Zwei Tage später saß ich gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin Elisa beim Abendessen in der Küche, als ich eine Nachricht von Julian bekam. "Hey, wie geht's? Ich bin morgen früh in der Stadt unterwegs und wollte fragen, ob du Lust auf ein gemeinsames Frühstück hast? LG Julian", schrieb er. Ich war verwundert, denn ich hatte aus irgendeinem nicht näher erklärbaren Grund geglaubt, nichts mehr von ihm zu hören. "Wer ist das?" Wollte Elisa wissen, weil ich ihr bisher noch nichts von meiner Bekanntschaft mit Julian und Valentin berichtet hatte. "Nur ein Typ, den ich bei der Arbeit kennengelernt habe", antwortete ich schnell. Meine Mitbewohnerin grinste. "Ein Typ, den du gut findest?" Schnell winkte ich ab. "Nein, wir sind nur Kumpels." "Ja, das sagen sie alle." "Ich meine es Ernst, er hat eine Freundin." Wieso musste man denn immer gleich verliebt sein? Elisa fragte zum Glück nicht mehr weiter nach und so dachte ich den Rest des Essens über stumm darüber nach, was ich auf Julians Nachricht antworten sollte. Schließlich entschied ich mich dafür, mit ihm frühstücken zu gehen, denn es kam nicht allzu oft vor, dass ich fremden Menschen gegenüber so schnell auftaute wie bei Julian.
So stand ich am nächsten Morgen wie verabredet in der Stadt vor einem Einkaufszentrum und wartete auf Julian, der kurz nach mir eintraf. "Hey", er grinste mich gut gelaunt an und zog mich dann in eine Umarmung. Seine gute Laune sprang sogleich auf mich über. "Hey." "Wie geht's? Hast du Hunger?" Fragte er erwartungsvoll. Ich nickte. "Und wie! Ich liebe es, frühstücken zu gehen!" Und ich war froh, endlich mehr von der Stadt zu sehen als mein Zimmer, den Club und die Universität. "Na dann los", Julian setzte sich in Bewegung und ich folgte ihm. Wir fanden uns schließlich in einem hippen Café ein und setzten uns an einen Tisch in der Ecke. Ich fragte mich kurz, ob Julian wohl oft angesprochen wurde, aber vermutlich konnte er hier in der Großstadt deutlich entspannter leben als es in meiner Heimat der Fall wäre. "Worüber denkst du nach?" Fragte Julian, als er meine Grübelei wohl bemerkte. "Ich habe mich nur gefragt, ob du häufig erkannt wirst", antwortete ich wahrheitsgemäß. Er lächelte. "Es geht, eigentlich hält es sich in Grenzen. Wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin schon öfter." "Okay. Und was machst du so in der Stadt?" Julian hob einige Einkaufstüten in die Höhe. "Ich war shoppen", erklärte er und redete dann ununterbrochen von seinen Einkäufen, bis wir von der Kellnerin unterbrochen wurden. Geldsorgen schien er jedenfalls nicht zu haben. Wir bestellten jeweils eine der zahlreichen Frühstücks-Varianten, die auf der Karte angeboten wurden. Kurz darauf wurden wir mit einer beeindruckenden Auswahl an Essbarem versorgt. "Wow, wer soll das alles essen?" Fragte ich angesichts der großen Auswahl etwas überfordert. Julian grinste. "Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen." Und so war es tatsächlich - Julian konnte ziemlich viel essen, er war allerdings auch sehr groß. Während des Essens gingen uns kein einziges Mal die Gesprächsthemen aus, mittlerweile war ich wahnsinnig dankbar, Julian getroffen zu haben. Nach dem Frühstück gingen wir noch in die Stadt, Julian zeigte mir einige seiner Lieblingsläden und -orte in Berlin und die Zeit verging wie im Flug.
Von diesem Tag an waren Julian und ich ziemlich dicke Freunde, wir trafen uns oft, sei es, wenn Julian mich mit Valentin und seiner Clique bei der Arbeit im Club besuchte oder einfach nachmittags zum Chillen. Nur Rebecca hatte ich auch einige Wochen später noch nicht kennengelernt, als ich an einem außergewöhnlich warmen Herbsttag wieder mit Julian, Valentin und einigen ihrer Freunde im Park war. Laut Julian war sie viel unterwegs und kam zwischendurch nur nach Hause, um ihre Koffer für die nächste Reise zu packen. Manchmal fragte ich mich, ob er sie nicht vermisste, aber er sprach nicht oft von ihr. Ich grübelte, wie so oft in den letzten Tagen, ob ich ihn darauf ansprechen sollte, während ich ihn beobachtete. Er spielte einige Meter von mir entfernt mit zwei Freunden Fußball auf der Wiese. Ich saß zwischen Valentin und Mira, einer Freundin von ihm, auf einer Tischtennisplatte in der Sonne. Mein Verhältnis zu Valentin war noch immer angespannt, wenngleich er inzwischen immerhin mit mir sprach. Trotzdem war ich überzeugt davon, dass er mich lieber nicht zu Unternehmungen mitnehmen würde, wenn er die Wahl hätte. "Was habt ihr am Wochenende gemacht?" Wollte Mira wissen. "Ich war bei einer Filmpremiere und Samstag hatte ich ein Foto-Shooting für ein anstehendes Projekt", erklärte Valentin, der lässig neben mir auf der Tischtennisplatte saß und rauchte. "Und du?" "Ich war total im Stress, ich habe so viele anstehende Projekte momentan, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll", berichtete sie. Mira arbeitete als Regisseurin am Theater und war sicher einer der kreativsten Menschen, die ich je kennengelernt hatte. Ich bewunderte sie sehr dafür. "Was hast du gemacht, Julie?" Fragte sie. Ich dachte nach, mein Leben war natürlich nicht halb so spannend wie das von Valentin und ihr. "Ich habe gearbeitet und Bewerbungen geschrieben", antwortete ich dann. Ich konnte meinen Eltern nicht ewig vorspielen, dass ich noch studierte. Mira lächelte. "Als was bewirbst du dich?" "Auf alles mögliche, vermutlich wird es ein Büro-Job", meinte ich. Unser Gespräch wurde unterbrochen, als Miras Handy klingelte. "Oh, entschuldigt mich", sagte sie schnell, sprang von der Tischtennisplatte und entfernte sich einige Meter, um in Ruhe telefonieren zu können.
Valentin verzog das Gesicht und betrachtete mich kopfschüttelnd von der Seite. "Was ist?" Fragte ich genervt. "Irgendein Büro-Job", äffte er mich nach. „Ernsthaft? Du bist so langweilig." "Langweilig, ich?" Natürlich wusste ich, dass ich aus seiner Sicht vermutlich wirklich schrecklich einfallslos wirkte. Aber was sollte ich machen? Ich hatte nun mal nicht das Glück, in eine berühmte Schauspieler-Familie hineingeboren worden zu sein und manchmal hatte ich den Eindruck, Julian und ihm fehlte dadurch ein wenig den Bezug zur Realität. Valentin lehnte sich unterdessen zurück und stützte sich auf seinen Unterarmen ab, während er mich provokant ansah. „Du bist der Inbegriff von Langweilig." Wie mir dieser Typ und seine Überheblichkeit auf die Nerven gingen. „Ich bin überhaupt nicht langweilig, ich bin einfach ein normaler Mensch", protestierte ich. Valentin grinste. "So richtig bieder." Das reichte, ich spürte, wie die Wut in mir aufstieg, aber ihn anzuschreien würde mich nicht weiterbringen. Also nahm ich kurzentschlossen einen Schluck aus der Champagnerflasche, die zwischen uns stand, dann beugte ich mich zu Valentin herunter und küsste ihn, nur damit er endlich die Klappe hielt. Er erwiderte meinen Kuss kurz und ich musste feststellen, dass er ein wirklich guter Küsser war – leider. Schließlich löste ich mich aber wieder von seinen Lippen. "Bieder?" Wiederholte ich. "Ich wäre fast eingeschlafen", entgegnete er. Wieso ließ ich mich ständig von ihm provozieren? Es war nicht das erste Mal, dass mich seine Sprüche auf die Palme brachten. Manchmal dachte ich noch Stunden nach einem Aufeinandertreffen darüber nach, was er eigentlich gegen mich hatte.
Warum auch immer fühlte ich mich nun jedenfalls von ihm herausgefordert, trank noch einen Schluck Champagner und schwang mich dann auf seinen Schoß, bevor ich ihn erneut küsste, dieses Mal deutlich leidenschaftlicher. Irgendwo in meinem Inneren meldete sich meine Libido. Oh nein, ganz bestimmt nicht mit diesem Arschloch, versuchte ich ihr klarzumachen, ohne mich jedoch von Valentins Lippen zu lösen. Ich musste mir wohl oder übel eingestehen, dass dieser Kuss begann, mir Spaß zu machen. "Ich hoffe, du bist jetzt wieder wach", zischte ich, als ich es dann doch schaffte, meine Lippen von seinen zu nehmen. Valentin grinste. "Annähernd." Julian hatte von all dem zum Glück nichts mitbekommen, er diskutierte mit Lukas und Jan und drehte uns dabei den Rücken zu, auch Mira telefonierte noch immer und schenkte uns dabei keine Beachtung. Ich wendete mich wieder Valentin zu. "Was soll ich machen, mich ausziehen?" "Das wäre ein Anfang." Flirtete er gerade mit mir? Wenn ja, hatte er eine ziemlich komische Art, dies zu tun. Ich stieg von seinem Schoß. "Träum weiter." Er grinste immer noch. "Ich träume normalerweise nicht von Sex mit Frauen wie dir", stellte er klar und ich zog eine Grimasse, während ich darüber nachdachte, was eigentlich gerade mit mir los gewesen war. Ich musste definitiv aufhören, schon am Nachmittag Alkohol zu trinken.

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Neonliebe
Literatura Kobieca"Du bist so langweilig", raunte Valentin mir zu. „Langweilig, ich?" Er lehnte sich zurück und stützte sich auf seinen Unterarmen ab, während er mich provokant ansah. „Du bist der Inbegriff von Langeweile." Wie mir dieser Typ und seine Überheblichkei...