32. Mode

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Am nächsten Tag hatte ich den Streit zwischen Julian und Valentin und dessen anschließende Drogenbeichte schon fast wieder vergessen. Die Stimmung zwischen uns war nach wie vor gut und darüber war ich mehr als froh. Valentin machte heute Büroarbeit, wie er es nannte. Er packte die Pakete aus, die sich bereits in der Wohnung stapelten, beantwortete E-Mails und führte einige Telefonate. Nachdem er mit dem Auspacken der Kartons fertig war, betrachtete ich die Ausbeute vor mir auf dem Tisch: Schuhe, eine Jacke, eine Jeans, Schmuck, ein Spiel und Alkohol. „Das hat sich gelohnt", murmelte ich. „Ja, mal sehen, was ich damit mache. Ich spende auch vieles oder verschenke es an Freunde", erklärte Val. Ich dachte kurz an den Pullover, den er mir zu Weihnachten geschenkt hatte - ich trug ihn immer noch sehr gerne. "Musst du dir Dinge überhaupt noch selbst kaufen?" Fragte ich. Er dachte nach. "Schon. Aber ich gebe zu, dass meine Bekanntheit in dem Fall manchmal hilfreich ist." Ich seufzte, weil ich wieder einmal das Gefühl hatte, dass wir in unterschiedlichen Welten Zuhause waren und ich seinen Lifestyle gar nicht richtig nachvollziehen konnte, aber ich schob den Gedanken schnell beiseite. 

Valentins Handy klingelte und beendete somit unser Gespräch. Er ging dran, stand auf und entfernte sich ein paar Meter. Dann schien er aufmerksam zuzuhören, während die Person am anderen Ende der Leitung sprach. "Freitag?" Fragte er dann irgendwann. "Ja, das geht. Schick mir einfach die Einladung, ich checke das und melde mich dann bei dir, ja?" "Okay. Bis dann." Er legte auf, kam zurück an den Tisch und setzte sich vor seinen Laptop. "Was ist am Freitag?" Wollte ich wissen. Er schaute auf und sah mich an. "Nächste Woche ist Fashion Week in Berlin." "Oh und du bist eingeladen?" "Ja, zu ein paar Shows. Aber ich weiß noch nicht, ob ich hingehe. Dieser ganze Fashion-Zirkus ist nicht so mein Ding." Ich grinste - das war typisch Valentin. Er schaute wieder auf den Bildschirm. „Komm doch mit", sagte er dann irgendwann. „Wohin?" „Zur Fashion Week?" Ich dachte nach. „Ich weiß nicht, soll ich da am roten Teppich zwischen deinen ganzen Fangirls stehen und hoffen, dass du mir ein Autogramm gibst?" Val lachte leise und ziemlich schön. „Auch eine nette Idee, aber ich meinte eigentlich eher auf den roten Teppich und zu den Shows." Verwirrt starrte ich ihn an. „Machst du Witze?" Er zog die Stirn kraus. „Nein!?" „Nur, dass ich das richtig verstanden habe: Du willst mit mich mit zu einem öffentlichen Event nehmen?" „Ja, warum denn nicht?" „Dann weiß doch jeder, dass du eine Freundin hast." Er grinste sein typisch breites Grinsen. „Na und? Das vermutet nach Rebeccas Instagram-Posting doch wahrscheinlich sowieso schon jeder." Mir wurde warm, damit hatte ich nicht gerechnet. Hatte er nicht neulich noch verkündet, dass er sein Privatleben aus der Öffentlichkeit heraushalten wollte? Ich zuckte mit den Schultern. „Naja, ich dachte, sowas ist sicher nicht gut für deine Karriere." Val verdrehte die Augen. „Ich bin doch kein Teenie mehr, den man als Single-Boy vermarkten muss, damit er bei den Mädels gut ankommt. Wenn ich meine Freundin mit zu einer Veranstaltung nehmen möchte, dann mache ich das! Aber du musst natürlich nicht mitkommen, wenn du nicht willst." Ich schluckte und entschied mich, über meinen Schatten zu springen, auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie man sich zur Fashion Week anzog. Ich konnte wohl kaum in Jeans und T-Shirt auftauchen. „Doch, ich komme gerne mit", sagte ich leise. „Geht doch", entgegnete Val triumphierend. „Aber ich habe gar keine Ahnung, was man da anzieht." „Was du willst. Nur vielleicht nichts mega langweiliges." Na super, er fand mich also immer noch langweilig. Ich dachte kurz an seine Model-Ex und bereute direkt wieder, dass ich zugesagt hatte. Ob sie auch anwesend war? "Kommst du mit zum Shoppen?" Fragte ich, in der Hoffnung, ein Outfit zu finden, das ihm gefiel. Val schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht, ich muss für ein paar Tage nach Köln zu einem Dreh. Aber du machst das schon, stress dich nicht deswegen." Ich seufzte genervt. 

Am nächsten Tag saß ich Zuhause und dachte darüber nach, wer mich zum Einkaufen begleiten konnte. Elisa hatte genauso wenig Sinn für Mode wie ich und schied damit aus. Ich dachte darüber nach, Rebecca zu fragen, hatte aber wenig Lust auf ihre Gesellschaft - ich fand sie ein wenig anstrengend. Schließlich kam ich auf die Idee, Manu zu fragen. Wenn jemand interessante Outfits trug, dann war es definitiv er. Ich schickte ihm also eine Nachricht und zu meinem Erstaunen sagte er zu. 

Wir trafen uns also am Mittwochnachmittag in der Stadt. Unser Weg führte zunächst in ein angesagtes Schuhgeschäft, in dem Manu einige Sneakers anprobierte. Schließlich entschied er sich für zwei Paare, weil er es cooler fand, den Schuh an jedem Fuß in einer anderen Farbe zu tragen. Mit offenem Mund schaute ich zu, wie er ohne auch nur mit der Wimper zu zucken 1500€ für Schuhe, eine Cappy und einen Pullover ausgab. „Läuft wohl bei dir", bemerkte ich als wir den Laden verließen und überlegte fieberhaft, welche Ausrede ich benutzen konnte, um schnellstmöglich wieder nach Hause zu kommen. Wie sollte ich ihm bitte klarmachen, dass ich einen Bruchteil seines Budgets zur Verfügung hatte, um davon ein komplettes Outfit zu kaufen und zum Friseur zu gehen? Manu knuffte mich lässig in die Seite. „Entspann dich, ich hatte auch nicht immer so viel Geld. Ich habe keinen Schulabschluss und als ich in Berlin angekommen bin, war ich komplett broke, ich habe bei einem Kumpel im Studio geschlafen, weil ich kein Geld für eine Wohnung hatte", erklärte er. „Wirklich?" „Ja. Also mach dir keine Gedanken, du wirst top aussehen, ohne viel Geld ausgeben zu müssen." Ich atmete erleichtert auf und hatte nun schon ein etwas besseres Gefühl für unseren weiteren Einkauf. 

Manu schleppte mich in einige Läden und schließlich entschied ich mich für ein ziemlich enges, kurzes schwarzes Kleid und Pumps, mit denen ich das Laufen erst noch üben musste. Außerdem gab ich fast mein komplettes verbliebenes Monatsbudget für einen Friseurbesuch aus, bei dem ich meine blonden Haare noch ein wenig heller färben und etwas kürzen ließ, was ich bereits seit Ewigkeiten vorhatte. Manu war sichtlich stolz, als wir uns einige Stunden später mit einer Umarmung verabschiedeten. Hoffentlich war Valentin genauso zufrieden mit meiner Entscheidung wie er. 


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