7. Enttäuschung

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In den folgenden Stunden bekam ich leider keine Gelegenheit mehr, mit Valentin zu sprechen. Das lag zum einen daran, dass Julian mir nicht von der Seite wich und zum anderen daran, dass Valentin nicht unbedingt meine Nähe zu suchen schien. Genau genommen verhielt er sich eigentlich wie immer – er beachtete mich nicht großartig und warf ab und an irgendeinen dämlichen Spruch ein. So war ich ziemlich froh, als die anderen irgendwann entschieden, aufzubrechen. Ich teilte mir mit Mira ein Taxi und war insgeheim erleichtert, dass Julian mich nicht nach Hause brachte. Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung, bevor ich ins Taxi stieg.

Zuhause schlich ich so leise wie möglich ins Badezimmer und überlegte kurz, ob ich duschen sollte, aber damit würde ich womöglich Elisa aufwecken. Also wischte ich mir nur schnell die Schminke aus dem Gesicht, schlüpfte in meinen Pyjama und verschob das Duschen auf den morgigen Tag. Anschließend fiel ich erschöpft ins Bett und schlief viel schneller ein als ich gedacht hätte. Vermutlich, weil ich wirklich fertig war und der Alkohol sein übriges tat.

Erst als ich am nächsten Morgen aufwachte, schien ich wieder vollständig in der Realität anzukommen. Verschlafen setzte ich mich auf, was mein Kopf prompt mit einem stechenden Schmerz quittierte. „Shit", fluchte ich und bewegte mich so langsam wie nur möglich aus dem Bett. Nie wieder Alkohol  schwor ich mir auf dem Weg ins Badezimmer, als mir allmählich die Details der letzten Nacht wieder in den Sinn kamen. Ich hatte doch nicht ernsthaft Sex mit Valentin gehabt? Wie bescheuert konnte ein Mensch sein? Ich versuchte, den Gedanken daran beiseite zu schieben, doch so einfach gelang mir das nicht und während ich unter dem warmen Wasserstrahl stand musste ich mir eingestehen, dass ein Teil von mir es durchaus genossen hatte, Valentin so nahezukommen. Vermutlich war es in meinem bisherigen Leben auch das spannendste Erlebnis gewesen.

Nachdem ich mich abgetrocknet hatte und in bequeme Kleidung geschlüpft war, warf ich einen Blick auf mein Handy. Was folgte war Enttäuschung. Ich hatte weder eine Nachricht von Julian noch von Valentin. Aber was hatte ich auch erwartet? Valentin war ganz sicher nicht der Typ, der einem Liebesschwüre schickte, nur weil man eine Nacht, beziehungsweise eine halbe Stunde, mit ihm verbracht hatte. Außerdem kannte er soweit ich wusste nicht einmal meine Handynummer. Resigniert begab ich mich in die Küche, wo ich auf Elisa traf. Unsere andere Mitbewohnerin, Maria, war vor wenigen Tagen zu einem Auslandsaufenthalt aufgebrochen. Elisa hob den Kopf und lächelte als sie mich bemerkte. „Guten Mittag, hast du eine lange Nacht gehabt?" Ich zwang mich ebenfalls zu einem Lächeln und nahm mir einen Kaffee. „Ja, schon ziemlich." „Du musst mir deine Freunde unbedingt mal vorstellen", plapperte sie gutgelaunt drauflos. Bisher hatte ich ihr noch immer nicht gesagt, mit wem ich da eigentlich so häufig meine Zeit verbrachte. „Ja, das mache ich bei Gelegenheit", murmelte ich nur. Während ich an meinem Kaffee nippte und in meinem noch immer schmerzenden Kopf wieder und wieder die Ereignisse der vergangenen Nacht durchspielte, leuchtete mein Handy auf. Es war eine Nachricht von Julian. „Wieder dein Kumpel von neulich?" Wollte Elisa wissen. Ich nickte. „Hast du nicht gesagt, dass er eine Freundin hat?" „Doch, hat er." Sie musterte mich argwöhnisch. „Warum verbringt ihr dann so viel Zeit miteinander?" „Keine Ahnung, wir verstehen uns einfach gut, seine anderen Freunde sind meist auch mit dabei", erklärte ich und tippte auf die Nachricht: 

„Hey, gut geschlafen? Ich wollte fragen, ob du morgen Lust auf einen Kaffee hast! Bis dann 😊" 

Ich starrte auf den Text und versuchte nachzudenken. In meinem Kopf herrschte das absolute Chaos, alle möglichen Gedanken wirbelten wild durcheinander. Ich fragte mich, warum Julian sich so häufig mit mir treffen wollte, weshalb er Rebecca nie mitbrachte, worüber sie gestern am Telefon eigentlich so lange diskutiert hatten und außerdem hatte ich keine Ahnung, wie ich Valentin gegenübertreten sollte. Schließlich rang ich mich aber dennoch zu einer Zusage durch. Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Bett, wo ich mit aller Mühe daran arbeitete, meine Gedanken stummzuschalten.

