32 BUCH ZWEI - Cieran

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Verständnislos und enttäuscht sah ich Ladon an. Hatte er das etwa nur gesagt, weil ihm die Nähe doch zu viel geworden war? Oder empfand er die Nähe einfach nur... anders, als ich es tat?

Dann hörte ich die Stimmen auch und meine Zweifel wurden aus meinen Gedanken gefegt wie ein Haufen trockener Herbstblätter nach einem starken Luftzug.

"Ich sage dir doch, ich habe sie gesehen! Zwei Jungen mit Pferden sind in das Haus gegangen!"

Ebenfalls alarmiert sah ich mich nach einem anderen Ausgang um. "Wir müssen hier raus", sagte ich, doch fand nur den Ausgang, durch den wir hineingekommen waren - jenen, auf den die Unbekannten gerade zusteuerten.

"Wir kommen hier nicht rechtzeitig raus. Wir kooperieren einfach. Wenn sie Räuber sind, wollen sie vielleicht nur unsere Pferde, sie sollen sie haben", entgegnete Ladon, offensichtlich besorgt um meine Gesundheit. Aber ich konnte kämpfen und ich war bereit, ihn davon zu überzeugen.

Ich verwarf den Gedanken wieder, als die Gruppe den Torbogen erreicht hatte. Es war ein halbes Dutzend Männer, allesamt bewaffnet. Zu viele. Vielleicht war Ladons Plan, zu kooperieren, also doch der sinnvollere.

"Was macht ihr hier?!", erkundigte sich der groß gewachsene Anführer der Gruppe barsch, während die Männer sich am Torbogen verteilten und uns den Ausweg blockierten.

Ehe wir die Chance bekamen, zu antworten, schrie plötzlich einer von ihnen laut: "Das ist einer von ihnen!"

Panik lag in der Stimme des kleinen Mannes mit Glatzes, der den Zenit seiner Lebenszeit bereits sichtlich überschritten hatte. Mit zitternder Hand zeigte er auf Ladon, den ich daraufhin verblüfft ansah. Die Flammenaura loderte unbeirrt vor sich hin, wie sie es stets tat.

"Bist du dir sicher? Du hast noch nie einen gesehen, woher willst du jetzt wissen, dass es einer ist?", erkundigte sich der Anführer barsch, schenkte seinem Untergebenen offensichtlich wenig Glauben, während sich die Angst auch unter den anderen Männern zu verbreiten schien.

"Ich bin mir sicher! Flammen toben um ihn herum!", versicherte der Kleine.

Der Anführer kniff die Augen zusammen. "Dann nehmen wir sie mit. Der Gott des Waldes soll entscheiden, was mit ihnen geschieht."

Die Männer zögerten, hatten offensichtlich Angst vor Ladon. Ich konnte mir ihre Angst nicht erklären, aber dann hallten die Worte des Kleinen in meinem Kopf nach. Flammen toben um ihn herum.

Dieser Mann sah Ladons Aura auch. Und vielleicht wusste er mehr, als ich es tat. Die Klaue, das Blut an Ladons Hand. Ladon war kein Mensch. Und der Kleine wusste, was Ladon war. Fast schon war ich versucht, ihn zu fragen, als der Anführer seine Männer anfuhr: "Na los, worauf wartet ihr?!"

Die Männer gehorchten also und kamen auf uns zu.

Ladon berührte sacht mit seiner Hand meinen Unterarm, wollte mir damit offensichtlich sagen, dass ich mich nicht wehren solle. Ich hörte auf ihn. Welche Aussichten hatten wir hier auch?

"Zieht ihnen Säcke über den Kopf, sie sollen nicht wissen, wo wir sie hinbringen! Und nehmt die Pferde mit, wir können sie gebrauchen!", herrschte der Anführer.

Kurz darauf wurde ich mit auf den Rücken gefesselten Händen und einem Sack über dem Kopf durch den Wald geschubst, stolperte immer wieder über Wurzeln, Sträucher, Steine. Aber ich fühlte Ladons Präsenz immer noch neben mir, das Band, das sich um uns gelegt hatte, hielt uns zusammen.

Ich war mir nicht sicher, wie lange wir gelaufen waren, als mir unvermittelt der Stoff vom Kopf gerissen wurde. Meine Füße schmerzten vom Stolpern und ich hatte Angst, natürlich hatte ich Angst. Närrisch war die Vorstellung, angstlos einer Entführung zum Opfer zu fallen. Jedenfalls tröstete ich mich mit diesem Gedanken. Ich blinzelte unwillkürlich, starrte direkt in ein großes Lagerfeuer vor mir. Meine Augen benötigten eine Weile, um sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen, während Ladon neben mir bereits erstaunt einatmete.

Dann sah ich es auch. Wir standen inmitten eines Platzes im Wald, der Boden geformt aus demselben weißen Stein, der auch das Haus zusammengehalten hatte. In der Mitte das große Lagerfeuer vor mir.

Um den Platz herum befanden sich mehrere weiße Säulen, die ins Nichts zu ragen schienen, die Decken, die sich einst über ihnen gesäumt hatten, lange eingestürzt. Erst als ich zu Ladon hinübersah und seinem Blick nach rechts folgte, sah ich, was ihn so erstaunt hatte.

Zu unserer Rechten reckte sich ein riesiger Baum in die Höhe. Oder war es überhaupt ein Baum? Der dunkle Stamm war durchzogen von den weißen Steinen, ein Fenster hier, ein Balkon da, als wäre der Baum ein gewaltiger, hohler Turm. Die Verschmelzung von Natur und Architektur, wie ich sie bereits im Haus zuvor bewundert hatte, fand in diesem Gebilde ihre Perfektion. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, ob hier zuerst der Baum gewachsen und schließlich bebaut, oder ob zuerst ein Turm gestanden und der viele dutzend Meter hohe Baum später gepflanzt worden war.

"Wunderschön", wisperte ich, vergaß für einen kurzen Moment den Ernst der Lage, in der Ladon und ich uns befanden.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt