark, aber dennoch gemeinsam am stärksten waren. Egal, ob ich dabei in meiner Menschen- oder Drachengestalt war. Spürte Cieran das etwa nicht?

Im Flur vor der Tür hörte ich hektische Stimmen, viele Schritte rannten vorbei, keiner kam herein. Im ersten Moment war ich enttäuscht darüber, schließlich könnte ich wider erwarten ein wenig Hilfe gebrauchen. Dann bemerkte ich, dass es wohl doch besser war, wenn mich niemand so sah. Immerhin lag ich nur mit Unterwäsche bekleidet auf Cierans Bett und war auch noch daran gefesselt. Was für einen Eindruck das wohl erwecken würde, wollte ich dann doch nicht wissen.

Mehrere Kriegshörner zerrissen die Stille des Morgens, ließen mich genauso erschaudern wie den Boden des Palastes. Angst kroch langsam aber sicher in meinen Körper, Angst um Cieran. Er war dort draußen, ich war mir sicher. Er war dort draußen, wahrscheinlich an vorderster Front, und kämpfte um sein Leben, um meines, um unseres. Und ich lag hier, konnte ihm nicht helfen.

Ich zog stärker an den Fesseln, der Baldachin des Bettes wackelte gefährlich, doch es war mir egal.

Ich hatte aber auch Angst um Lavandia. Angst, dass die Stadt fallen würde. Noch eine Stadt, die vor meinen Augen zu Ruinen zerfiel, könnte ich nicht ertragen. Ich schluckte die bösen Erinnerungen an die Waisenkinder herunter, konzentrierte mich stattdessen auf die Fesseln um meine Hände, zog und zerrte daran.

Es dauerte Ewigkeiten, bis ich endlich meine linke Hand befreit hatte. Die Fesseln an meiner rechten Hand ließen sich jetzt, mithilfe meiner freien Hand, etwas leichter lösen. Wo auch immer Cieran diese Fesseln aufgetrieben hatte, der, der sie gefertigt hatte, verdiente beinahe einen Orden, schließlich schafften es nur die allerwenigsten Fesseln, mich so lange aufzuhalten.

Kaum war ich frei, stürmte ich aus dem Raum, blieb verblüfft wieder stehen, als ich feststellte, dass es totenstill in den Fluren war. Kein gutes Zeichen.

Dann ertönte entfernt Geschrei, Kriegsgeschrei. Mein feines Gehör führte mich bis zu einem großen Balkon. Von dort aus konnte ich über die Stadt hinweg zum Hafen am Fluss und zur danebenliegenden Ebene blicken. Schockiert blieb ich stehen, als meine Augen das Bild    erfassten.

Tofanias Soldaten in silbernen Rüstungen mit lavendelfarbenen Hemden und Umhängen standen einer wahren Armada an Soldaten in Gold gegenüber. Tofania war trotz aller Anstrengungen zahlenmäßig deutlich unterlegen. Ich sah neben dem königlichen Banner noch vereinzelt ein paar weitere, die ich zwar nicht zuordnen konnte, doch ich wusste, es mussten Lords von der Insel sein, die sich Levian angeschlossen hatten. Die Wappen von Erain und Tuath, die ich auf der Kleidung der Botschafter gesehen hatte, konnte ich aber nicht entdecken. Verraten hatten sie uns also zum Glück nicht.

Viel erschreckender als der Vergleich der beiden Streitkräfte war, dass soeben die beiden Fronten mit lautem Geschrei aufeinandertrafen. Schwert traf auf Schwert, Schild auf Schild, Soldat auf Soldat. Ich verfluchte meine scharfen Augen und war ihnen dankbar zugleich, als sie Cieran in dem Chaos entdeckten. Er wehrte die Schläge der Angreifer mit seinem Schwert ab, wirbelte dann herum, nur um erneut abzublocken. Und er kämpfte gut, nur tötete er nicht. Wenn sein Schwert einen Soldaten traf, dann nur so, dass dieser zwar verletzt wurde, aber nicht starb.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt