Verschlafen saß ich am Tag darauf in meinem Zimmer und scrollte durch Instagram. Valentin hatte einige Videos von letzter Nacht hochgeladen und geteilt - ich war auf keinem davon zu sehen. Ob er mich absichtlich versteckte? Ich versuchte, die vergangene Nacht gedanklich Revue passieren zu lassen, wurde aber auch jetzt in nüchternem Zustand nicht schlau aus Valentins Verhaltensweisen. Ich dachte an unseren Kuss zurück, daran, wie wir an der Haltestelle gekuschelt hatten, aber auch an seine eher kühle Verabschiedung. Gerade, als ich überlegte, ob ich mich bei ihm melden sollte, bekam ich eine Nachricht von Julian. Verwundert öffnete ich sie. Ob er mitbekommen hatte, dass ich mit Valentin feiern gewesen war? „Hey Julie, lange nichts voneinander gehört, wie geht's dir?" Schrieb er. Ich freute mich über seine Nachricht und tippte sogleich meine Antwort. „Hey, an mir lag's nicht! 😉 Mir geht's gut und dir?" „Ich weiß, tut mir leid! Mir geht's auch gut! Hast du am Samstagabend Zeit? Wir wollen mit ein paar Leuten ins Blue, ein bisschen abhängen!" Wen meinte er mit wir? Rebecca und ihn? Valentin und ihn? Ich warf einen Blick auf meinen Dienstplan, zum Glück musste ich Donnerstag und Freitag arbeiten, so dass ich am Samstag frei hatte. Also überlegte ich nicht lange und sagte Julian zu. Er schickte mir die Adresse der Bar und wir vereinbarten, uns direkt dort zu treffen.
Samstagabend traf ich wie verabredet um zwanzig Uhr an der Bar ein, die schon von außen ziemlich stylisch aussah. Ich hatte allerdings auch nichts anderes erwartet, schließlich wusste ich inzwischen, dass Julian und die anderen die besten Locations hier kannten. Von Valentin hatte ich die ganze Woche über nichts gehört, ich war gespannt, ob er auch hier war und etwas verunsichert, wie ich ihm gegenübertreten sollte. Offenbar maß er unserem erneuten Kuss keine große Bedeutung bei, sonst hätte er sich wohl bei mir gemeldet. Mein Handy zeigte eine neue Nachricht von Julian: "Hi, wir sind schon reingegangen, komm einfach dazu :-)". Das war ungewöhnlich, normalerweise wartete er immer vor der Tür auf mich. Ich seufzte, straffte meine Schultern und ging nach drinnen. Dort erblickte ich die anderen bereits von der Tür aus. Mira, Jan, Lukas, Valentin, Julian und einige andere, die üblicherweise mit ihnen unterwegs waren, saßen an einem langen Tisch. Jetzt wurde mir auch klar, warum Julian vermutlich nicht draußen auf mich gewartet hatte - auf seinem Schoß saß eine zierliche, dunkelhaarige junge Frau - wahrscheinlich Rebecca. Zögerlich ging ich auf sie zu. Julian lächelte als er mich sah, ich blieb neben ihm und Rebecca, die ich nun eindeutig erkannte, auch wenn sie viel normaler wirkte als auf ihren Instagram-Fotos, stehen.
"Hi", begrüßte ich sie unsicher. "Hi, cool, dass du es geschafft hast", entgegnete Julian, der sich ehrlich zu freuen schien. "Ja, finde ich auch!" Rebecca musterte mich fragend. "Das ist Julie, Valentin und ich haben sie im Sommer beim Feiern kennengelernt und seitdem hängt sie öfter mit uns ab", fasste Julian zusammen. Er hatte mich also in all der Zeit kein einziges Mal erwähnt? Ich fragte mich kurz, worüber sie sich denn sonst so unterhielten, aber es ging mich ja eigentlich nichts an. Vielleicht hatte Rebecca es auch einfach nur wieder vergessen. Sie schien ja sehr beschäftigt zu sein und wirkte auch jetzt nicht besonders interessiert. "Freut mich, dass wir uns endlich mal kennenlernen", sagte ich zu ihr. Sie musterte mich kurz. "Ja, mich auch", sagte sie dann knapp, bevor sie ihr Handy vom Tisch nahm und darauf herumtippte. Was für eine nette Begrüßung. Valentin nahm ebenfalls nicht wirklich Notiz von mir, er saß am anderen Ende des Tisches und unterhielt sich mit Jan. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre aus der Bar geflüchtet, aber das wäre vermutlich doch ein ziemlich peinlicher Auftritt geworden, also ließ ich mich zögerlich auf den einzigen freien Platz neben Julian und Rebecca sinken. Sogleich kam ein Kellner, um meine Bestellung aufzunehmen. Vielleicht wurde das Ganze ja mit einem Cocktail erträglicher. Rebecca stand wenig später auf. "Sorry, ich muss mal kurz telefonieren", meinte sie und verschwand nach draußen. Ich sah ihr nach. "Sie hat Stress wegen einer Kooperation", erklärte Julian, wohl um ihre Laune zu entschuldigen. Ich bezweifelte jedoch insgeheim, dass sie sonst netter war. "Aha." "Wie geht's dir so?" Fragte Julian. "Ganz gut und dir?" "Auch." "Was planst du an Weihnachten?" Wollte er wissen. Mittlerweile war es tatsächlich bereits Dezember. "Ich fahre nach Hause zu meiner Familie", berichtete ich. "Und ihr?" Julian nickte. "Ja, wir fahren auch zu unseren Eltern und feiern dort mit der ganzen Familie." "Cool." Rebecca kam zurück, nur um wenige Minuten später erneut nach draußen zu gehen. "Wie lange bleibt ihr dort?" Fragte ich. "Wir denken noch darüber nach, ob wir über Silvester bleiben oder ob wir in Berlin feiern", sagte Julian. "Okay, ich werde vermutlich erst Anfang Januar wieder nach Berlin kommen", erklärte ich. Hoffentlich ließen meine Eltern mich überhaupt wieder ziehen, ich hatte ihnen den Abbruch meines Studiums noch immer nicht gebeichtet. Julian wirkte leicht abwesend. "Ich gehe mal nach Rebecca schauen", meinte er irgendwann. "Okay", ich sah ihm nach. Warum hatte er mich überhaupt eingeladen? Ob er nicht gewusst hatte, dass Rebecca ihn begleitete? Vielleicht war sie auch tatsächlich ein netter Mensch und ich tat ihr Unrecht. Seufzend blickte ich mich um und stellte fest, dass Jan offenbar Rauchen gegangen war, jedenfalls war der Platz neben Valentin frei.
Kurzentschlossen nahm ich meinen Mut zusammen, stand auf und setzte mich neben ihn. „Hey", meinte ich. Valentin sah mich an. „Hey, wie geht's?" „Gut und dir?" „Auch." "Ich hab die ganze Woche über nichts von dir gehört", meinte ich. Valentin trank einen Schluck Bier und schien nachzudenken. Das war mal wieder typisch, während alle anderen fancy Cocktails tranken, trank er Bier. Hoffentlich fasste er meine Bemerkung nicht als Vorwurf auf oder hielt mich für verknallt, er war schließlich auch nicht verpflichtet, sich bei mir zu melden. "Ich war ziemlich beschäftigt mit Castings und Vorbereitungen für eine Rolle, ich drehe demnächst", erklärte er. "Oh, darfst du schon mehr verraten?" "Nicht viel, ich spiele einen Drogendealer", antwortete er. "Klingt interessant." "Ist es denke ich auch." Ich betrachtete ihn, er trug einen schwarzen Kapuzenpullover mit auffälligem Print. „Ich mag deinen Hoodie", meinte ich. Valentin schaute an sich herunter. „Danke. Ich kann dir auch einen besorgen, wenn du willst." „Wirklich?" Warum war er schon wieder so nett? Insgeheim wartete ich ständig darauf, dass er irgendetwas Fieses sagte. „Ich kenne die Designerin ganz gut." Gab es eigentlich irgendjemanden, den er nicht gut kannte? Vermutlich nicht. "Ich würde mich freuen", meinte ich. Unterdessen kamen Julian und Rebecca zurück an den Tisch. Valentin verdrehte kaum merklich die Augen, mir entging es trotzdem nicht, wahrscheinlich hatte ich inzwischen so viel Zeit mit ihm verbracht, dass ich seine Körpersprache ziemlich gut deuten konnte. "Magst du sie nicht?" Fragte ich direkt, vielleicht auch, um mein eigenes Bild von ihr zu festigen, denn ich hatte sie mir zugegebenermaßen anders vorgestellt. Valentin zuckte mit den Schultern. "Sagen wir, ich kann nicht viel mit ihr anfangen, aber sie muss Julian gefallen." "Hm." Wieder einmal fragte ich mich, wie zwei Brüder so unterschiedlich sein konnten. "Ich gehe mal rauchen", unterbrach Valentin meine Gedanken. Wow, jetzt ließ er mich auch noch hier sitzen. Genervt ging ich zurück auf meinen Platz, wo der Abend allerdings auch nicht besser wurde.
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Neonliebe
Chick-Lit"Du bist so langweilig", raunte Valentin mir zu. „Langweilig, ich?" Er lehnte sich zurück und stützte sich auf seinen Unterarmen ab, während er mich provokant ansah. „Du bist der Inbegriff von Langeweile." Wie mir dieser Typ und seine Überheblichkei...