2. Kapitel

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Das Training geht weiter, Mister Johnson verschwindet und schon bald stehen wir auf dem Eis. Warm sind unsere Muskeln schon die ganze Zeit, also lässt Coach Warren und nicht mehr als die Zeit, bis alle auf der Fläche sind, um uns wieder an diesen Untergrund zu gewöhnen. Allerdings ist das auch nicht notwendig. Jeder von uns läuft auf Eis so sicher, wie auf normalem Asphalt. Meistens jedenfalls. Wir fangen mit Torschüssen an. Ich lasse mich in Liams Richtung gleiten, schnappe mir auf den Weg dahin einen der Pucks, die hier überall herum liegen, aber er hält meinen Schuss. Pech für mich, gut für ihn.

Die Neuen sind gut. Anders kann man das nicht sagen. Es gab auch schon Jünglinge, die nach ein paar Tagen wieder weg waren, aber ich glaube Ian und der Andere haben ganz gute Chancen im Team zu bleiben. Ich darf nur nicht vergessen, dass jedes Spiel mein letzten sein könnte. Die Transferperiode stresst uns alle in einem gewissen Maß. Man gewöhnt sich irgendwie daran, aber sicher ist man erst, wenn der letzte Tag dieser Zeit um ist. Und dann auch nur maximal für ein halbes Jahr.

Ausgelaugt, verschwitzt und durstig schleppen wir uns am frühen Abend zurück in die Umkleidekabine. Die Ausrüstungen ausziehen geht zum Glück schneller, als sie anzuziehen, also dauert es nur wenige Minuten, bis wir alle in der großen Gruppendusche stehen und uns den Schweiß herunter waschen. „Ist Coach Warren immer so gnadenlos?" fragt der zweite Neue, dessen Namen ich immer noch nicht weiß, halb im Spaß, halb ernst gemeint. Liam und ich sehen uns verwundert an. „Heute war es sogar ziemlich erträglich." antwortet Zayn ihm. Alle anderen hier haben genau das auch gedacht. Gut, alle bis auf Ian vielleicht. Der Neue lacht kurz und greift dann zu seinem Shampoo. Ihm ist anzusehen, dass er gerade erst verstanden hat, wie hart es wirklich ist, in der NHL zu spielen. Was wohl passiert, wenn Warren mal richtig hartes Training ansetzt?

Ob der Junge durchhalten wird, wird sich zeigen, mein Ziel ist es nach wie vor, in die erste Reihe zu kommen. Ich wäre zwar schon glücklich, in der Zweiten zu spielen, aber nichts geht über das Gefühl, wenn die Aufstellung vor dem Spiel bekannt gegeben wird und die Zuschauer und Fans des Teams, deinen Nachnamen rufen. Ich durfte das erst ein paar Mal erleben. Man kann diese Spiele an einer Hand abzählen, aber ich bin zuversichtlich, dass sich das diese Saison ändern wird.

Als die meisten aus der Dusche raus sind und sich anziehen, kommt Drew in die Umkleide. „Du trägt einen Anzug?" fragt Zayn verwundert. „Warum denn das plötzlich?" - „Es gibt ein kurzfristiges Meeting." antwortet er nur knapp. „Morgen früh ist eine Konferenz angesetzt worden. Die Presse wird da sein, ihr wisst, was das heißt." - „Zieh dich vernünftig an." meine ich schnell, als ich Ians fragenden Gesichtsausdruck sehe. „Seit pünktlich. Um viertel vor neun treffen wir uns. Danach ist ganz normal Training." gibt er Bescheid und verlässt den Raum dann wieder. „Bis morgen."

Einer nach dem anderen verlässt die Kabine. Nur ich finde meinen blöden Schlüssel für den Spind natürlich nicht. Keiner hier klaut, das steht außer Frage, aber das Türschloss ist seit einiger Zeit kaputt und im Prinzip könnte hier jeder ein uns aus gehen, wie er möchte. Wir sind also angehalten worden, unsere Wertsachen wegzuschließen. Die Schlüssel geben wir Drew, jeder hat eine Nummer darauf, sodass wir sie nicht verwechseln. „Soll ich dir noch suchen helfen?" fragt Liam, der inzwischen mit mir der letzte hier ist. „Nein, schon gut. Der Schlüssel kann ja nicht weit sein." winke ich ab und er nickt. Plötzlich ist es still im Raum. Selten habe ich es hier so ruhig erlebt. Ich seufze und sehe mich um. Habe ich den Schlüssel nicht vorhin auf die Bank gelegt?

„Das darf doch nicht wahr sein." murmle ich und hocke mich hin, um unter die Bänke zu schauen. Plötzlich räuspert sich hinter mir jemand und ich zucke zusammen, ehe ich schnell herumfahre und aufstehe. „Kann ich irgendwie helfen? Also beim Suchen?" werde ich gefragt und blicke den Mann für einen Moment verwirrt an. Er steht im Türrahmen und sieht sich kurz um, ehe sein Blick wieder zu mir schwenkt. „Wer sind Sie?" frage ich stattdessen. „Das hier ist die Umkleide der Spieler und ich bin nicht sicher, ob jemand wie sie hier sein darf." erkläre ich schnell. „Jemand wie ich?" - „Ein Fan, ein Zuschauer." erwidere ich und mustere ihn. Ich habe ihn hier noch nie gesehen und wie bereits erwähnt, kann jeder der möchte, durch die Tür spaziert kommen.

„Du suchst nicht ganz zufällig einen Schlüssel oder?" - „Bitte?" Oben auf dem Regal mit dem Spind liegt einer, aber ich schätze, das kann man nur sehen, wenn man über 6''0 groß ist." Ich sehe ihn kurz an. Das ist er definitiv. So groß, meine ich. Außerdem fällt mir in diesem Moment auf, dass er in etwa so alt sein müsste wie ich. Plus minus ein, zwei Jahre. Er hat lange Beine, sehr lange Beine, aber vielleicht liegt das auch nur an dieser schwarzen Stoffhose die er trägt. Normalerweise finde ich diese Art Kleidung eher nicht so schön, aber ihm steht sie irgendwie. Er sieht wieder kurz zu dem Regal. Wenn der Schlüssel wirklich dort liegt, ist es vielleicht einfach Glück, dass sich jemand hierher verirrt hat, der ihn sehen kann. Ich hingegen bin nicht so groß und als ich auf das Regal greife, ertaste ich tatsächlich den Schlüssel.

„Danke." sage ich schnell und sperre den kleinen Spind auf. „Sicher." Er verschwindet wieder. Ein bisschen merkwürdig war das ja schon gerade. Auf dem Weg nach Hause geht mir diese kurze Begegnung nicht aus dem Kopf. Wer war der Kerl? Bestimmt ist er wirklich nur ein Zuschauer, immerhin prangt auf dem Gebäude groß das Logo von Tampa Bay Lightning.

Kurz überlege ich Liam anzurufen, und ihm zu erzählen, was geschehen ist, aber je länger ich darüber nachdenke, desto unnötiger kommt es mir vor. Dann war eben kurz ein Zuschauer im Gebäude, na und? Eigentlich ist das eher unerwünscht, es soll nicht zur Normalität werden, aber der Kerl war freundlich, hat mir außerdem geholfen und ist danach auch wieder gegangen, wieso also deswegen Stress machen? Dennoch bleibt die Frage in meinen Gedanken, ob ich ihn hätte fragen sollen, wie er darauf kommt, einfach durch die Tür zu spazieren; ganz egal, ob sie aufgeschlossen war oder nicht. Seufzend steige ich vom Rad ab, als ich Zuhause bin und schließe es an dem Straßenschild ein paar Meter weiter an. Fahrradständer gibt es hier nicht und ich habe absolut keine Lust, es jeden Morgen aus dem Fahrradkeller, den ich kaum jemand nutzt, nach oben zu tragen. Danke, aber nein danke.

Nach dem Abendessen, was aus den Resten von gestern bestand, suche ich mir passende Kleidung für morgen raus. Es muss kein Smoking sein, aber ein Hemd und ein Jackett sollten wir schon tragen. Dazu suche ich die schwarze Stoffhose raus, die nicht allzu unbequem ist, aber auf eine Krawatte oder Fliege werde ich verzichten. Normalerweise ist es auch in Ordnung und Jeans und Hemd dort zu erscheinen, aber es ist die erste offizielle Pressekonferenz der Saison, sie wird besondere Aufmerksamkeit erregen.

Am nächsten Tag fahre ich tatsächlich etwas zu früh, statt etwas zu spät los. Ich bin nicht scharf darauf wieder zu spät zu kommen, denn wenn Coach Warren einen auf dem Kieker hat, dann hat man es nicht leicht. Einschleimen funktioniert bei ihm nicht, er mag Disziplin und Anstand, das lernt man schnell, wenn man ins Team aufgenommen wird. Liam, Zayn und viele der anderen sind auch schon da; die beiden Neulinge wohl schon seit zehn Minuten. Liam und Zayn und ich stehen mit den anderen Spielern an der Seite. Mister Johnson spricht noch mit Drew. Außerdem ist der Mann da, der für die Werbung und alles was damit zusammenhängt, zuständig ist. Wir Spieler haben nicht viel mit ihm zu tun, er arbeitet viel von seinem Büro aus und nicht von hier. Außerdem sind noch ein paar andere Mitarbeiter hier; der Sicherheitschef, der Kerl, der für alles was mit Geld zu tun hat, das sagen hat, Coach Warren natürlich und einige andere.

Die Journalisten werden um neun Uhr reingelassen. Als ich wieder nach vorne zu dem langen Tisch blicke, an dem die meisten des Vereins (außer uns Spielern natürlich) Platz genommen haben, fällt mir jemand auf. Noch sehe ich ihn nur von hinten, aber er kommt mir bekannt vor. Wo habe ich diesen Kerl nur schon einmal gesehen? Er dreht sich wieder nach vorne, lacht anscheinend und meine Augen werden groß.

Verdammt, das ist der Typ von gestern.

„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen." schmunzelt Liam, aber ich reagiere erst gar nicht. Der Typ, den ich bis gerade noch für einen stinknormalen Zuschauer gehalten habe, sitzt vorne neben Mister Johnson. Oh Fuck, das ist gar nicht gut. Mein Mund wird trocken und meine Handflächen fangen an zu schwitzen. Ich gehe einen Schritt zurück und hoffe, in der Gruppe unterzugehen. „Louis?" - „Alles gut." antworte ich meinem Kollegen etwas zu schnell und unterdrücke den Drang, den Raum zu verlassen. 

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Wer das wohl ist? Schwierig, Schwierig. Da hat Louis wohl eine richtige Glanzleistung hingelegt. Meint ihr, er wird gehen oder tut er doch weiter so, als wäre nicht? 

Love, L 

LightningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt