85 BUCH FÜNF - Cieran

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Schaukeln und Ruckeln weckte mich. Mein Kopf dröhnte, zuerst hatte ich Schwierigkeiten, mich zu erinnern. Wo war ich? Was war passiert?

Ich bekam schlecht Luft, mein Kopf steckte unter einem Sack.

Dann erinnerte ich mich. Der Griff der Axt, der gegen meine Stirn geschlagen worden war. Der Kopfgeldjäger. Aber warum lebte ich dann noch?

"Hey! Hallo?", rief ich vorsichtig in mein schwankendes Umfeld hinein. Wir befanden uns in einer Kutsche, die Geräusche der Hufe, das Schnauben der Pferde, das Ächzen der Holzachsen waren unverkennbar.

Niemand antwortete mir, aber ich war mir sicher, dass jemand mit mir in der Kutsche saß. Ich fühlte eine Präsenz, wie zuvor in den Gärten des Palasts von Lavandia. Es war der Kopfgeldjäger.

"Rede mit mir!", forderte ich ihn auf, aber noch immer erhielt ich keine Antwort.

Ich schloss die Augen, sah mit geöffneten ohnehin nichts, und versuchte, Ladon zu erreichen. Er lebte und er machte sich Sorgen. Furchtbare Sorgen. Ich schaffte es nicht, ihm zu sagen, dass es mir gut ging. Und ich wusste nicht, ob das noch lange so bleiben würde.

"Anhalten!", schrie plötzlich eine schrille Stimme von draußen. Wer auch immer die Kutsche fuhr, gehorchte und brachte die beiden Pferde, die das Gefährt zogen, zum Stillstand.

Der Kopfgeldjäger knurrte, jetzt konnte ich ihn genauer lokalisieren. Er musste mir gegenüber sitzen, ich lag ausgestreckt auf dem Boden.

"Gebt uns eure Ladung, dann lassen wir euch vielleicht am Leben", schrie es von draußen, das Knarzen des Holzes verriet mir, dass der Kopfgeldjäger aufstand.

Ich öffnete die Augen wieder und sah den Lichtschimmer, der in den Planwagen hineinfiel, als die hintere Plane beiseitegezogen wurde.

"Wer ist der Junge mit dem Sack auf dem Kopf?", fragte jemand.

"Ich wüsste nicht, was euch dreckige Banditen das angehen würde." Der Kopfgeldjäger.

"Zeig uns sein Gesicht!", forderte der Räuber, zustimmendes Johlen hinter ihm verriet mir, dass sie mindestens zu zehnt sein mussten.

"Wenn ich das tue, muss ich euch danach umbringen", erklärte der Kopfgeldjäger ernst.

"Darauf lassen wir es ankommen", erwiderte der Räuber höhnisch.

Dann wurde mir der Sack vom Kopf gerissen. Ich blinzelte, konnte mich zunächst schwer orientieren.

"Das ist der Drachenreiter", fuhr es entsetzt durch die Räuberbande.

"Er war es, der die Bestie gelenkt hat, die unseren Gott im Feuer verbrannte!"

"Nur wegen ihm haben wir so viele Brüder und Schwestern auf dem Schlachtfeld verloren!"

Allmählich ging mir ein Licht auf. Bei der Bande handelte es sich um Versprengte aus der Elfenstadt in den Wäldern von Tuath. Der Elf musste sie für die Jagd auf uns mitgenommen haben.

Tatsächlich trugen sie alle Waffen, die zweifelsohne von elfischer Hand gefertigt worden waren. Damit war Ladon während der Schlacht verletzt worden. Jemand von den Waldbewohnern hatte ihn mit einer solchen Waffe getroffen.

"Und jetzt muss ich euch töten", sagte der Kopfgeldjäger ruhig und ließ sich alle Zeit der Welt dabei, seine Axt von seinem Rücken zu nehmen.

"Du bist nur einer, wir sind viele", stellte der Anführer fest.

Dann geschah alles in furchterregender Geschwindigkeit. Der Kopfgeldjäger brüllte, sein Kopf verschmolz, der Schädel verformte sich knackend in den eines Drachen, dann stürzte er sich auf die Räuber, vom Hals aufwärts Drache, darunter Mensch.

Die Männer versuchten gar nicht, gegen das Monster zu kämpfen, das sich aus der Kutsche heraus auf sie stürzte. Sie versuchten zu fliehen, doch der Kopfgeldjäger setzte ihnen nach. Und da erkannte ich meine Chance.

Meine Hände waren auf meinem Rücken zusammengebunden worden, doch meine Beine waren frei. Ich kämpfte mich schwankend auf die Beine und stolperte über die Trittstufen hinunter auf den matschigen Boden. Wir befanden uns in einer Schlucht, der perfekte Hinterhalt für eine Räuberbande. Diese waren allerdings nicht schlau genug gewesen, Schützen auf den oberen Klippen zu platzieren. Ich wusste nicht, wo wir waren, also rannte ich einfach los, in die Richtung aus der wir gekommen waren, bergauf.

Ich rannte und rannte, bis meine Beine brannten, hörte bald weit hinter mir noch die Schreie der Räuber aus dem Wald, die vom Kopfgeldjäger dahingeschlachtet wurden. Dann war ich oben angekommen. Von hier aus hatte ich eine bessere Aussicht, sah in weiter Ferne das Meer glitzern. Und, in der Richtung, aus der wir gekommen waren, sah ich die Ebene und den Hügel, an den Lavandia errichtet worden war. Winzig klein war der Palast von hier aus, die Gärten nur ein grüner Fleck am Horizont.

"Wohin wollen wir denn so eilig, junger Lord?", fragte mich der Kopfgeldjäger, der mich bereits eingeholt hatte. Er visierte mich mit seinem Bogen an.

Verdammt, ich würde ihm nicht entkommen können. Nicht ohne Waffe, mit gefesselten Händen.

"Du wirst mich nicht erschießen. Wenn du mich töten wolltest, hättest du es längst tun können", stellte ich fest.

"Da hast du Recht", bekannte er grimmig und senkte den Bogen. "Aber die Füße könnte ich dir trotzdem abschneiden, damit du nicht mehr davonlaufen kannst."

Ladon würde mich suchen. Da war ich mir sicher. Und ich hatte es in Sekundenbruchteilen geschafft, ein kleines Stück Stoff aus meinem Festhemd herauszureißen, und ließ es hinter mir fallen.

"Das ist nicht nötig, ich komme mit", entgegnete ich kühl.

"Gut", bekannte der Kopfgeldjäger und ließ mich nicht aus den Augen, als ich an ihm vorbei wieder die Schlucht hinunterlief. Aber das Stück Stoff, das ich hatte fallen lassen, bemerkte er nicht. Ich schickte ein Stoßgebet zu den Göttern, betete darum, dass der Wind es nicht davonpusten würde, bevor Ladon es fand.

Finde mich, Ladon.

Finde mich.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt