8. Medien

504 13 4
                                    

Am späteren Abend nahm ich vor dem Fernseher Platz – selbstverständlich nur aus Langeweile, wie ich mir selbst einredete. Ich fand die Talkshow, in der Valentin zu Gast sein sollte. Die ersten zehn Minuten waren ermüdend, weil der Moderator lediglich irgendwelche mäßig witzigen Storys zum Besten gab. Ich war gerade kurz vorm Einschlafen, da kündigte er endlich Valentin an: "Ich möchte nun einen Gast begrüßen, auf den ich mich sehr freue. Wahrscheinlich kennen ihn die meisten, er ist erfolgreicher Schauspieler und Model, kommt aus einer ebenso erfolgreichen Familie und wird uns heute unter anderem von einem sehr interessanten Projekt berichten. Begrüßen Sie bitte Valentin Löwenstein!" Das Publikum applaudierte, Valentin betrat das Studio, winkte kurz ins Publikum, begrüßte den Moderator und ließ sich dann auf das bereitstehende Sofa fallen. Er sah gut aus, aber für seine Verhältnisse außergewöhnlich brav, in Röhrenjeans und Jeanshemd und er wirkte überhaupt nicht aufgeregt. Wenn ich dort sitzen würde, wäre ich vor Aufregung vermutlich nicht in der Lage, auch nur ein Wort herauszubringen. Valentin hingegen lächelte freundlich in die Kamera, bedankte sich für die Einladung und scherzte mit dem Moderator. "Ich hab mal gehört deine Freunde nennen dich nur Val, stimmt das?" Wollte der Moderator wissen. "Ja, Val oder manchmal auch Vally", antwortete Valentin scheinbar gut gelaunt. "Und wie möchtest du von mir angesprochen werden?" Valentin lachte und zuckte mit den Schultern. "Such dir was aus, du kannst mich nennen wie du willst, ich höre auf alles!" So nett war er in seinem Privatleben definitiv nicht - jedenfalls nicht mir gegenüber. Womöglich hatte er aber auch einfach nur von klein auf gelernt, sich der Öffentlichkeit perfekt zu präsentieren. Ich seufzte und konzentrierte mich wieder auf das Interview. "Was machst du aktuell? Können wir dich irgendwo auf der Kinoleinwand bewundern?" Fragte der Moderator. "Momentan nicht, der nächste Film, in dem ich mitspielen durfte, erscheint im Januar und dann drehe ich auch wieder. Es stehen auf jeden Fall einige interessante Sachen auf dem Plan für nächstes Jahr." "Du hast schon in vielen Filmen mitgespielt, zuletzt in zwei Arthouse-Filmen, wenn ich richtig informiert bin. Was reizt dich daran?" Valentin schien kurz zu überlegen, bevor er sprach. "Ich langweile mich recht schnell und ich will nicht in irgendeine Schublade gesteckt werden. Filme sind für mich in erster Linie Kunst, ich denke, die Filme die du gerade angesprochen hast, zeichnen sich vor allem durch ihre Ästhetik und eine starke Bildsprache aus und ich hatte die Gelegenheit, mit tollen Regisseuren zusammenzuarbeiten, dafür bin ich sehr dankbar. So viel dazu, aber im Januar gibt es dann wieder einen Film, der vielleicht etwas mehr dem Mainstream entspricht." Gebannt starrte ich auf den Fernseher. "Beeindruckend, ich bin auf jeden Fall gespannt", meinte der Moderator. Valentin lächelte. "Themenwechsel: als ich neulich auf deinem Instagram-Profil war, ist mir, neben ziemlich vielen wirklich tollen Fotos - du siehst ja wahnsinnig interessant aus - auch aufgefallen, dass du dich für mehrere wohltätige Projekte einsetzt, unter anderem hilfst du obdachlosen Menschen, möchtest du mehr darüber erzählen?" Valentin nickte. "Ja klar, gerne. Also das ist ein Projekt, für das ich mich schon seit mehreren Jahren einsetze. Es laufen verschiedene Aktionen, zum Beispiel werden Klamotten und Konzerttickets verkauft, deren Erlös dann gespendet wird, um Obdachlosen Essen oder eine warme Unterkunft zur Verfügung stellen zu können. Außerdem sammeln wir natürlich auch Kleidung und nehmen andere Spenden entgegen. Am Besten informiert man sich mal auf der Homepage, wir sind dankbar für jede Unterstützung." Der Moderator nickte. "Ich finde es wirklich lobenswert, dass du und auch viele andere sich dafür einsetzen. Die Adresse, unter der Sie sich informieren können, blenden wir jetzt hier unten ein." Valentin nickte und sah direkt in die Kamera. "Ja, schaut mal rein, ihr könnt einiges bewirken." Ich musste zugeben, dass es mich beeindruckte, wie professionell er wirkte und wie sehr ihm das Projekt wirklich am Herzen zu liegen schien. Womöglich steckte doch mehr in ihm, als ich bisher kennengelernt hatte? Ein Teil von mir wollte unbedingt herausfinden, wer er wirklich war, aber wie sollte ich das anstellen? Valentin hasste mich.

Nachdem die TV-Sendung vorbei war, fasste ich kurzerhand den Entschluss, mich bei Instagram anzumelden, obwohl ich eigentlich nicht viel von sozialen Medien hielt. Dennoch wollte ich wissen, ob Julian und Valentin dort zu finden waren. Ich legte mir also ein Profil an und suchte dann zuerst nach Julian. Ich fand ihn sofort. Sein Profil bestand aus einem Haufen perfekter Fotos, ganz genau so, wie ich mir Instagram immer vorgestellt hatte. Es waren überwiegend Urlaubsfotos, aufgenommen in traumhaft schönen Locations, außerdem Fotos seiner Outfits und schneller Autos, einige wenige Fotos mit Valentin und einige mit Rebecca. Ich betrachtete sie, sie war zweifellos sehr hübsch, hatte lange braune Haare, die ihr in sanften Wellen über die Schultern fielen, perfekte Zähne und lächelte stets gut gelaunt zusammen mit Julian in die Kamera. Dafür, dass er sie nie mitbrachte, war sie auf seinem Instagram-Profil ziemlich präsent. Julian hatte sie verlinkt, ich klickte auf ihr Profil. Sie hatte mehr Abonnenten als er, obwohl ich zuvor noch nie von ihr gehört hatte und sie präsentierte sich auch hier stets gut gelaunt, meist im Bikini oder in hübschen Kleidern. Ansonsten schien sie überwiegend Werbung zu machen. 

Ich seufzte und dachte kurz darüber nach, mich direkt wieder abzumelden, aber ich wollte vorher noch nach Valentin suchen. Tatsächlich fand ich auch ihn und was ich auf seinem Profil zu sehen bekam, war ungefähr das Gegenteil von Julians bunter, perfekt durchgestylter Seite und führte mir erneut vor Augen, wie unterschiedlich die Brüder waren. Ich scrollte nach unten, Fotos von Filmdrehs und Premierenfeiern, kunstvolle Modelfotos, aufgenommen von bekannten Fotografen, Werbung für wohltätige Projekte, Fotos von Konzertbesuchen mit Freunden. Obwohl einige seiner Fotos wahnsinnig ästhetisch wirkten, schien Valentin sich im Großen und Ganzen keine Mühe zu geben, sich perfekt und makellos zu inszenieren und das machte ihn für mich nach seinem Talkshow-Auftritt noch sympathischer. Außerdem fielen mir zum ersten Mal die vielen eher kleinen Tattoos richtig auf, die seine Arme und offenbar auch weitere Teile seines Körpers zierten. Wieso hatte ich denen zuvor nie Beachtung geschenkt? Ich beschloss, mein Profil fürs erste zu behalten, folgte Julian, Valentin und einigen Leuten aus meiner ehemaligen Schulklasse, obwohl ich eigentlich froh war, denen nicht mehr täglich begegnen zu müssen. Beim Betrachten ihrer Profile spürte ich in einigen Fällen einen leichten Anflug von Neid und zwang mich deshalb schnell, die App wieder zu schließen. 

Kurz darauf folgten mir bereits die ersten Leute zurück - darunter auch Julian. Dennoch legte ich mein Handy beiseite und schlurfte ins Bett.  Auf keinen Fall wollte ich einer dieser Menschen werden, die alle fünf Minuten ihr Handy checkten oder es gar nicht mehr weglegten. 

Am nächsten Morgen kam ich dennoch nicht umhin, einen Blick auf das Display zu werfen. Zu meinem Erstaunen folgte mir inzwischen auch Valentin, der mir sogar eine Nachricht geschickt hatte. Überrascht klickte ich darauf: „Ich bin mir nicht sicher, ob Instagram der richtige Ort für Leute wie dich ist 😉", schrieb er. Ich verdrehte die Augen und schickte ihm lediglich einen Mittelfinger-Smiley zurück. Valentin likte meine Nachricht, schrieb aber nichts mehr. Seufzend schob ich das Handy zur Seite und widmete mich wieder meinem Frühstück.

NeonliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt