07 BUCH EINS - Cieran

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Kaum hatte ich es sicher zurück in die Burg und in mein Bett geschafft, begann ich, nachzudenken.

Darüber, was der Junge mit der Flammenaura gesagt hatte - die interessieren sich einen Dreck für uns.

Es beschäftigte mich, weil er Recht hatte. Meine Eltern taten überhaupt nichts, um der gravierenden Armut der Stadt etwas entgegenzusetzen.

"Die da unten", hatte mein Vater gesagt, "sind Abschaum. Zu kaum etwas anderem fähig als zu arbeiten und zu verrecken."

Ich war nicht seiner Meinung, aber was zählte das schon? Ich hatte sowieso nichts zu sagen. Und genau das war es auch, was mich hinaus getrieben hatte, hinaus in die dunklen Straßen des Armenviertels unterhalb der Burg. Der Wunsch, irgendwas zu tun, irgendwie zu helfen - aber viel erreichen konnte ich nicht.

Nachdem ich ohnehin nicht Einschlafen hatte können, stand ich auf, tapste zum Fenster hinüber und sah auf die karg beleuchtete Stadt unter mir hinunter. Ungefähr konnte ich erahnen, wo das Haus des Flammenjungen stand, dessen Namen ich immer noch nicht kannte.

Er misstraute mir, und bei den Göttern, ich konnte es verstehen. Wie seltsam mein plötzliches Auftreten auf ihn doch gewirkt haben musste. Aber wie hätte ich das sonst machen sollen? Keine Ahnung. Ich schüttelte demonstrativ den Kopf. Jetzt war es so, wie es war. Und in der nächsten Nacht würde ich einfach wieder hinuntergehen. Vielleicht würde er irgendwann Vertrauen zu mir fassen. Und vorher erzählte ich ihm besser weder von meiner Herkunft, noch von meiner Fähigkeit, seine Aura zu sehen.

Ich sah zum Mond hinauf, nur eine schmale Sichel am Nachthimmel. Noch etwa zwei Nächte, dann käme wieder der Neumond. Ich mochte den Neumond, in Neumondnächten war es am dunkelsten und ich hatte am wenigsten Angst, entdeckt zu werden und von den Wachen in den Palast zurück bis vor die Füße meines Vaters geschleift zu werden.

Nach einer Weile, die Sonne ging bereits am Horizont auf, versuchte ich wieder, zu schlafen, und irgendwann gelang es mir dann auch.


Ich hielt die Zeit und die langweiligen Hofzeremonielle über den Tag hinweg durch, trotz der Tatsache, dass ich die letzten Nächte wenig geschlafen hatte. Ich war aufgeregt, wollte den Unbekannten mit der Flammenaura wiedersehen.

So machte ich mich bereits kurz vor Sonnenuntergang wieder auf, nachdem ich mich umgezogen hatte. Die Klamotten hatte ich von einer Köchin, die zum Einkauf manchmal hinunter auf den Markt in der Stadt ging. Sie waren zwar alt und nicht zu viel zu gebrauchen, aber darin fühlte ich es, fühlte, wie die Armen sich fühlen mussten. Und dass ich etwas dagegen tun wollte. Der Händler, bei dem ich einen ganzen Sack voll Brot und etwas Hühnchenfleisch kaufte, betrachtete mich misstrauisch, ging offensichtlich davon aus, dass ich das Gold gestohlen hatte. Ganz falsch war das zwar nicht, ich hatte es einfach aus der Schatzkammer meines Vaters mitgehen lassen, aber am Ende war ihm ohnehin wichtiger, seine Waren zu verkaufen, als zu wissen, woher seine Kunden das Geld dafür hatten.

Mit dem Sack in der Hand machte ich mich auf den Weg zur alten Taverne, wich dabei einer Patrouille der Stadtwache aus, die sich mit ihrem lauten Poltern frühzeitig angekündigt hatte.

Dann stand ich auf dem Platz vor der Taverne und überlegte, ob ich nun wieder den Sack einfach vor der Tür lassen sollte. Aber nein, das sollte ich nicht. Ich musste auf jeden Fall wieder mit dem Jungen sprechen. Also atmete ich durch, nickte in mich hinein und ging hin zur Tür. Von drinnen hörte ich Kindergelächter, jemand schien gerade einen Witz gemacht zu haben. Als ich klopfte, verstummte das Innere des Gebäudes, wie ich erwartet hatte. Ich hörte überhaupt nichts mehr und fuhr deshalb erschrocken zusammen, als die Tür aufgerissen wurde.

"Du."

Das war er, die Flammen schlugen um seine Aura herum wie in der Nacht zuvor. Sein Blick, mit dem er mich musterte, hatte nicht im Geringsten an Misstrauen eingebüßt.

"Ich habe was mitgebracht...", hob ich an, bevor mir der Sack einfach aus den Händen gezogen wurde. Der Junge schloss die Tür hinter sich, blieb mit mir draußen, öffnete den Sack und begutachtete den Inhalt. "Woher nimmst du das Geld für all das?", fragte er, misstrauisch wie eh und je, aber ein Ton von Dankbarkeit schwang in seiner Frage mit.

Mutig hob ich den Kopf. "Das sage ich dir, wenn du mir deinen Namen verrätst!"

Der Junge schien kurz zu zögern, sah mir dann wieder in die Augen und antwortete: "Ladon. Und jetzt die Antwort. Woher hast du das?"

"Mein Vater ist ein Tagelöhner auf einer Farm außerhalb der Stadt", log ich kurz entschlossen. "Er bringt oft viele Überschüsse mit nach Hause. Jedenfalls nennt er es Überschüsse. Ich will gar nicht so genau wissen, woher die kommen."

Ladon nickte langsam, schien mir zu glauben, aber sein Misstrauen mir gegenüber nahm nur geringfügig ab.

"Weißt du, du musst mir nicht vertrauen", eröffnete ich ihm. "Das ist in Ordnung. Aber ich werde euch weiter Essen bringen, weil ihr es braucht. Dafür kann ich es in Kauf nehmen, dass du mich für einen Spion der Stadtwache hältst."

"Es tut mir leid", entgegnete Ladon und überraschte mich damit. Ich wusste gar nicht, was ich antworten sollte, als er bereits fortsetzte: "Ich muss das einfach sein. Ich kann uns und das, was wir hier haben, nicht in Gefahr bringen. Du könntest alles sagen und mich noch so sehr überzeugen und ich müsste immer noch vorsichtig sein."

Ich seufzte und nickte leicht. Aber ich würde meinen Plan durchziehen, jeden Tag wiederkommen, bis er irgendwann Vertrauen zu mir fand. Ich würde es schaffen.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt