Kapitel 8

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Zuhause angekommen legte ich mich sofort in mein Bett und rang erstmal tief nach Luft. Warum hatte Joner mich angesprochen? Ich hasse ihn. Wenn ich an die Zeit mit ihm zurückdenke würde ich mich am liebsten einmal selbst ohrfeigen. Ich war so dumm und hatte ihm vertraut! Ich regte mich noch eine Weile über ihn auf, bis mein Handy klingelte. Ich hatte eine Nachricht von meiner Mutter erwartet, war daraufhin jedoch erstaunt, dass sie nicht von ihr war. Sie war von Noah. „Wollen wir raus?“, fragte er. In dem Moment brauchte ich frische Luft. Ich musste raus. Seine Frage kam zum richtigen Zeitpunkt. „Ja“, antwortete ich. „Ich stehe vor deiner Haustür“, schrieb er zurück. Erstaunt rannte ich ans Fenster und er stand dort tatsächlich. Schnell zog ich mir meine Schuhe an und ging aus dem Haus. Der Geruch seines Blutes kam mir mit dem Wind entgegen. Ich musste mich beherrschen. Ohne etwas zu sagen liefen wir los. Still folgte ich ihm. „Noah, wohin gehen wir?“, fragte ich schließlich. „Folg mir“, sagte er. Ohne auch nur meinen Mund ein weiteres Mal zu öffnen, lief ich weiter hinter ihm her. Wir liefen durch den Wald, überquerten einige Kanäle und blieben dann auf einer weiten Wiese voller strahlender Blumen stehen. Der Anblick raubte mir den Atem. „Es ist so schön“, sagte ich erstaunt. Noah nickte zufrieden. „Ich wusste, dass es dir gefällt.“ „Aber warum hast du mich hergebracht?“, fragte ich ihn. Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht...“ Meinte er es ernst? Hatte er mich einfach hergeführt ohne zu wissen, wieso er es tat? Seine Gedanken konnte ich ja leider nicht hören, worüber ich mich manchmal ärgerte. Er legte sich mit dem Rücken ins Feld und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Ich tat dasselbe. Während ich in den Himmel sah, vergaß ich alles. Ich vergaß, dass Noah neben mir lag, dass ich Vampir bin. Es war ein wundervoller Moment. Hier hörte ich keine Gedanken, keine Unterhaltungen, die mich nicht interessierten oder Geräusche, die ein Mensch niemals bemerken würde. Ich hörte nur die Blumen und Bäume rascheln, wenn Wind wehte, die Vögel zwitschern und Noahs Atmen. So sehr ich mich auch darüber ärgern mag, dass ich seine Gedanken nicht lesen kann, bin ich dennoch glücklich, weil ich bei ihm sein kann, wie ein normaler Mensch. „Woran denkst du?“ fragte er mit seiner sanften Stimme und drehte seinen Kopf zu mir. Ich legte meinen Kopf auch seitlich, sodass ich ihn sehen konnte. „An nichts. Du?“ „Auch. Ich finde bei so was kann man einfach an nichts denken. Oder es geschieht unbewusst.“ Ich stimmte ihm zu. „Danke, dass du mir diesen Ort gezeigt hast.“ „Ich wollte ihn schon lange jemandem zeigen, nur ich wusste nicht wem“, gestand er. Wir lagen noch eine Weile stumm nebeneinander bevor wir uns auf den Weg zurück machten. „Wollen wir zur Bibliothek?“, fragte er. Ich sah ihn verwundert an. „Gehst du immer zur Bibliothek?“ Er nickte. „Ein weiterer Ort, an dem Stille herrscht, die ich brauche.“ „Na gut, lass uns zur Bibliothek“, sagte ich und lächelte. Noah musste ebenfalls lächeln. Den restlichen Nachmittag verbrachten wir dann zwischen Schränken voller Bücher und sprachen über die Autoren, die wir am meisten mochten. Welche unsere Lieblingsbücher sind, kam dabei auch zur Sprache. Unsere Geschmäcker ähneln sich sehr. Er liebt
ebenfalls Romane, glaubt aber nicht daran, dass so was wirklich passieren könnte. „Die Hoffnung hab ich schon längst aufgegeben“, hatte er gesagt, woraufhin ich ihm zugestimmt hatte. Abends brachte er mich bis zur Haustür. „So habe ich dich noch nie erlebt“, sagte er. Ich sah ihn verwirrt an. „Wie meinst du das?“ „Du warst heute so offen, nicht wie sonst immer.“ Als er es sagte wurde es mir auch klar. Ich war anders heute, eher so wie früher immer. „Es war einmalig“, sagte ich kalt, wie sonst immer. Ich lief, ohne mich von ihm zu verabschieden, ins Haus. „Chloe, wo warst du?“, fragte meine Mutter, als ich dabei war in mein Zimmer zu gehen. „Unterwegs mit einem Freund. Ich will jetzt schlafen. Gute Nacht!2, sagte ich und verschwand dann rauf in meinem Zimmer. Da ich morgen keine Schule hatte hörte ich noch ein wenig Musik, bis ich einschlief. Am nächsten Morgen erwachte ich erst sehr spät. Müde rieb ich mir die Augen und rappelte mich auf. Als ich aufstand überfiel mich ein Schwindelgefühl. Blut, ich brauchte wieder etwas Nahrung. Ich zog mir schnell eine Hose an und einen Pullover, dann verließ ich auch schon das Haus und rannte zum Krankenhaus. Die Menschen sahen mich verwirrt an. Ich ignorierte es. Das einzig Wichtige für mich war, dass ich Blut brauchte. Im Krankenhaus zog ich den Schlüssel zum Zimmer heraus, in dem Blut ist, und dann war ich nur noch einen Dreh des Schlüssels, um die Tür zu öffnen, vom Blut entfernt. Es kam jedoch nicht dazu, da mir jemand auf die Schulter tippte. Verängstigt drehte ich mich um und sah daraufhin in ein verwirrtes Gesicht eines Arztes. Wütend zog ich ihn am Kragen mit ins Zimmer. Zur Sicherheit schloss ich noch die Tür, woraufhin ich mich dann verärgert auf den Arzt zubewegte. „Warum kamen sie?“, fragte ich. Ich bekam einen schrecklichen Durst. Sein Blut roch verführerisch gut. „Sie dürfen dieses Zimmer nicht betreten“, sagte er hart, um nicht ängstlich zu wirken, doch an seinen Gedanken merkte ich sofort, dass er sich fürchtete, vor mir. Ich stürzte auf ihn, drückte ihn gegen die Wand und stoß meine Zähne in seinen Hals. Ich trank ihn leer, bis auf seinen letzten Bluttropfen. Als ich fertig war, ihn bis auf den letzten Tropfen leergetrunken hatte, setzte ich mich zu seiner Leiche runter und lehnte mich an die Wand. „Das wollte ich nicht“, flüsterte ich erniedrigt. Ich war hier hergekommen, um niemanden töten zu müssen. Ich muss mich beherrschen, sonst ist bald die ganze Stadt menschenleer und nur voller Leichen, die von mir leergetrunken wurden. Eine Träne floss mir die Wange hinunter. Ich wischte sie weg. Wieso musste ich zum Vampir werden?

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