Am nächsten Tag war Julian ausnahmsweise vor mir am vereinbarten Treffpunkt – allein. Als ich das feststellte, war ich mir nicht sicher, ob die Enttäuschung oder die Erleichterung überwog. Wir umarmten uns kurz. „Wo sind die anderen?" Fragte ich dann. Ob Valentin mir aus dem Weg ging? Normalerweise traten sie doch fast immer im Doppelpack auf. So ein Schwachsinn Julie, höchstwahrscheinlich bist du ihm völlig egal, stellte ich selbst in Gedanken klar. „Mira ist am Theater, sie hat viel zu tun, weil sie ein neues Stück auf die Bühne bringen und Val ist in Köln, der hat heute Abend einen Auftritt in einer Talkshow", berichtete Julian so beiläufig, als sei sein Bruder gerade einkaufen. Ich musste mich hingegen erst noch daran gewöhnen, dass die beiden häufiger in den Medien auftauchten. „Warum?" Fragte ich. „Macht er Promo für einen Film?" „Nein, für ein Obdachlosenprojekt", antwortete Julian, während wir sein Lieblingscafé ansteuerten. „Was für ein Obdachlosenprojekt?" „Er setzt sich schon seit einigen Jahren gemeinsam mit einer Organisation dafür ein, Spenden zu sammeln, um Kleidung und Essen für Obdachlose bereitzustellen", erklärte Julian. „Krass, hätte ich ihm gar nicht zugetraut." „Ich sage ja, er ist viel netter als du denkst." „Möglich", murmelte ich und musste erneut an die letzte Partynacht zurückdenken.

Kurz darauf erreichten wir das Café und setzten uns an den selben Tisch wie beim letzten Mal. Diesmal bestellten wir allerdings Kaffee und Kuchen, denn es war bereits Nachmittag. „Hast du eigentlich etwas von deinem Vorstellungsgespräch gehört?" Fragte Julian. Ich seufzte. Nicht gerade mein Lieblingsthema. „Sie haben sich für eine andere Bewerberin entschieden." Er warf mir einen mitfühlenden Blick aus seinen dunkelbraunen Augen zu. „Das tut mir leid. Du findest sicher bald etwas." „Ich hoffe es, sonst muss ich womöglich wieder zurück zu meinen Eltern ziehen." „Meinst du? Du bist doch alt genug, um selbst zu entscheiden." „Tja, aber irgendwie muss ich meinen Lebensunterhalt finanzieren." „Du hast doch noch deinen Job an der Garderobe, oder?" Ich nickte. „Es wäre trotzdem gut, eine Ausbildung zu haben." Vermutlich konnte Julian das kaum nachvollziehen. Ob es für ihn überhaupt jemals eine andere Option gegeben hatte, als in der Öffentlichkeit zu stehen? Wahrscheinlich nicht. „Ich kann mich ja mal für dich umhören", bot er an. „Danke", murmelte ich, obwohl ich nicht glaubte, dass es wirklich zu etwas führen würde. „Ich habe die nächsten Tage übrigens nicht mehr so viel Zeit zum Weggehen", berichtete Julian dann. „Warum nicht?" Er rührte einen Augenblick lang wortlos in seinem Kaffee herum, bis er mich wieder ansah. „Rebecca kommt morgen nach Hause." „Oh, okay. Warum bringst du sie nicht mit?" Er zuckte mit den Schultern. „Sie ist viel unterwegs und wenn sie Zuhause ist, dann ist sie meist froh, erstmal ihre Ruhe zu haben und zu entspannen." Ich nickte. „Na gut, das kann ich verstehen." Julian lächelte dankbar. „Wir können ja trotzdem in Kontakt bleiben." Aus irgendeinem Grund klang das nicht ehrlich und ich hatte ein wenig Angst, meine neue Clique direkt wieder zu verlieren. Aber vermutlich konnte ich im Augenblick nicht viel machen, außer abzuwarten.


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