45 BUCH DREI - Cieran

107 9 0
                                    

Ladon kam nicht dazu, zu antworten. Die Tür schwang auf und Atarah trat ein, ihr dunkles Haar wallte hinter ihr her wie vom Sturm verweht.

"Cieran!"

Ich fuhr in mich zusammen, als ich das Gesicht der Hereinstürmenden zuwandte.

"Atarah!", entgegnete ich dann etwas verstimmt, der Schmerz zog mir den Rücken hinab.

"Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, war ich mir nicht sicher, ob wir uns wiedersehen würden. Und selbst wenn - so hatte ich es mir sicher nicht vorgestellt!", meinte sie, schmunzelte amüsiert.

Kurz sah ich zu Ladon hinüber, als seine Hand sich aus meiner löste. "Sicher habt ihr viel zu besprechen, ich werde etwas Luft schnappen gehen", meinte Ladon, erhob sich aus dem Bett, zog sich ein Hemd über und verschwand dann durch die Tür.

"Du hast einen....interessanten Begleiter", bemerkte Atarah, nachdem sich die Tür hinter Ladon geschlossen hatte. Sie setzte sich zu mir auf die Bettkante und ich kam nicht umhin, ihre sanft gezogenen Gesichtszüge zu bewundern, die kaum zu ihren Oberarmen passten, unter denen Muskeln zuckten. Sie hatte das Bogenschießen also nicht aufgegeben.

"Ich hoffe, er hat keine Schwierigkeiten gemacht?", hakte ich nach, ein bitterer Geschmack stieg in meinem Rachen auf, als ich an meinen Traum zurückdachte. Tote im Drachenfeuer.

"Er war vielleicht ein klein wenig ruppig gegenüber den Heilern, die den Pfeil aus deinem Rücken entfernt haben. Aber im Großen und Ganzen hat er sich benommen", beruhigte Atarah mich und damit auch meine subtile Sorge, dass sie von Ladons anderer Seite wissen könnte.

"Was machst du in der Hauptstadt?", erkundigte ich mich bei Atarah, lenkte damit unmittelbar vom Thema ab.

Atarahs Augen füllten sich mit einem Wirrwarr aus Emotionen, als sie antwortete: "Ich kehre von einem Urlaub in Asarion zurück. Ich musste mal wieder etwas anderes tun, als bei Empfängen der Königin herausgeputzt und stundenlang lächelnd dazusitzen."

Ich sah sie verwirrt an, sie lachte und fügte hinzu: "Seit wir uns das letzte Mal sahen, hat sich viel getan."

"Warum hast du mir auf meinen letzten Brief vor sechs Monden nicht geantwortet?"

"Wie gesagt, viel hat sich getan. Ich bin jetzt verlobt."

Ich zog die Augenbrauen hoch. "Du? Mit wem denn?"

"Was soll das denn heißen? Bin ich deiner Meinung nach etwa nicht schön genug, um verheiratet zu werden?", setzte Atarah mit gespielter Empörung entgegen.

"Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe!"

"Vielleicht hätte ich dich damals auf dem Balkon nicht küssen sollen, das hat dir wohl den Kopf verdreht."

Ich errötete, hatte gehofft, dass sie das vielleicht bereits vergessen hatte. Dreizehn waren wir gewesen, sie hatte sich nichts dabei gedacht und ich hatte es nicht gewollt.

Aber sie hatte schon damals begriffen, dass ich mir nichts aus Romanzen mit Frauen machte. Generell nichts aus Romanzen. Gar nichts.

"Du lenkst ab. Ich habe dich gefragt, mit wem du verlobt bist!", wiederholte ich eindringlich, der kindliche, spielerische Ton in Atarahs Gesicht verblasste wieder.

"Mit dem Kronprinzen", antwortete sie knapp, musterte dann die steinerne Wand neben dem Bett.

Ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke.

Hustend und dabei fest die Augen zusammenkneifend wegen der Schmerzen, die dadurch in Schüben durch meinen Körper schossen, sagte ich: "Mit Levian?! Diesem arroganten Schnösel?!"

"Ich hatte nicht wirklich eine Wahl. Er gefällt mir nicht - ich sage dir, seine Persönlichkeit ist noch schlimmer geworden - und das Leben am Hof gefällt mir auch nicht. Deshalb lebe ich jetzt hier, in einem Anwesen nahe des Königspalasts."

"Du weißt, dass du immer zu mir nach Dy...", begann ich, dann brach ich ab. Dynion gab es nicht mehr. Für einen kurzen Moment hatte ich alles vergessen, mir vorgestellt, ich sei nur auf einem Anstandsbesuch in Illea.

"Was mit Dynion passiert ist, tut mir wirklich leid. Ich dachte, du wärst auch umgekommen, als vom Fund der Leichen der Clanfamilie berichtet wurde. Jeder dachte, du wärst auch tot. Jetzt ist dein Onkel nach Dynion zurückgekehrt, um seinen Platz als Oberhaupt einzunehmen und die Stadt wiederaufzubauen. Aber er wollte in wenigen Tagen wieder zurückkehren, dann werde ich ihn zu uns bitten!"

Ich ergriff die Chance nach Informationen zu fragen, die mir bisher gefehlt hatten. "Wer hat uns angegriffen?"

"Das ist ja das Unheimliche. Niemand weiß es. Keiner der Clans hat sich zum Angriff bekannt, jeder streitet - mal mehr mal weniger glaubwürdig - ab, etwas damit zu tun zu haben. Der König hat alle Hände voll damit zu tun, die Clans unter dem königlichen Banner zu halten."

Das war es also. Meine Familie, ausgelöscht innerhalb einer Nacht von unbekannten Angreifern.

"Es tut mir so leid, Cieran. Ich wünschte, ich wäre da gewesen."

"Du hättest nichts tun können", beruhigte ich sie.

Sie nickte nur und strich mir dann durch die Haare. "Wie geht es dir?"

Die Erkenntnis packte mich wie eine eiskalte Faust.

"Jede Bewegung tut weh und... ich spüre meine Beine kaum."

Besorgt schob Atarah die Decke über meinen Beinen etwas beiseite und strich mit ihren Fingerspitzen über mein linkes und dann mein rechtes Schienbein.

"Spürst du etwas davon?"

Aber da war nichts. Ich sah, wie ihre Finger meine Haut berührten, aber ich fühlte es nicht. Also schüttelte ich den Kopf.

Sie kniff mir fest in den Oberschenkel. Diesmal fühlte ich etwas, aber es war nur wie ein sanftes Zwicken, weit, weit entfernt.

"Nur ein bisschen."

"Das ist gut. Das Gefühl in deinen Beinen kommt bestimmt ganz zurück, wenn die Wunde verheilt. Gib dem nur ein bisschen Zeit."

Dieselbe Unsicherheit, wie sie tief in mir ihr Unwesen trieb, hörte ich auch aus Atarahs Stimme heraus, obwohl sie sich äußerlich nichts anmerken ließ.

"Ich werde dich nun noch ein wenig schlafen lassen, es sind noch einige Stunden bis zum Sonnenaufgang. Morgen kannst du mir dann erzählen, wie ihr hierhergekommen seid. Schlaf gut!"

Sie erhob sich von der Matratze, die sich nach Verschwinden ihres Gewichts auf einmal seltsam hoch anfühlte.

Mit einem flauen Gefühl im Magen ließ sie mich zurück, kurz darauf kam Ladon wieder hinein.

"Was wollte sie?"

Misstrauen in Ladons Stimme. Misstrauen und Ablehnung. Er vertraute Atarah nicht, er mochte sie nicht, und bereits das tat mir weh.

"Sie wollte nur reden, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen...", versuchte ich, ihm zu erklären.

"Ah", antwortete Ladon, zog sich sein Hemd über den Kopf, pustete zwei Kerzen auf seinem Nachttisch aus und legte sich neben mich, den Blick starr auf die Decke gerichtet.

"Du kannst ihr vertrauen, sie ist in Ordnung. Ich kenne sie schon Ewigkeiten", versuchte ich noch einmal, ihn zu beruhigen. Mit mäßigem Erfolg. Doch Ladon atmete tief durch, dann drehte er sich zu mir um.

"Ja, habe ich."

"Was hast du?", fragte ich verwirrt.

Dann legte Ladon eine Hand um meinen Hinterkopf und küsste mich.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt