15 BUCH EINS - Adrastos

160 15 8
                                    


Wie eine Kraterlandschaft lag die ausgekohlte Ruinenstadt da, vereinzelt drang noch Rauch aus verschiedenen Glutnestern, Gestank von Verwesung, Tod, Schmerz lag in der Luft. Angewidert rümpfte ich die Nase. Wenigstens meine Hunde schien es nicht so sehr zu stören wie mich. Hin und her rannten die zwei zwischen den von Ruß schwarz gewordenen Trümmern, versuchten, eine Spur aufzunehmen.

Mein eigener Geruchssinn ließ mich im Stich, der menschliche Körper limitierte meine Fähigkeiten.

"Mein Herr, bitte helft mir! Meine Tochter, sie liegt unter dem Schutthaufen da!"

Eine Frau störte meine Konzentration, wies völlig verwirrt auf einen großen Haufen Trümmer, aus dem es in dichten Schwällen hervorqualmte. 

"Bitte, bitte!", schrie sie mich an, ihre aufdringliche Art stieß mich ab.

"Unter dem Haufen findest du allerhöchstens noch ihre Leiche", klärte ich sie kalt auf, womit ich nur einen Weinkrampf auslöste. "Und jetzt lass mich in Ruhe."

Da die Frau keine Anstalten machte, sich aus meinem Radius zu entfernen, tastete ich innerlich nach dem Feuer in mir. Ich fand es, entflammte es, nur ein wenig Zorn war dazu nötig. Und von dem hatte ich genug. Ich spürte, wie mein Gesicht sich ruckartig verformte, die Ansätze eines Drachenkopfes bildeten sich, mit denen ich die Frau anbrüllte.

Die riss vor Angst die Augen weit auf, stolperte nach hinten, suchte dann endlich das Weite. Ich konnte mich wieder konzentrieren.

Kurz darauf befand ich mich zwischen den eingestürzten Burgmauern. Die Leichen der Familie hatte man bereits aus den Trümmern geborgen, das hatte mir eine Wache berichtet, die nun, wie hunderte andere, herrenlos umherstreiften, Dörfer und Felder plünderten, ohne eine lenkende Kraft. Chaos, genau das Chaos, das den Jungen hoffentlich aus seinem Versteck treiben würde. Denn der lebte noch. Seine Leiche war nicht hier, es war nicht schwer gewesen, Kleidung von ihm in der Wäscherei aufzutreiben und die Hunde eine Spur aufnehmen zu lassen. Diese führte aus der Burg hinaus. Was hatte ihn hinausgetrieben? Vielleicht hatte er einfach Angst gehabt, Menschen konnten irrational und dumm handeln, wenn sie Angst hatten.

Mit meinem Wetzstein schärfte ich mein Messer, während ich mir langsam einen Weg hinab in die Überreste des Armenviertels bahnte, immer meinen Hunden hinterher. Ich musste mich nicht beeilen. Es mangelte dem jungen Cieran an Erfahrung, um irgendwo in der Wildnis zu überleben. Er würde also nicht weit kommen, falls die Hunde seine Leiche nicht ohnehin bald unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses wittern würden. Ich hoffte fast, dass er noch lebte. Ich liebte die Herausforderung. Zufrieden lächelte ich, als meine Hunde hektisch zu bellen begannen.

Das Grinsen verschwand aus meinem Gesicht, hinfortgeweht wie vom sanften Herbstwind. Ich war der Spur weiter gefolgt, bis zu einer Leiche. Leichen hatte ich hier bereits mehrere gefunden, aber diese war anders. Der Mann, zu dem sie gehörte, war nicht Opfer des Brandes geworden. Grob drehte ich ihn mit dem Stiefel auf den Rücken, ging neben ihm in die Hocke, legte eine Hand auf seinen Hals. Aufgerissen von Klauen. Klauen, die seine eigenen hätten sein können. Ein neues Interesse erwachte in mir. Wer war Cieran wirklich?

Die Hunde liefen weiter die Straße entlang, tiefer ins Armenviertel hinein, wo beinahe alle Häuser zerstört waren. Weshalb war Cieran dem Chaos entgegengelaufen? Selbst in panischer Angst würde ein Mensch genau in die entgegengesetzte Richtung laufen.

Ich stoppte kurz, meine Gedanken kreisten um den Leichenfund. Ein Mensch würde weglaufen, aber jemand wie ich vielleicht auch nicht. Und wenn ich die Krallenspuren an der Leiche richtig deutete, gab es hier noch jemanden wie mich. Der Fährte meiner Hunde nach zu urteilen war es vielleicht sogar der junge Cieran selbst.

Zwischen den Überbleibseln eines großen Hauses rannten die Hunde hin und her, blieben immer wieder stehen, blickten zu mir und bellten. Der Junge war hier gewesen. Oft. Als ich einen weiteren Schritt nach vorne tat, kollidierte mein Fuß scheppernd mit etwas metallischem. Ich sah zu Boden, beugte mich hinunter und wog das Schild in meinen Händen, das dort gelegen hatte.

Es war das zu großen Teilen verrostete, und nun mit Ruß überzogene Schild einer ehemaligen Taverne. "Zum Heulenden Wolf", las ich laut den Namen vor, dann grinste ich. Der Junge war nah. Und er hatte keine Chance, egal, wer er wirklich war.

Legenden von Patria - Flammendes BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt