71 BUCH VIER - Ladon

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Ich schwieg für einen Moment, überlegte, wo ich anfangen sollte und betrachtete dabei Cierans und meine Hände. Schließlich beschloss ich, einfach mit meinen Eltern anzufangen.

"Mein Vater war ein armer Minenarbeiter aus dem Norden Gorians. Mehr gibt es zu ihm eigentlich auch nicht zu sagen. Er fand meine Mutter völlig erschöpft und verletzt in einer Höhle nahe der Minen. Sie versteckte sich dort, da man sie jagte."

"Sie war ein Drache, oder?", warf Cieran dazwischen und ich nickte.

"Mein Vater nahm sie mit in seine Hütte und kümmerte sich dort um sie, obwohl er selbst kaum genug zum Leben hatte. Und wie es das Schicksal wollte, verliebten sie sich..."

Ich unterbrach mich kurz, sah Cieran in die Augen und erinnerte mich daran, wie ich ihn in der Höhle gesund gepflegt hatte. So musste es meinem Vater damals auch gegangen sein, als er Mutter pflegte.

"Meine Mutter blieb bei ihm, verließ seine Hütte jedoch nur selten. Meist in der Nacht und bei Neumond. Und schließlich wurde sie mit mir schwanger. Als ich geboren wurde, war es die dunkelste Nacht, die er jemals gesehen hatte, zumindest hat mein Vater es mir so immer erzählt. Und er meinte, sie seien überglücklich gewesen, trotz des ewigen Versteckspiels, das sie wegen des Drachenblutes meiner Mutter und nun auch mir spielen mussten."

"Also hast du dich schon immer verwandelt?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein, die erste Verwandlung eines Drachen setzt zwischen dem zwölften und dreizehnten Lebensjahr ein. Doch meine Mutter wusste es, noch bevor ich überhaupt geboren wurde. Sie hat es gespürt, hat mein Vater immer gesagt, sie hat gespürt, dass auch ich ein Kind des Feuers bin. So wie sie."

Ich unterbrach mich kurz, holte etwas Atem, um nun mit dem traurigen Teil der Geschichte meiner Eltern fortzufahren.

"Was ist mit ihr passiert?", fragte Cieran vorsichtig, sah mir wohl an, dass ich nicht gern darüber sprach.

"Knapp ein Jahr nach meiner Geburt hat man sie aufgespürt. Die Jäger, die sie schon gejagt hatten, als sie meinen Vater kennenlernte, hatten ihre Spur erneut aufgenommen. Sie ist gegangen, um meinen Vater und mich zu schützen, hat die Jäger von mir weggelockt. Doch sie kehrte nie zurück..."

Cieran drückte meine Hände ein wenig, stellte seine nächste Frage zögernd.

"Also ist sie gestorben?"

"Ich weiß es nicht. Niemand tut das. Ich weiß nur, dass sie nie zurückgekehrt ist, ob sie nun tot ist oder nicht. Mein Vater hat mich alleine aufgezogen, hat sich nie auch  nur mit einer anderen Frau eingelassen, soweit ich mich daran erinnern kann. Er brachte mir so viel bei, wie er konnte, erzählte mir auch immer wieder alles, was er über Drachen wusste. Es war nicht viel, nur das, was er von meiner Mutter erfahren hatte, aber besser als nichts. So wusste ich wenigstens ein kleines bisschen darüber, wer ich war.
Aber als ich fünf war, wurde er krank. Jeden Tag wurde er schwächer, schleppte sich zur Arbeit, nachdem er mich jeden Morgen fest in seinen Armen gehalten hatte. Er wusste, dass jeder Tag sein letzter sein könnte, selbst mir mit meinen gerade einmal fünf Jahren ist das irgendwann klar geworden. Eines Abends ist er nicht nach Hause gekommen. Ich habe die ganze Nacht gewartet, gehofft, dass er einfach nur länger als gewöhnlich arbeitet. Bis am Morgen einige Minenarbeiter kamen und die Hütte geplündert haben. Mich haben sie vertrieben, als wäre ich ein Straßenhund. Ich hatte nichts mehr, keine Eltern, kein Zuhause. Einige Wochen bin ich ziellos durch die Gegend gelaufen, habe heimlich in Scheunen übernachtet und mich in den Schlaf geweint.
Durch Zufall habe ich gehört, wie ein paar Wanderer darüber sprachen, nach Dynion zu gehen und habe mich daran erinnert, dass mein Vater immer sagte, er wollte irgendwann einmal mit mir dorthin, eine neue Arbeit finden und dort leben unter den vielen Menschen, hinter den schützenden Mauern. Also bin ich den Wanderern hinterher bis nach Dynion."

Erneut drückte Cieran meine Hände, zeigte mir, dass er für mich da war. Noch nie hatte ich jemandem so detailliert über meine Eltern erzählt, schon gar nicht vom Tod meines Vaters. Nicht einmal Varric und Asena hatten so viel gewusst, wie Cieran nun wusste.

Varric und Asena.

Die Waisenkinder.

Das Feuer. Die Schreie. Der Tod.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als die Erinnerungen wieder hochkamen. Zum zweiten Mal an diesem Tag und durch meinen sowieso schon aufgewühlten Zustand nur noch stärker.

Ich zog meine Hände zurück, sank auf dem Stuhl zusammen. Die Bilder verfolgten mich, die Schreie verfolgten mich. Mir wurde schlecht.

"Ladon, was hast du?"

Cierans Stimme war die Sorge selbst, ebenso sein Blick, dem ich entnahm, dass ich schrecklich aussehen musste. Dennoch schüttelte ich den Kopf.

"Nichts. Ich glaube, die Reise hat mich doch etwas mehr strapaziert, als anfangs gedacht."

Mein Magen krampfte sich nur noch mehr zusammen, als ich Cieran ins Gesicht log. Aber ich wollte es ihm nicht sagen. Er hatte selbst genug Sorgen, einen Kopfgeldjäger, einen verräterischen Onkel, eine Mordanklage und einen beginnenden Krieg. Ihn mit meinen Sorgen noch zusätzlich zu belasten, wollte ich einfach nicht. Deshalb schluckte ich den sauren Kloß in meinem Hals so gut es ging herunter.

"Am besten legst du dich hin und ruhst dich aus. Komm, ich helfe dir."

Cieran stand auf, reichte mir seine Hand. Schwerfällig ergriff ich sie, zog mich daran auf die Beine. Mein Magen protestierte, doch ich riss mich zusammen, versuchte die Bilder aus meinem Kopf zu verbannen.

Wir gingen in meine Kammer, die an Cierans Gemach angrenzte. Ich sah mich nicht einmal richtig um, wollte eigentlich nur noch alleine sein. Cieran begleitete mich zum Bett, wo ich mich setzte.

"Morgen geht es dir sicher wieder besser", meinte Cieran, drückte meine Hand und beugte sich zu mir herunter, gab mir einen flüchtigen Kuss.

Ich erwiderte seinen Kuss kaum, spürte meinen Magen sich erneut zusammenkrampfen, als wieder die Bilder der verbrannten Kinderleichen durch meinen Kopf zuckten.

"Gute Nacht", flüsterte Cieran, bevor er meine Kammer verließ und die Tür hinter sich schloss. Ich zwang mich zu einem kurzen Lächeln und war erleichtert, als ich endlich alleine war.

Wieder und wieder zuckten die schrecklichen Bilder durch meinen Kopf, sorgten für eine neue Welle der Übelkeit, die drohte, meinen Mageninhalt wieder nach draußen zu befördern.

Ich lauschte nach draußen in Cierans Gemächer, hörte jedoch nichts, wahrscheinlich war Cieran schon eingeschlafen.

Die Schreie der Kinder hallten in meinen Ohren wider, gaben mir endgültig den Rest. Gerade noch schaffte ich es zu der Schüssel, die in der Ecke gegenüber des Bettes stand, bevor ich mich übergab. Wieder und wieder, bis mein Magen sich völlig entleert hatte.

Mein Erbrochenes stank widerlich, doch ich nahm es kaum wahr, wollte einfach nur, dass diese furchtbaren Erinnerungen für immer verschwanden.

Heiße Tränen liefen über meine Wangen, als ich eine Weile später im Bett lag, den sauren Geschmack von Erbrochenem noch immer im Mund. Nur langsam ließ die Übelkeit nach, die Wiederholung der Bilder und Schreie meiner Erinnerungen jedoch leider nicht. So weinte ich mich in einen unruhigen Schlaf, fühlte mich dabei so einsam und schrecklich wie damals, als ich meinen Vater verloren hatte.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt